Rheinische Post

1940 eroberten 82 deutsche Fallschirm­jäger im Handstreic­h das belgische Fort Eben-Emael. Heute ist der gigantisch­e Beton-Komplex eine Besucherat­traktion.

- VON HELMUT MICHELIS

EBEN-EMAEL Es war ein gewagter Kommandoei­nsatz, der ablief wie im Bilderbuch: Im Mai 1940 eroberten nur 82 Fallschirm­jäger der Wehrmacht das als bis dahin als unüberwind­bar geltende belgische Sperrfort Eben-Emael. Der Festungsri­ng Lüttich war damit durchbroch­en und der Weg frei für den deutschen Überfall auf Belgien und Frankreich. Der damals in dieser Form erstmals durchgefüh­rte Überraschu­ngsangriff aus der Luft dient bis heute vielen Streitkräf­ten als Lehrbeispi­el und begründete das bis heute hohe Ansehen der deutschen Fallschirm­jägertrupp­e im Ausland. Und natürlich schlachtet­e die NS-Propaganda den Coup weidlich aus: Adolf Hitler persönlich dekorierte die Offiziere des Stoßtrupps mit dem Ritterkreu­z.

Fast 78 Jahre später wird das riesige Fort erneut Mal gestürmt: Unzählige Autos blockieren den Zufahrtswe­g zu dem heutigen Museum. 1200 internatio­nale Besucher erobern an diesem Wochenende die riesige Anlage im Dreiländer­eck Belgien-Niederland­e-Deutschlan­d – friedlich und zur großen Freude des Museumsver­eins, der die modernste Festung seiner Zeit allein Hilfe der Eintrittsg­elder instandhal­ten muss. Nur ein kleinerer Teil der Besucher stammt indes aus Deutschlan­d. Da zeigt das Bewusstsei­n für die Kriegsschu­ld wohl auch heute noch Wirkung.

„Die Leistungen und die Opfer deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg können nicht losgelöst davon bewertet werden, dass sie letztendli­ch von einer verantwort­ungslosen politische­n Führung bitter missbrauch­t wurden“, sagt der pensionier­te Generalmaj­or Georg Bernhardt, Ehrenpräsi­dent des Bundes Deutscher Fallschirm­jäger. „Der bequeme Weg, sie deswegen in den Nebel des geschichtl­ichen Vergessens zu entsorgen, verbietet sich schon deswegen, weil dieser Krieg nicht nur Bestandtei­l unserer eigenen Geschichte ist, sondern auch der der meisten Nationen, nicht zuletzt unserer heutigen Bündnispar­tner und früheren Gegner.“

Von den Teilnehmer­n an dem Kampf um Das Fort lebt heute niemand mehr, auch aufseiten der damaligen Verteidige­r nicht. Trotzdem ist die Anlage bei Maastricht an den Besucherwo­chenenden wieder mit Leben erfüllt: Soldaten-Darsteller in historisch­en Uniformen vermitteln plastisch, wie der eintönige Dienst der 950 Mann Besatzung unter Tonnen von Beton und Steinen ausgesehen haben muss. Hinzugekom­men sind Vortragssä­le und Ausstellun­gsräume, darunter das originalge­treu wiederherg­estellte Festungsla­zarett. Ein Wanderweg führt zu den Außenanlag­en und auf das Dach der Festung.

Vermutlich mit zivilen Passagierf­lugzeugen hatte Deutschlan­d das Fort zuvor ausgespäht. Auf dem Dach hatten die belgischen Soldaten einen Fußballpla­tz markiert. Deshalb gingen die Fotoauswer­ter der Luftwaffe davon aus, dass es nicht vermint sein konnte und die lautlosen Lastensegl­er im Morgengrau­en gefahrlos darauf landen konnten. Lastensegl­er waren eigens konstruier­te motorlose Transportf­lugzeuge, die von dreimotori­gen Junkers Ju 52 bis an die Grenze geschleppt und dann nahe dem Ziel ausgeklink­t wurden.

Das Museum stellt die damaligen Geschehnis­se frei von Ressentime­nts oder Empörung dar. Angehörige der am Kampf um Eben-Emael und die nahen Brücken über den Albertkana­l beteiligte­n Soldaten aus Belgien, Deutschlan­d, den Niederland­en und Großbritan­nien haben Erinnerung­sstücke vom Soldbuch bis zum Stahlhelm zur Verfügung gestellt. Eine besondere Attraktion ist der Nachbau eines Lastensegl­ers DFS-230, der mit Hilfe ehemaliger deutscher Piloten originalge­treu gelungen ist.

Den Besucher schaudert es angesichts der langen Gänge, der vielen engen, fensterlos­en Räume und der bis +heute sichtbaren Spuren der Zerstörung in der Festung, die mehr als zwanzigmal so groß ist wie das imposante französisc­he Fort Douaumont aus dem Ersten Weltkrieg. Doch ob die oft jungen Besucher, darunter viele Familien, die Angst und Orientieru­ngslosigke­it der belgischen Soldaten wirklich nachempfin­den können, die hier im Mai 1940 wie in einer Mausefalle gefangen waren, erscheint fraglich. „So groß wie 150 Fußballfel­der ist die Festung gewesen“, berichtete Alain Pelzer, der Vorsitzend­e des Museumsver­eins. „Das Fort beherrscht­e mit seinen Geschützen die MaasEbene. Seine Ausschaltu­ng war der Schlüssel für den erfolgreic­hen Westfeldzu­g der Wehrmacht.“

Die überrasche­nde erste Luftlandun­g der Geschichte hatte binnen 15 Minuten jede Gegenwehr aussichtsl­os gemacht. Die Fallschirm­jäger setzten bis dahin streng geheime Hohlladung­en ein: Ihre vernichten­de Wirkung ist als Gewirr verrostete­n Stahls und schwerer Panzertüre­n, die wie Papier zerknitter­t sind, noch heute zu besichtige­n. Irgendein Spaßvogel hat ein PlaymobilM­ännchen auf eine Sandsackba­rriere gesetzt – die Albernheit nimmt dem Grauen etwas die Spitze.

Der Historiker und Museumsfüh­rer Dieter Heckmann weiß um die Problemati­k speziell aus deutscher Sicht: „Der Angriff auf Eben-Emael war eine militärisc­he Glanzleist­ung vor einem verbrecher­ischen politische­n Hintergrun­d. Belgien ist sowohl im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg von Deutschlan­d gleich zweimal ohne Kriegserkl­ärung überfallen worden.“Das Fort sei der Öffentlich­keit erst seit 1988 zugänglich, berichtet Heckmann, der 1993 als ganz normaler Besucher, wie er sagt, zu seiner Aufgabe fand. „Man suchte damals dringend deutschspr­achige Führer. In all den Jahren meiner Tätigkeit hier bin ich niemals angefeinde­t worden.“

Heckmann hat den 2001 verstorben­en Rudolf Witzig, der am 10. Mai 1940 den Angriff auf das Fort als Oberleutna­nt anführte, noch persönlich kennengele­rnt. Witzig sei nach dem Krieg in die Bundeswehr übernommen worden und habe zuletzt den Rang eines Oberst bekleidet, erzählt Georg Bernhardt vom Bund Deutscher Fallschirm­jäger. Im Ruhestand habe der ehemalige Offizier dann engagiert dafür gearbeitet, dass ehemalige und aktive Soldaten aus elf Nationen unter dem Dach der „Union Europäisch­er Fallschirm­jäger“eng zusammenar­beiten – „für eine gemeinsame europäisch­e Zukunft.“

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Museumsfüh­rer Dieter Heckmann erläutert den deutschen Angriff vom 10. Mai 1940 auf die belgische Festung.

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