Rheinische Post

Politik ohne Kuhhandel – Visionen der Jungen

Ein Gespräch über die Umsetzung von Wahlverspr­echen „in Reinkultur“und die Notwendigk­eit, das Politiker-Image zu verbessern.

-

BERLIN Wir haben die beiden jüngsten Abgeordnet­en von CDU und SPD auf neutralem Boden im Bundestag getroffen. Über Träume, Ärger und Ziele zweier Männer, die vielleicht Koalitions­partner werden. Herr Amthor, Herr Özdemir, Sie sind die Zukunft. Wovon träumen Sie? AMTHOR Ich träume nicht zu allererst von einer guten Zukunft für die Partei, sondern von einer guten Zukunft für das Land. Ich bin mit Leib und Seele CDU-Politiker, bin aber nicht Abgeordnet­er geworden, um nur die CDU voranzubri­ngen. ÖZDEMIR Ich träume davon, dass wir das tun, was Willy Brandt gesagt hat, nämlich dass wir die Antworten auf die Fragen unserer Zeit finden. Und dass wir einen neuen Gesellscha­ftsvertrag abschließe­n mit allen Menschen, die nach Deutschlan­d gekommen sind, ob aus Gründen von Flucht und Vertreibun­g oder aus Hoffnung auf ein besseres Leben. Jetzt sind wir schon ganz schön parteipoli­tisch. Was erträumen Sie sich persönlich von Ihrer Arbeit? ÖZDEMIR Die persönlich­en Ambitionen muss man immer zurückstel­len. Das Amt kommt zur Person, und zwar erst, wenn man anständige Arbeit gemacht hat und die nötige Reife und Würde mitbringt. Kommt Zeit kommt Rat. AMTHOR Ich hoffe, dass die Menschen in meinem Wahlkreis am Ende der Legislatur­periode sagen werden, der Philipp Amthor hat gute Arbeit gemacht. Und, ich glaube das eint uns beide, Du sagst ja auch, das Image von Politikern muss besser werden. Die üblichen Vorurteile sind, Politiker sind faul und kümmern sich nur um sich selbst. Sie duzen sich? ÖZDEMIR Damit hat Herr Amthor einfach angefangen, obwohl ich der Ältere bin und es hätte anbieten müssen. Aber ich gewähre es. Okay, Spaß beiseite. AMTHOR Du! Das genossensc­haftliche ÖZDEMIR Auch in einer Koalition müssen wir Verspreche­n aus dem Wahlkampf in Reinkultur umsetzen – und dafür auf anderes verzichten. Diese Art von Demokratie verstehen die Menschen. Sie wollen keinen Kuhhandel, sondern die Umsetzung einer klaren Zusage, die sie schon im Wahlkampf auf dem Marktplatz in Homberg gehört haben. AMTHOR Politiker müssen nahbar sein. Ich habe im Wahlkampf meine Handynumme­r auf die Plakate geschriebe­n und bin zum Beispiel von einer Frau angerufen worden, die einfach mal testen wollte, ob ich wirklich erreichbar bin. ÖZDEMIR Ich bin im Haustürwah­lkampf von einer Frau zu einer Handschrif­tprobe aufgeforde­rt worden, weil sie auf meinem Flyer zu sehen war. Sie wollte abgleichen, ob wirklich der Bundestags­abgeordnet­e vor ihr steht. Die Menschen wollen Politiker zum Anfassen haben und Glaubwürdi­gkeit spüren. Das ist unsere einzige Währung. Herr Amthor, ginge es nach den Jusos, werden Sie beide nicht in einer Koalition sitzen, richtig oder dämlich? AMTHOR Ich finde, die sollten mal aufhören zu jammern. Die SPD hat viel durchgeset­zt, den Mindestloh­n zum Beispiel, aber gesagt, alles war schlecht. Jetzt sind sie in einem strategisc­hen Dilemma. ÖZDEMIR Auf der anderen Seite musste sich die SPD vor die Kanzlerin stellen, während aus ihrer eigenen Jugendorga­nisation ihr Rücktritt gefordert wurde. AMTHOR Das war eine Einzelmein­ung. Wir stehen hinter der Kanzlerin. ÖZDEMIR Ich nehme wohlwollen­d zur Kenntnis, dass die Sozialdemo­kraten nicht die Einzigen sind, die Bundeskanz­lerin Merkel verteidige­n. Falls die Groko zustande kommt, muss sie etwas ganz Neues darstellen – was wäre das? Irgendeine Leitidee? ÖZDEMIR Wir brauchen Sicherheit im Arbeitsleb­en, Sicherheit für die Kommunen und auf der Straße. Wenn man von meiner Generation­en erwartet, dass wir ein Haus bauen und Kinder zeugen, dann muss man uns auch Sicherheit geben und keine befristete­n Arbeitsplä­tze. Wir müssen in die Bildung investiere­n, und dann darf die Schule heute nicht genauso aussehen wie zu dem Zeitpunkt, als ich sie verlassen habe. Wünschen wir uns einen Staat, der sagt, ich habe gerade keinen Streifenwa­gen frei oder einen Staat, der auch mal mit dem Schlagstoc­k vorbeikomm­t und den Rechtsstaa­t durchsetzt? Ich sage letzteres, aber dafür brauchen wir mehr Polizisten. AMTHOR Die Sicherheit­sbeschreib­ung war eine sehr gute, aber die Mängellist­e war vielleicht auch eine Zustandsbe­schreibung von NRW, wo die SPD bis Mai regiert hat. Deswegen ist es gut, dass jetzt meine CDU mit Herrn Laschet dort regiert. ÖZDEMIR Die Einstellun­gen bei der Landespoli­zei sind von 2005 bis 2009 konsequent gedrückt worden, da hat Schwarz-Gelb regiert. Warum kranken Ihre Parteien an Frauenmang­el? ÖZDEMIR In Duisburg haben wir zwei Bundestags­wahlkreise und da sind wir als Sozialdemo­kraten paritätisc­h besetzt. AMTHOR Regional kann es an Vorpommern auch nicht liegen. Wir ÖZDEMIR In den Verhandlun­gen mit der SPD wird es um Inhalte wie Sicherheit in der Rente, Sicherheit im Arbeitsleb­en, Sicherheit für kommunale Finanzen gehen und nicht darum, Frau Merkel und Herrn de Maizière (Bundesinne­nminister) den Dienstwage­n oder das Ministeriu­m zu sichern. Wenn die Union unsere Inhalte unterschre­ibt, dann geht es wirklich ums Land. Wenn es zur Groko kommt, was würden Sie sich gegenseiti­g verspreche­n? ÖZDEMIR Ich verspreche dem Kollegen Fairness, Ehrlichkei­t und Offenheit. Und wenn eine Ansage von mir kommt, dann von vorne ins Gesicht und niemals von hinten. AMTHOR Das kann ich teilen. Und wir sollten uns verspreche­n, gemeinsame Erfolge nicht zu zerreden.

 ??  ?? Philipp Amthor (CDU, 25, l.) und Mahmut Özdemir (SPD, 30) im Deutschen Bundestag.
Philipp Amthor (CDU, 25, l.) und Mahmut Özdemir (SPD, 30) im Deutschen Bundestag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany