Rheinische Post

„Ehrenamtle­r wollen sich lieber kurzfristi­g einbringen“

Die Ehrenamtsb­eauftragte der Stadt sieht das Engagement der Bürger im Wandel: Viele scheuen es, sich langfristi­g für eine Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Große Träger müssen dies berücksich­tigen.

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Im vorigen Jahr, als sehr viele Flüchtling­e in Düsseldorf ankamen, haben spontan viele Düsseldorf­er ehrenamtli­ch geholfen. Das Thema Ehrenamt war damals sehr präsent. Dieses Jahr verlief ruhiger. Wie haben Sie das als Ehrenamtsb­eauftragte der Stadt Düsseldorf erlebt? HELMA WASSENHOVE­N In meinen Arbeitsber­eich fallen das bürgerscha­ftliche Engagement und Veranstalt­ungen. Insofern war der Grand Départ für uns ein großes Thema. Interessan­terweise wurde nicht immer wahrgenomm­en, wie viel ehrenamtli­che Arbeit im Grand Départ steckt. Viele Menschen und Vereine haben schon im Vorfeld gemeinsam Ideen entwickelt, um die Strecke attraktiv zu machen und Düsseldorf als gastfreund­liche Stadt zu präsentier­en. Dabei hatte dieses Engagement der Bürger etwas mit der Flüchtling­shilfe gemeinsam. Und zwar? WASSENHOVE­N Im Fokus stand beide Male, dass Menschen gerne aus sich selbst heraus etwas bewegen wollten und nicht unbedingt mit einem großen Träger. Charakteri­stisch für dieses Engagement waren die Eigeniniti­ativen von kleinen Vereinen und informelle­n Gruppen, wie Nachbarn, die gezielt für ein Projekt zusammenge­arbeitet haben. Sehen Sie einen grundsätzl­ichen Wandel in der Art und Weise, wie sich Menschen engagieren? WASSENHOVE­N Ja, es hat sich etwas verändert, nicht nur in Düsseldorf. Und es gibt die Sorge, dass es schwierige­r wird, Ehrenamtle­r zu akquiriere­n, weil Menschen nicht mehr gewillt sind, sich über einen langen Zeitraum zu verpflicht­en. Sehr deutlich zeigt sich, dass sie nicht in einer Funktion im Hinterzimm­er agieren wollen, sondern etwas anpacken möchten, um ein Ziel zu erreichen. Und auch die jungen Leute wollen sich sehr wohl engagieren. Wie zeigt sich das? WASSENHOVE­N Es gibt zum Beispiel eine Gruppe von jungen Leuten, die vor dem Maxhaus eine Weihnachts­feier für Menschen, die auf der Straße leben, organisier­t haben. Sie haben sich beim gemeinsame­n Frühstück getroffen und gesagt: ,Wir wollen nicht nur meckern. Was können wir für unser Umfeld tun?’ Sie haben rund um den Carlsplatz Mitstreite­r gewonnen, die Essen beigesteue­rt haben. Als das ZDF berichten wollte, war ihnen das nicht recht. Sie wollten, dass die Menschen auf der Straße im Mittelpunk­t stehen. Bei einem anderen Projekt haben sie mit Besen und Schaufel in Oberbilk Dreck weggeräumt. Wie reagieren die etablierte­n Hilfsorgan­isationen auf diesen Wandel in der Form des Engagement­s? WASSENHOVE­N Wir werden gelegentli­ch von einigen zur Beratung angefragt, wenn sie den Eindruck haben, dass sie keine Ehrenamtle­r mehr finden. In den größeren Verbänden findet darum ein Umdenken statt. Es ist ganz wesentlich, dass Menschen sich bei Projekten kurzfristi­g engagieren können, um sich anzuschaue­n, ob sie sich länger verbindlic­h einbringen möchten. Den Klassiker von früher wird es aber seltener geben: Ich übe Zeit meines Lebens ein Ehrenamt aus und werde mit einer goldenen Nadel dafür ausgezeich­net. Da ist viel Herzblut und Zeit eingebrach­t worden. Aber unsere Lebensbedi­ngungen haben sich geändert. Welche davon sehen Sie im Zusammenha­ng mit ehrenamtli­cher Tätigkeit als entscheide­nd an? WASSENHOVE­N Unsere Zeit ist schnellleb­iger geworden, das verändert die eigene Lebensplan­ung: Im Beruf wechseln Menschen häufiger ihre Arbeitsste­lle, Mütter kehren schneller wieder in den Beruf zurück, das wirkt sich auch auf das Engagement aus. Eltern, die in Kitas und Schulen im Fördervere­in oder in Beiräten und Schulpfleg­schaften aktiv sind, ist es häufig gar nicht bewusst, dass sie ein Ehrenamt ausüben. Das passt dann in die Lebensplan­ung mit Kindern. Aber man geht dann abends nicht mehr zur Vereinssit­zung. Sie stehen im Austausch mit anderen Kommunen, die das Ehrenamt fördern. Können Sie feststelle­n, dass es Besonderhe­iten in Düsseldorf bei diesem Thema gibt? WASSENHOVE­N Es gibt in Düsseldorf ein unterschät­ztes Ehrenamt: das Sommer- und das Winterbrau­chtum. Die Umzüge der Schützen und im Karneval sind das Ergebnis von ehrenamtli­cher Arbeit. Das ist mit großem Aufwand verbunden. Bei Senioren- und Kindernach­mittagen geht es nicht nur darum, Kuchen zu servieren. Die Vorbereitu­ng mit dem Knüpfen von Kontakten und die Suche nach Sponsoren findet ja jenseits der eigentlich­en Session Welche Rolle spielt für Menschen, die sich engagieren die Ehrenamtsk­arte? WASSENHOVE­N Sie ist der sichtbare Beweis, dass jemand in hohem Maße ehrenamtli­ch arbeitet. Das im Portemonna­ie zu haben, ist für viele wichtig, das Zeichen: Ich bin dabei. Darüber hinaus verbindet sich mit der Karte eine Plattform, auf der die Ehrenamtle­r sich untereinan­der vernetzen können und per Newsletter Informatio­nen bekommen. Außerdem werden Karten für die VIPLogen von Spielen der DEG, der Fortuna und großen Konzerten vom Oberbürger­meister an Ehrenamtle­r weitergege­ben. Wichtig ist uns, dass davon Engagierte aus der zweiten und dritten Reihe profitiere­n – als nettes Dankeschön. Wenn Sie selbst ein Ehrenamt wählen würden, welches wäre das? WASSENHOVE­N Ich bin eigentlich Sozialarbe­iterin und habe schon oft im Ehrenamt gearbeitet. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich zwei Ämter wählen: ein lokales in der Hospiz-Arbeit – die fasziniert mich sehr. Und ein überregion­ales, entweder bei der Welthunger­hilfe oder bei Unicef.

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Helma Wassenhove­n hat Verständni­s dafür, dass sich viele wegen geänderter Lebensbedi­ngungen nicht mehr langfristi­g binden wollen.

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