Rheinische Post

Ein Leben für Musik

Margarete Renk (100) hatte eine wichtige Begleiteri­n für ihr ganzes Leben: die Musik.

- VON TIM SPECKS

Wer 100 Jahre alt ist, hat es schon mal schwer. Schwer, von A nach B zu kommen. Schwer, einen Schrank aufzuschli­eßen. Schwer, sich an Dinge zu erinnern. Vor fünf Monaten ist Margarete Renk ein Jahrhunder­t alt geworden. Fortbewege­n kann sie sich nur noch in einem Rollstuhl. Den Schlüssel zu ihrem Safe hat sie kürzlich verlegt. Aber an ihre Lieder erinnert sie sich.

Margarete Renk wurde am 23. Juli 1917 geboren. Sie kam als zweites von insgesamt neun Kindern zur Welt. Ihre älteste Schwester starb mit zwei Jahren, früh fiel ihr deshalb die Rolle der großen Schwester zu: Wenn sie nicht in der Schule war, hatte sie auf ihre Geschwiste­r aufzupasse­n. „Ich hatte deshalb eigentlich keine richtigen Hobbys“, sagt Renk. So ganz stimmt das nicht – sie scheint nur nicht so recht gemerkt zu haben, dass aus einem Talent ein Hobby geworden ist.

Wer Renk nämlich fragt, was ihr Leben bislang ausgemacht hat, der erhält eine deutliche Antwort: die Musik. „Schon in der Schule mussten ich und meine beiden Freundinne­n immer vor die Lehrerin treten und ein Lied singen“, sagt Renk. „Freiheit, die ich meine.“Dreistimmi­g. Für die drei Freundinne­n augenschei­nlich kein Problem. Zumindest für Margarete Renk nämlich lässt sich sagen: Sie hat die Musik im Blut – wortwörtli­ch, sozusagen. „Meine Mutter hat gerne Mundharmon­ika gespielt“, sagt sie. Das Erstaunlic­he daran: Auch alle ihre Geschwiste­r (mit Ausnahme von Elisabeth: „Die konnte nur singen.“) spielten Mundharmon­ika – ohne es je gelernt zu haben. „Wir konnten das einfach, es lag wahrschein­lich in unseren Genen.“

Nicht nur die Mundharmon­ika aber lag Renk. Sie spielte auch Geige, brachte sich selbst den Umgang mit der Gitarre bei. Die beiden Instrument­e aber gab sie ab, als sie älter wurde. Ihr Neffe Andreas bekam sie. Er ist Musiklehre­r – und bringt nun Kindern Noten auf den Instrument­en bei, die schon seine Tante Margarete spielte.

Was blieb, ist die Mundharmon­ika. Noch heute liegt sie in Renks Zimmer, im Schrank an der Wand, an der mittlerwei­le auch wieder der Safeschlüs­sel hängt. Allerdings: Es ist eine neue Mundharmon­ika. „Meine Schwester Maria hat sie mir letztes Jahr geschenkt. Einfach so.“Einfach so – das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Eine neue Mundharmon­ika war schließlic­h dringend nötig: Die alte spielte die Töne nicht mehr richtig, es musste eine neue her, damit die Renks ihr altes Ritual aufrechter­halten konnten – das Telefonkon­zert. Telefonkon­zert?

„Jeden Abend rufe ich meinen Neffen an, pünktlich um Viertel nach sieben.“Ihr Neffe holt dann noch Schwester Maria an den Hörer – und dann geht es los, das Telefonkon­zert. Margarete spielt auf der Mundharmon­ika, ihre Schwester und ihr Neffe singen. Und was spielen sie? „,Herr, bleibe bei uns.‘ Im Kanon – ich fange an, dann steigt Maria ein, dann mein Neffe.“So geht das jeden Abend. Immer um Viertel nach sieben. Musik verbindet eben.

Der gelernten kaufmännis­chen Angestellt­en aber reichen die abendliche­n Telefonkon­zerte nicht.

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Margarete Renk hat ihre Geige ihrem Neffen geschenkt – die Mundharmon­ika aber hat sie behalten und gibt damit gerne mal ein Ständchen.

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