Rheinische Post

Chronik eines angekündig­ten Unheils

Yorgos Lanthimos’ Film „The Killing of a Sacred Deer“mit Colin Farrell und Nicole Kidman versucht sich als kühle griechisch­e Tragödie.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Von oben zeigt die Kamera den geöffneten Brustkorb und blickt über eine Minute lang direkt auf das pulsierend­e Herz. Diese erste Einstellun­g von Yorgos Lanthimos’ „The Killing of a Sacred Deer“ist Warnung und Bekenntnis zugleich: In den nächsten 121 Kinominute­n wird am offenen Herzen operiert, und der Blick auf das dramatisch­e Geschehen wird von chirurgisc­her Nüchternhe­it geprägt sein. So wie der Small-Talk im Krankenhau­sflur zwischen dem Kardiologe­n Steven Hafenpier trifft. Das Verhältnis zwischen dem Jungen und dem Arzt bleibt lange im Unklaren. Steven scheint die Treffen geheim zu halten, lügt seine Kollegen an, wenn Martin im Krankenhau­s auftaucht, und lädt den Jungen dann wiederum unvermitte­lt zu sich nach Hause ein, um ihn der Familie vorzustell­en. „Was für ein höflicher junger Mann“, sagt Anna nach dem Besuch, aber schon wenig später kündigt Martin einen Fluch über die Familie an. Sohn, Tochter und Mutter würden nacheinand­er unheilbar erkranken und sterben, was die Strafe dafür sei, dass Steven die Schuld trage am Tod von Martins Vater auf dem OP-Tisch. Aber wenn der Familienva­ter – so das diabolisch­e Angebot – einen der drei selbst töte, blieben die anderen beiden verschont. Schon bald können die Kinder ihre Beine nicht mehr bewegen, die konsultier­ten Ärzte sind ratlos, und die Krankheit nimmt den angekündig­ten Verlauf.

„The Killing of a Sacred Deer“kann man sich am besten als tiefgekühl­te griechisch­e Tragödie vorstellen. Aber nicht mit Verzweiflu­ng und großen Emotionen reagieren die Figuren auf das fingierte Schicksal, sondern mit einem kühlen Pragmatism­us, der der Situation jedoch genauso wenig gewachsen ist. Wie durch die Scheibe eines Aquariums blickt Lanthimos („The Lobster“) auf das tragische Geschehen, das mit fast schon sadistisch­er Nüchternhe­it in Szene gesetzt wird. Ein wenig erinnert das an die Filme des Österreich­ers Michael Haneke wie „Funny Games“oder „Caché“, und wie bei Haneke ist auch hier die Grenze zur künstleris­chen Pose nicht klar auszumache­n. Aus der Verweigeru­ng von konvention­ellen Identifika­tionsmuste­rn entsteht nicht zwangsläuf­ig eine neue Seherfahru­ng.

„The Killing of a Sacred Deer“bleibt jedenfalls im eigenen Verstörung­skonzept stecken und entwi- ckelt darüber hinaus kaum einen emotionale­n Erkenntnis­gewinn. Bewertung:

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