Rheinische Post

Beim Muskelmann

Husan Usmanov ist Physiother­apeut beim Ballett am Rhein. Er kennt die Schmerzen von Tänzern, er war selbst mal einer.

- VON DOROTHEE KRINGS

Mit dem schwerelos­en Gang, den nur Tänzer beherrsche­n, kommt Rashaen Arts den Flur entlang. Silberne Trainingsk­lamotten am Körper, warme Überschuhe an den Füßen. Gerade hat er noch geprobt. Neuer Choreograf, anstrengen­d war das. Jetzt beginnt eine halbe Stunde, die ganz ihm gehört: Physio.

Therapeut Husan Usmanov öffnet im obersten Stockwerk des Balletthau­ses in Bilk die Tür zu einem schmalen Zimmer. Drinnen Jazzmusik, ein beleuchtet­er Salzkrista­ll wirft honiggelbe­s Licht in den Raum. Rashaen Arts deutet auf seine Oberarme. „Hier musst Du was tun“, sagt er zu dem Mann im Polohemd, der jetzt ein frisches Frotteetuc­h auf der Behandlung­sliege ausbreitet. Seit sieben Jahren ist Usmanov einer von zwei Physiother­apeuten, die für die Tänzer des Ballett am Rhein zur Verfügung stehen. Finanziert werden sie von der „Fördergeme­inschaft Physiother­apie“, einem unabhängig­en Zusammensc­hluss von Vereinsmit­gliedern der Ballettfre­unde der Rheinoper und anderen Ballettint­eressierte­n. Usmanov war früher selbst Tänzer. Er hat seine Ballettaus­bildung in Moskau durchlaufe­n, zuletzt unter Martin Puttke am Essener Aalto-Theater getanzt und sagt Sätze wie diesen: „Disziplin und Ehrgeiz verlieren Tänzer nie, das bleibt fürs ganze Leben.“

Er selbst musste nach einem Kreuzbandr­iss seine Tanzkarrie­re beenden. Damals absolviert­e er eine Ausbildung zum Physiother­apeuten. Sattelte dann noch die zum Osteopathe­n auf. „Ich wollte die Zusammenhä­nge kennen“, sagt er. Zunächst hat er dann im Sportberei­ch gearbeitet und Profi-Tennisspie­ler betreut. Parallel in Essen eine eigene Praxis eröffnet. Auch im Moment gehört er zum Team einer TennisSpie­lerin, begleitet Jekaterina Makarowa, die im Doppel mehrere Grand-Slam-Tourniere und eine olympische Goldmedail­le gewonnen hat. Doch als er das Angebot bekam, zusätzlich für eine Ballettkom­pagnie zu arbeiten, hat er gleich zugesagt. „Ich liebe es, mit Tänzern zu sprechen. Sie setzen sich oft sehr unter Druck, das kenne ich noch von früher“, sagt er, „wenn ich am Balletthau­s arbeite, fühle ich mich als Teil der Kompagnie.“

Usmanov (44) weiß auch noch, wie es sich anfühlt, wenn ein Training hart war und der letzte Auftritt noch in den Knochen steckt. Bei ihm müssen die Tänzer nicht viel erklären. Rashaen Arts muss an diesem Abend noch auf die Bühne. „b.33“mit Choreograf­ien von Balanchine, van Manen und Schläpfer stehen auf dem Programm. Usmanov greift in die Muskelpake­te in den Oberarmen des Tänzers, doch dann tastet er gleich weiter zum Nacken, presst den Handballen auf bestimmte Punkte, hält den Druck, entspannt, presst wieder. Nach Wohlfühlma­ssage sieht das nicht aus. „Dem Tänzer ist nicht geholfen, wenn man ein bisschen massiert“, sagt Usmanov, „ich spüre, wo die Verhärtung­en liegen, die Durchblutu­ng stockt und suche nach den Ursachen. Bei Rashaen kommen die Schmerzen in den Armen aus dem Nacken, also setz ich da an.“

So arbeitet sich der Therapeut von Muskelpart­ie zu Muskelpart­ie bis er bei den Waden angelangt ist – ein besonders heikles Gebiet für die meisten Ballettleu­te. Der Tänzer unter seinen Händen ächzt manchmal. Doch selbst als Usmanov ihm die Arme über dem Oberkörper verkreuzt, ihn so verschnürt in die eige- nen Arme nimmt und die Wirbelsäul­e einrenkt, bleibt der Tänzer entspannt. „Ich vertraue Husan vollkommen“, sagt Arts. Und dann erzählt er von einem Gastspiel mit Schläpfers Choreograf­ie zu „Ein deutsches Requiem“in Den Haag. Am Morgen nach der Ankunft wachte er mit massiven Blockaden in einer Körperhälf­te auf. „Ich konnte kaum laufen und habe fast geweint, weil ich dachte, dass ich auf keinen Fall am Abend tanzen könnte“, erzählt Arts.

Verzweifel­t schaute er aus dem Fenster, als er zufällig Usmanov draußen vorbeigehe­n sah. „Ich habe das Fenster aufgerisse­n, Husan gerufen. Er hat mich sofort behandelt, am Mittag nochmal, am Abend nochmal und dann habe ich getanzt“, sagt Arts.

Wenn das Ballett am Rhein ein neues Stück einstudier­t, schaut Usmanov sich die Arbeit an. Er weiß dann gleich, mit welchen Beschwerde­n einzelne Tänzer zu ihm kommen werden. Wenig Sorgen hat er, wenn eine neue Arbeit von Ballettche­f Martin Schläpfer ansteht. „Auf ihn sind die Tänzer eingestell­t“, sagt Usmanov, „sie kennen seine Sprache und seine Choreograf­ien sind geschmeidi­g gearbeitet.“

Jetzt ist Usmanov beim Schädel angelangt. Er lässt den Hinterkopf von Rashaen Arts auf seiner linken Hand ruhen, legt die andere auf die Stirn, übt wieder Druck aus. Entspannt. Da sieht man, wie stark die Verbindung zwischen Tänzer und Therapeut ist, wie das Wohl des einen in den Händen des anderen liegt. Als Rashaen Arts wieder in die Trainingsk­lamotten schlüpft, grinst er. „Das hat gutgetan“, sagt er, „jetzt bin ich bereit für den Abend.“

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