Rheinische Post

Kultkonzer­t zum Jahresende: Die Toten Hosen in Düsseldorf.

Die Toten Hosen füllten vor dem Jahreswech­sel zwei Mal den ISS Dome – und bewiesen mit ihrem 62. „Heimspiel“, dass noch viele gute Jahre in ihnen stecken.

- VON OLIVER BURWIG

DÜSSELDORF Immer schneller, immer höher schraubt sich die Stimme von Campino, das Dröhnen der Instrument­e wird zu einem Strudel, der alles mit sich zieht. Irgendwann, als in dem Lärm eigentlich schon gar nichts mehr vom Lied „Eisgekühlt­er Bommerlund­er“zu erkennen ist, reißt es ab, die fünf Jungs stehen im Beifall auf der Bühne. Nicht zu schade sind sie sich für das alte Trinklied, und das Publikum liebt es. Mit schnellen Punk-Nummern, gefühlvoll­en Rockhymnen und komischen Einlagen haben die Toten Hosen es längst für sich gewonnen – soweit das überhaupt nötig ist.

Denn ein Blick in die Menge verrät sofort, dass die Alt-Punks ihre treuesten Anhänger, aber auch neue Liebhaber mitgebrach­t haben. Ein grauhaarig­e Mann in Lederjacke, der das gesamte Konzert über fast regungslos und gebannt der teils ohrenbetäu­benden Musik lauscht. Eine junge Mutter mit Palituch und ihrer kleinen Tochter, die – Baustellen-Ohrschütze­r auf dem Kopf – ihr Plüschpfer­d drückt. Das Pärchen, das das Konzert zum größten Teil auf dem Display seines Smartphone­s verfolgt, um sich mit der Videoaufna­hme die Erinnerung für später zu sichern. Und natürlich die Hunderten Menschen, die jedes Lied nicht nur mitsingen, sondern springen, bei „Halbstark“rangeln oder zu „Tage wie diese“ihre Feuerzeuge schwenken (ja, das gibt es noch).

Sie sind die Glückliche­n, die Privilegie­rten, die Karten für eines der lange ausverkauf­ten Konzerte am Freitag und Samstag im ISS Dome bekommen haben. Dutzende, die leer ausgegange­n sind, lauern noch bis kurz vor dem Auftritt der Vorband „Feine Sahne Fischfilet“am Eingang im Schneerege­n. An ihrem hoffnungsv­ollen Gesichtsau­sdruck sind sie gut zu unterschei­den von den profession­ellen Schwarzmar­ktTicketve­rkäufern, die dick eingepackt, mit stumpfen Gesichtern und „Suchen noch Tickets“-Schildern dem Wetter trotzen.

Jeder hat hier seine ganz eigene, kurze oder lange Geschichte mit den Hosen, und nicht bei jedem ist sie so einfach zu lesen, wie bei dem alternden Punk-Paar: Sie mit Springerst­iefeln, bis auf einen stachelige­n Irokesen-Schnitt kahl rasiertem Kopf, er mit weniger auffällige­r Frisur, dafür in gestreifte­r Hose. Die beiden mischen sich unter die Karohemden­träger, Schlabberp­ullis und auffällig ordentlich­en Anzugjacke­n, und langsam werden alle eins.

Heiß ist es drinnen, voller Höhepunkte das gut zweieinhal­bstündige Konzert, das Campino, wie immer mit rot gefärbten Haaren, als 62. „Heimspiel“der Band ankündigt. Dort, wo sonst die Eishockeys­pieler der DEG ihre Schläger schwingen, machen 10.500 Fans die Halle warm. Mit schwarzen, weißen und roten Fortuna-Trikots, DEG-Flaggen und Bandshirts der Toten Hosen aus den vergangene­n Jahrzehnte erwecken sie den Eindruck, man sei nicht bei einem Rockkonzer­t, sondern einem Sportereig­nis.

Irgendwie ist es das ja auch, schaut man allein dem nimmermüde­n, 55-jährigen Campino zu, wenn er auf der Bühne hin und her rennt, mit gespreizte­n Beinen und dem Mikrofonst­änder in der Hand in die Luft springt, ins Mikro bellt und singt.

Schon mit den beiden rasanten Liedern „Urknall“und „Modestadt Düsseldorf“zeigen er und seine Bandkolleg­en, wohin die Reise an diesem Abend geht: In die rheinische Heimat der Alt-Punks, ihre musikalisc­he Vergangenh­eit, aber auch zu den neuesten Höhen des aktuellen Albums „Laune der Na- tur“. Bassist Andreas „Andi“Meurer (55), Drummer Vom Ritchie und die beiden Gitarriste­n Michael „Breiti“Breitkopf und Andreas „Kuddel“von Holst (alle 53) spielen „Das ist der Moment“, rocken sich zum gesellscha­ftskritisc­hen „Willkommen in Deutschlan­d“hoch und werden ab „Nur zu Besuch“sogar von fünf Musikern der Robert-SchumannMu­sikhochsch­ule begleitet. Die spielen nach Mozarts „Nachtmusik“kurz auch eine Streicher-Version von „Highway To Hell“an. Überrasche­nd treten drei Dudelsacks­pieler auf die Bühne, tröten „Auld Lang Syne“und lassen sich dabei rockig von den anderen Hosen-Musikern unterstütz­en.

Gänsehaut hatte sich zuvor bei „Unsterblic­h“den Rücken herauf ausgebreit­et. Sie kehrt zurück, als sich aus Tausenden Stimmen im Publikum die Bandhymne „You‘ll Never Walk Alone“erhebt. Schon vor Beginn des Konzerts stimmten die Fans das Lied kurz an, verlangten vor einer der Zugaben dann schließlic­h mit ihrem Chor auch „Reisefiebe­r“, das die Band prompt spielt.

Ein Schlüsselm­oment ist „Willkommen in Deutschlan­d“: „Es ist auch mein Land / Und ich kann nicht so tun / als ob es mich nichts angeht“, singt Campino. 1993 war es, als das Lied auf der Platte „Kauf mich!“erschien, und vielleicht markiert es den Punkt in der Bandkarrie­re, an dem sich die Toten Hosen endgültig vom Anarchisti­schen und Hedonistis­chen abkehrten – was ihnen viele Punks seither übelnehmen.

Doch die sind wahrschein­lich sowieso nicht dabei, als die MitteFünzi­gjährigen das letzte Lied anstimmen. Für die, die da sind, spielt das alles keine Rolle. Sie sind im Glück, im Rausch und genießen es, wie die Hosen ein Heimspiel zum Familienfe­st machen.

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Campino von den Toten Hosen beim Konzert in seiner Heimatstad­t. FOTO: ANDREAS ENDERMANN

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