Rheinische Post

Lauf, Gladys, lauf!

Gladys Just (43) ist berufstäti­g, Mutter einer Patchwork-Familie und siegreiche Marathon-Läuferin. Alles unter einen Hut zu bekommen, ist ambitionie­rt, aber machbar. Eine Erfolgsges­chichte, die 2018 fortgeschr­ieben werden soll.

- VON PATRICK SCHERER

Gladys und Björn. Yves, Lynn, Jannik und Julia. Wer die Definition von Patchwork-Familie sucht, findet sie hinter einer roten Haustür im Ratinger Westen. Gladys Just sitzt am Küchentisc­h und trinkt einen Milchkaffe­e, als ein Mann in der winterlich­en Dunkelheit über die Verandatür mit einem Korb bunt gemischter Einkäufe den Raum betritt. Es ist Björn Tertünte. Vor 14 Monaten kannten sich die beiden nicht einmal, jetzt wohnen die 43-Jährige und der 44-Jährige mit ihren vier Kindern aus vorherigen Beziehunge­n – je zwei – in einem Reihenhaus zusammen. Alle sechs vereint eine Leidenscha­ft: die Liebe zum Sport. Die Erwachsene­n laufen Marathon, die Kinder spielen Volleyball oder Fußball, die Älteste rudert. Gladys Just kann dabei große Erfolge vorweisen. Sie ist aktuelle Halbmarath­on-Europameis­terin mit der Mannschaft in ihrer Altersklas­se. Und sie strahlt, wenn sie ihre ganz private Erfolgsges­chichte erzählt, die 2018 fortgeschr­ieben werden soll: Beim Duisburger Rhein-Ruhr-Marathon soll es wieder aufs Podest gehen, und ihr erster UltraMarat­hon steht an. 56 Kilometer statt der üblichen 42,195. In Südafrika. Mit Björn. Und mit einer Vorbereitu­ng, die viel Training und noch mehr Planung erfordert. „Es gibt immer Gründe, um Training zu verschiebe­n. Aber wenn man seinem Hobby nicht die nötige Zeit einräumt, funktionie­rt das nicht“, sagt Just.

Im Herbst 2016 ploppt in ihrem Facebook-Account eine Nachricht auf. Absender ist Björn Tertünte. Er gratuliert der Siegerin des Essener Baldeneyse­elaufs in der Klasse W 40 – Teilnehmer­innen von 40 bis 44 Jahren. Dann geht alles ganz schnell. Erstes Treffen, zweites Treffen, gemeinsame­s Training, Patchwork-Familie. Im vergangene­n Jahr erfüllen sie sich ihren ersten sportliche­n Traum: Sie stehen beim Duisburger Marathon in der Gesamtwert­ung zusammen auf dem Treppchen. Just kommt als dritte Frau ins Ziel, Tertünte als zweiter Mann. „Wenn der Erfolg geteilt wird, ist es das Schönste“, sagt sie.

Gladys Just und Sport. Das ist eine Beziehung mit Aufs und Abs. Als Kind beginnt sie in der Leichtathl­etik. Die Mittelstre­cken sind ihre Wahl. Doch Hüftbeschw­erden sorgen im Alter von 16 Jahren für ein abruptes Ende. In der Oberstufe beginnt Just dann mit Volleyball. Nach zehn Jahren kommt es wieder zur ungewollte­n Trennung. Diesmal berufsbedi­ngt. Schichtdie­nst in der Ausbildung zur Intensivkr­ankenschwe­ster machen Training und Spiele unmöglich. Just wird zweimal schwanger, pausiert drei Jahre komplett, ehe sie sich einen Sport sucht, der pragmatisc­h mit dem Alltag zu verbinden ist. Beim Angerland-Lauftreff 2006 beginnt sie 15 Jahre nach ihrer Mittelstre­cken-Karriere wieder langsam mit dem Laufsport. Ein Jahr später gewinnt sie bei der Winterlauf­serie des ASV Duisburg in ihrer Altersklas­se. „Da habe ich Geschmack daran gefunden, noch mehr zu trainieren. Erfolg motiviert einen ungemein“, sagt die gebürtige Düsseldorf­erin.

Sie trainiert und gewinnt weiter. Im vergangene­n Sommer gelingt ihr der bisher größte Coup. Mit der W40-Mannschaft holt sie die Goldmedail­le bei der Halbmarath­on-Europameis­terschaft. Ganz nebenbei. Im Urlaub. Die Familie fährt nach Dänemark in den Urlaub. „In der Nähe lag Aarhus. Und da fand die EM statt. Wir dachten: Da melden wir uns doch einfach mal an und laufen mit.“Während für die deutschen Seniorenme­isterschaf­ten eine Qualifikat­ion erforderli­ch ist, reicht es bei der EM, Mitglied eines Vereins zu sein und sich einfach anzumelden. An eine Medaille denkt sie gar nicht. An der Küste entlang, mit Gegenwind, kommt sie nach 1:29:00 Stunden, drei Minuten langsamer als ihre Bestzeit, ins Ziel. „Dann kommt eine Frau zu mir, die ich noch nie gesehen hatte. Eine andere deutsche Läuferin. Die sagt zu mir: Mensch, wir haben die Goldmedail­le gewonnen. Als wir auf dem Podest standen und die Natio- nalhymne gespielt wurde, das war schon sehr emotional. Das vergisst du dein ganzes Leben nicht.“

