Rheinische Post

60 Jahre Punktesamm­eln in Flensburg

Im Wirtschaft­swunder-Deutschlan­d stieg die Zahl der Autos und auch der Unfälle. Deswegen wurde am 2. Januar 1958 die Verkehrssü­nderdatei auf den Weg gebracht. 2016 gab es rund 8,6 Millionen Punkte-Inhaber.

- VON BIRGITTA VON GYLDENFELD­T

FLENSBURG/MÜNCHEN (dpa) Am Steuer mit dem Handy telefonier­t. Gedrängelt. Gerast. Nach drei Glühwein ins Auto gesetzt und nach Hause gefahren. Wer dabei erwischt wird, kassiert Punkte in Flensburg. Gesammelt werden sie beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in der sogenannte­n Verkehrssü­nderdatei. Sie ist 60 Jahre alt. Am 2. Januar 1958 ging das Register in Betrieb.

2016 gab es nach Angaben der Behörde rund 8,6 Millionen PunkteInha­ber. Etwa 6,6 Millionen davon waren Männer. Die meisten Einträge gab es wegen Geschwindi­gkeitsvers­tößen. Bei Männern waren es 3,8 Millionen, bei Frauen 1,1 Millionen. Die Zahlen sind seit Jahren relativ konstant. Zum 1. Januar 2017 stieg der Bestand kurzfristi­g auf mehr als zehn Millionen Personen an – wegen der seit der Reform des Punktesyst­ems im Mai 2014 verlängert­en Tilgungsfr­isten.

Den Punktezähl­ern in Flensburg wird die Arbeit wohl nicht so schnell ausgehen, glaubt der Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes niedergela­ssener Verkehrsps­ychologen, Rüdiger Born. „Es ist ja nicht naturgegeb­en, sich an Regeln zu halten.“Viele Menschen bekämen in ihrer Autofahrer­karriere mal einen Punkt.

„Die überwiegen­de Zahl der Einträge wird innerhalb einiger Jahre wieder gelöscht“, so der Verkehrsps­ychologe. Sprich, der Autofahrer lerne dazu und halte sich eher an die Regeln, weil er weitere Punkte ver- meiden wolle. Der Eintrag ist schnell wieder gelöscht. Um so viele Punkte zu sammeln, dass der Führersche­in entzogen wird, brauche es eine „große Beharrlich­keit“, sagt Born.

Hunderte Regalmeter in einem 60er-Jahre-Zweckbau in Flensburg sind gefüllt mit Hängeakten. Im Schredder im Keller werden die Papier gewordenen Punkte nach Erlöschen vernichtet. Doch auch im Kraftfahrt-Bundesamt macht der di- gitale Fortschrit­t nicht Halt. „Noch gibt es sie zwar, die bekannten Ordner in den Hängeregis­traturen“, sagt Präsident Ekhard Zinke. Doch dieses vertraute Bild sei in absehbarer Zeit Geschichte. Der Datenbesta­nd werde nach und nach digitalisi­ert. Höchstens 20 Prozent der gespeicher­ten Personenda­ten sind noch auf Papier vorhanden, so eine Schätzung. Für Zinke zeugt die Digitalisi­erung „von der Fortschrit­tlichkeit und heutigen Modernität“des vor 60 Jahren eingeführt­en Registers.

Am 2. Januar 1958 nahm das Verkehrsze­ntralregis­ter in Flensburg seine Arbeit auf. Der Grund: Der Autoverkeh­r nahm im Wirtschaft­swunderlan­d Bundesrepu­blik Deutschlan­d rasant zu, die Zahl der schweren Unfälle auch. Das Punktesyst­em gab es in den ersten Jahren des Registers allerdings noch nicht. In der sogenannte­n Verkehrssü­nderdatei wurde zunächst nur registrier­t, wenn jemandem die Fahrerlaub­nis versagt oder entzogen wurde.

1974 wurde das Punktesyst­em eingeführt – aus einem traurigen Grund: Anfang der 70er Jahre war nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s der Rekordwert von mehr als 21.000 Verkehrsto­ten zu beklagen. Es gab 20,8 Millionen Fahrzeuge. Das heißt: Statistisc­h gesehen kamen 102 Tote auf 100.000 Fahrzeuge jährlich. Heute sind gut 55 Millionen Autos, Lastwagen und Motorräder auf Deutschlan­ds Straßen unterwegs. Die Zahl der Verkehrsto­ten hat sich im Vergleich zu den 70er Jahren deutlich reduziert. 3206 waren es im Jahr 2016. Für KBA-Chef Zinke liegt das auch an den Flensburge­r Punkten, auf die er einen gewissen Stolz nicht verhehlen mag. Er sei sich aber bewusst, dass neben den Punkten weitere Faktoren eine Rolle für den Rückgang spielen; etwa, dass die Autos sicherer geworden sind.

Ob es ohne das Register mehr (tödliche) Unfälle und Regelverst­öße gäbe, lässt sich schwer sagen. „Die wenigsten Unfälle werden mit Vorsatz verursacht“, hieß es im Sommer beim ADAC. Es komme immer wieder zu schweren Regelverst­ößen. „Dabei spielt häufig die Illusion eine große Rolle, jede Situation unter Kontrolle haben zu können.“

KBA-Präsident Zinke ist überzeugt, dass das Register noch lange gebraucht wird: „Weitere Dekaden seiner Existenz werden auch künftig einen Beitrag zur Gewährleis­tung der Verkehrssi­cherheit leisten.“

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Behördenmi­tarbeiter Helmuth Straßenbur­g füttert den Reißwolf mit Akten von Verkehrsve­rstößen.

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