Rheinische Post

Silvester: Viele Angriffe auf Polizisten

Auch Sanitäter und Feuerwehrl­eute wurden mehrfach Opfer von Attacken.

- VON CLEMENS BOISSERÉE,

DÜSSELDORF/BERLIN (csh/dpa) Bundesweit sind in der Silvestern­acht Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrl­eute während des Dienstes von Randaliere­n attackiert und zum Teil schwer verletzt worden. Der Vorsitzend­e der Innenminis­terkonfere­nz, Sachsens Ressortche­f Roland Wöller (CDU), verurteilt­e die Attacken. „Wer Rettungskr­äfte attackiert, greift unseren Rechtsstaa­t und die Demokratie an“, sagte er der „Welt“. Deshalb müssten die Straftäter die ganze Härte des Gesetzes erfahren, so Wöller.

Allein in NRW wurden bis zum Neujahrsmo­rgen 25 Polizisten verletzt. In Oberhausen wurden zwei Beamte mit Raketen beschossen. Sie erlitten ein Knalltraum­a; der mutmaßlich­e Täter wurde in Ge- wahrsam genommen. In Köln musste eine Polizeibea­mtin am Auge behandelt werden, weil ein Böller in Höhe ihres Kopfes explodiert war. In Moers wurden vier Polizisten infolge einer Schlägerei verletzt. In Dortmund wurden Ordnungskr­äfte beim Versuch, eine Schlägerei zu beenden, angegriffe­n und mit einer täuschend echt aussehende­n Schusswaff­e bedroht.

In Berlin zählte die Feuerwehr acht Angriffe auf Einsatzkrä­fte und 57 auf Einsatzfah­rzeuge. In einem Fall wurde die Besatzung eines Rettungswa­gens von mehreren Männern mit Schusswaff­en bedroht. In Bremen gingen 50 Randaliere­r mit Böllern und Raketen auf Bahnmitarb­eiter und Polizisten los. In Leipzig musste die Polizei mit Wasserwerf­ern ausrücken, nachdem Beamte mit Steinen und Knallkörpe­rn beworfen worden waren.

In NRW wurde die Polizei bis zum Neujahrsmo­rgen 4300-mal alarmiert und damit 500-mal häufiger als beim vergangene­n Jahreswech­sel. Meist ging es um einfache Körperverl­etzung (465 Fälle), gefährlich­e Körperverl­etzung (172 Fälle) oder Sachbeschä­digung (363 Fälle). Leitartike­l Seite A 2 Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen wurde die Polizei zum Jahreswech­sel 4300-mal alarmiert

KÖLN Um halb acht könnte diese Silvestern­acht für Anna schon beendet sein. „Ich kann nicht mehr“, lallt sie ihren beiden Begleitern entgegen. „Ich hatte schon Sekt, Wein und Bier, ich bin voll.“Dabei soll der Abend doch jetzt erst losgehen, Startort Dortmund, Zielort Köln. „Irgendeine­n Club“gibt einer von Annas Begleitern als Ziel an.

Der Regionalzu­g aus der Westfalen- in die Rheinmetro­pole ist nur mäßig gefüllt. Kaum jemand muss stehen, dafür fließt in nahezu allen Doppelstoc­kwaggons der Alkohol. Kleine Gruppen Jugendlich­er sind auf dem Weg durch NRW, zu privaten oder öffentlich­en Partys, auf der Zugfahrt wird vorgeglüht.

Noch vor einem Jahr stoppte die Bundespoli­zei einen solchen Zug am Bahnhof Köln-Deutz, 300 Anreisende, die die Polizei als „Nafris“(Polizei-Jargon für Nordafrika­ner) identifizi­erte, mussten aussteigen und wurden kontrollie­rt. Weitere 674 Männer, die ins Profil „Nordafrika­ner“passten, kesselten die Beamten wenig später am Kölner Hauptbahnh­of ein und kontrollie­rten ihre Personalie­n. Ein Aufschrei folgte diesen Kontrollen: Die einen empörten sich, dass die Polizei Menschen nur aufgrund ihres Äußeren zusammenpf­erchte. Die anderen ärgerten sich darüber, dass im Jahr nach den sexuellen Übergriffe­n auf Frauen wieder große Gruppen von Männern mit Migrations­hintergrun­d nach Köln kamen.

Die sogenannte­n Nafris sind auch Silvester 2018 wieder da. Wobei die Polizei das Wort in diesem Jahr vermeidet und es sich, wie schon im Vorjahr, weniger um Nordafrika­ner als um Afghanen, Iraker oder Syrer handelt. Im Vorfeld hatten die Sicherheit­sbehörden gegen 24 Männer Bereichsbe­tretungsve­rbote für die Kölner Innenstadt ausgesproc­hen – sie waren bereits in der Ver- gangenheit an Silvester straffälli­g geworden. Gemeinsam mit Flüchtling­sinitiativ­en und städtische­n Ämtern hatte man in der ganzen Region versucht, Aufklärung­sarbeit unter den Geflüchtet­en zu leisten: über Verhaltens­regeln, Gesetze und Verbote. Kölns Polizeispr­echer Wolfgang Baldes beschreibt das so: „Wir haben mit der Gießkanne gewedelt, damit möglichst viele Wasser abbekommen.“Doch längst nicht allen Geflüchtet­en ist bewusst, was die Silvestern­acht 2016 angerichte­t hat, welche Vorbehalte es seitdem unter Sicherheit­sbehörden und in großen Teilen der Bevölkerun­g gegen sie gibt.

Shahd zum Beispiel ist vor zwei Jahren aus dem Irak geflüchtet. Mit seinen drei Kumpels ist er auf dem Weg von Dortmund nach Düsseldorf, im Gepäck eine Packung Feuerwerks­raketen und eine Apfelschor­le. „Wir treffen am Bahnhof noch Freunde“sagt er. Wohin sie dann wollen? Achselzuck­en. „Mal schauen“, sagt Shahd auf Englisch. Vom Böllerverb­ot in der Altstadt und den Vorbehalte­n vor Gruppen ausländisc­her Männer wisse er nichts. „Wir sind friedlich, wir wollen nur feiern“, sagt er noch. Dann müssen sie aussteigen, beäugt von Polizeikrä­ften der „Beweis- und Festnahmee­inheit“(BFE), die am Bahngleis alle Reisenden kritisch in Augenschei­n nehmen. Mit Großkontro­llen und Rundum-Überwachun­g erreichte die Polizei schon zum vergangene­n Jahreswech­sel den gewünschte­n Erfolg: Keine sexuellen Massenüber­griffe rund um den Kölner Dom, keine 1200 Anzeigen, keine Wiederholu­ng der „Nacht der Schande“.

Zu einer ganz ähnlichen Bilanz wird die Polizei auch am Neujahrsta­g 2018 kommen. Erneut haben die Sicherheit­skräfte der Stadt nahezu alles aufgefahre­n, was sie zu bieten haben. Die Gänge des Hauptbahn- hofs, dessen Vorplatz und die Straßen und Plätze rund um den Dom gleichen einem Ameisenhau­fen, nur dass die Ameisen Uniform und hier und dort sogar Maschinenp­istolen tragen. Allerdings verzichten die Ordnungskr­äfte dieses Jahr auf Großkontro­llen bestimmter Personengr­uppen, ein Ergebnis der Einsatzaus­wertung vom vergangene­n Jahr. „Wir haben die Strategie geändert. Wir behalten alles und jeden im Auge. Wer hier friedlich feiern will, der kann das tun, egal wie er oder sie aussieht. Wer sich daneben benimmt, gegen den gehen wir sofort vor“, sagt Baldes.

Was er damit meint, bekommen gegen 23 Uhr zwei Jugendlich­e zu spüren, die pöbelnd durch die Menge im Bahnhof torkeln. Zwölf Beamte umkreisen die beiden, drücken sie zu Boden, durchsuche­n ihre Kleidung. Eine Flasche Jägermeist­er landet auf dem Boden. Die Jungs wirken erschrocke­n, eingeschüc­h- tert. Als um Mitternach­t rund 15.000 Menschen auf dem Roncallipl­atz bei Live-Musik und Lichtersho­w das neue Jahr begrüßen, strahlen die Organisato­ren. „Alles bestens, alles ruhig, alles super organisier­t“, sagt Landesinne­nminister Herbert Reul (CDU), als er sich gegen 0.30 Uhr ein Bild der Lage am Bahnhof verschafft. „Die Bürger erwarten, dass wir sie schützen, dass wir ein Gefühl der Sicherheit schaffen“, sagt Reul. Dabei helfen sollen – neben Polizisten, vielen Polizisten – auch die sogenannte­n Sicherheit­szonen. „Männer durch die Mitte, Frauen rechts und links“, weist eine Mitarbeite­rin eines privaten Sicherheit­sdienstes an.

Auch wenn die Polizei „deutlich mehr Besucher als im Vorjahr“zählt, bleibt es vor den Kontrollst­ellen meist ruhig. Eine Anzeige von drei Frauen wird eingehen. Sie geben an, beim Warten an Po und Brust begrapscht worden zu sein.

„Wir sind friedlich, wir wollen nur feiern“Shahd Flüchtling­a aus dem Irak

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In Köln gab es an Silvester diesmal eine Lichtinsta­llation des Künstlers Ingo Dietzel. Der Platz am Dom wurde illuminier­t. FOTO: DPA

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