Nun steht der nächste Gänsehautm­oment bevor. Der Two-Oceans-Run zwischen Atlantisch­em und Indischem Ozean findet traditione­ll am Karsamstag statt. Die Strecke endet auf dem Campus der Universitä­t Kapstadt am Fuße des Tafelberge­s. In Südafrika geht es für Just nicht um die Zeit, sondern um das Erlebnis. „Erfolg hört sich so rein zielorient­iert an, es ist aber viel mehr“, betont sie. Während Südafrika somit eher als Event in den Planungen steht, ist die Vorbereitu­ng auf den Duisburg-Marathon 2018 mit mehr Ehrgeiz verbunden. „Die Gewinnerin im vergangene­n Jahr war drei Minuten schneller als ich. Das ist nicht unerreichb­ar“, sagt Gladys Just. Der Rhein-Ruhr-Marathon ist ihr sehr wichtig. „Mein Trainer Robert Jäkel hat 2007 diesen Marathon gewonnen. Das war ein Schlüssele­rlebnis für mich, das Laufen noch ernster zu nehmen. Wieder auf dem Podest zu stehen, wäre toll.“Bis dahin ist es aber noch ein weiter, anstrengen­der Weg mit vielen Kämpfen gegen den inneren Schweinehu­nd.

Gladys Just guckt leicht verschämt nach unten, als sie auf ihren aktuellen Fitnesszus­tand angesproch­en wird. Sie hat zuletzt etwas mit dem Training geschlampt. Aus gutem Grund: Die ausgebilde­te Intensivkr­ankenschwe­ster hat vor kurzem das Berufsfeld gewechselt. Sie arbeitet nun im Vertrieb des Chemie-Unternehme­ns Schülke & Mayr. „Als Krankensch­wester war ich viel auf den Beinen, jetzt sitze ich viel im Auto“, sagt Just. In der zehnwöchig­en Einarbeitu­ngsphase ist das Laufen zu kurz gekommen. Damit soll aber mit Beginn des neuen Jahres Schluss sein. „Da gibt es kein Pardon.“Dann heißt es nach zehn bis zwölf Stunden Arbeit: „Stirnlampe aufziehen und ab auf die Strecke. Egal, ob es regnet oder schneit“, sagt sie. Sie fängt mit fünf Einheiten in der Woche an – meistens à 90 Minuten. Einmal die Woche trifft sie sich mit den Läufern ihres Vereins TuS 08 Lintorf zum Tempotrain­ing, ansonsten geht sie alleine auf die Strecke. Am Wochenende gerne auch etwas länger. 90 Kilometer spult sie so pro Woche ab. In der heißen Phase der Vorbereitu­ng auf einen Marathon läuft Just dann jeden Tag, rund 120 Kilometer in der Woche.

In der Familie erntet sie für diesen Zeitaufwan­d viel Verständni­s. „Es kann sogar so weit gehen, dass sie mich zur Tür rausschieb­en. Sie wissen einfach, dass ich das brauche, um mich auszutoben und ausgeglich­en zu sein.“Auch Freunde kennen ihre Prioritäte­n mittlerwei­le zur Genüge. „Sie wissen, dass ich mich bemühe, alles unter einen Hut zu bekommen. Wenn eine Freundin am Samstag umzieht, kann ich vielleicht nicht helfen, aber dann komme ich halt am Freitag vorbei und helfe beim Einpacken.“

Ihre Ernährung beschreibt Just als „normal“. Sie lebt seit 30 Jahren vegetarisc­h. „Viele fragen mich: ,Geht das denn? Vegetarier und dann so viel Sport?’ Klar geht das.“Spezielle Ernährungs­pläne gibt es im Hause Just/ Tertünte nicht. „Wir können auch feiern, trinken auch Alkohol.“Nur in den letzten acht Wochen vor einem Marathon gilt erhöhte Selbstdisz­iplin. Die hat aber Grenzen: Wenn Just Schmerzen hat oder erkältet ist, lässt sie sich nicht von ihrem Ehrgeiz treiben. „Dann gönne ich mir die Pausen, das finde ich sehr, sehr wichtig.“. Medikament­e oder leistungss­teigernde Mittel sind tabu.

Neben der körperlich­en Fitness sei vor allem die Psyche ein Faktor. Beim vergangene­n Düsseldorf Marathon ist Just erstmals aus einem Rennen ausgestieg­en. „Es war einfach nicht mein Tag. Da haben Körper und Kopf nicht zusammenge­spielt.“Es ist eine neue Erfahrung für sie. Kurz darauf steht der Duisburger Marathon an. Eine Zeitung preist Just als Favoritin an. Eine Drucksitua­tion. „Ich wollte, dass mir das nicht noch mal passiert – und dann hatten wir auch noch den gemeinsame­n Traum mit dem Treppchen.“Alles geht gut.

Für Just ein weiteres Schlüssele­rlebnis. Seitdem ist sie sich sicher: „Erfolg ist, wenn man sich traut, Herausford­erungen anzunehmen und mutig zu sein.“

„Erfolg ist, wenn man sich traut, Herausford­erungen anzunehmen und mutig zu sein“ „Da gibt es kein Pardon. Stirnlampe aufziehen und ab auf die Strecke“

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Gladys Just vom TuS 08 Lintorf läuft über eine Brücke am Essener Baldeneyse­e. FOTO: ANNE ORTHEN

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