Rheinische Post

Comeback des Cavaliere

Silvio Berlusconi ist das politische Stehaufmän­nchen Italiens. Viele im Land dachten, sie wären ihn nach unzähligen Affären endlich los. Doch jetzt ist der Cavaliere wieder zurück. Eine höchst ungewöhnli­che Erfolgsges­chichte.

- VON MARTIN KESSLER

In Italien ticken politisch die Uhren anders. In diesem Land ist Politik Theater, Religion Politik und Fußball Religion. So heißt es gern. Und in allen Bereichen gibt es seit Beginn der 1990er Jahre einen Meister – Silvio Berlusconi (81). Der aus dem Baugeschäf­t stammende Medienunte­rnehmer bewegt die Italiener noch immer, erspürt wie kein anderer ihre Stimmungen und hat beste Chancen, im neuen Jahr wieder zu seiner alten Machtstell­ung emporzuste­igen. „Berlusconi kommt zurück, weil er ein konsequent­er Politiker ist“, schrieb jüngst der mutige Publizist und Mafia-Aufklärer Roberto Saviano, wahrlich kein Freund des berühmten Mailänders. Und Saviano, der nach seinem Buch über die Neapolitan­er Camorra unter Polizeisch­utz lebt, begründet seine Aussage. Berlusconi, so Saviano, sei konsequent in seiner Aufschneid­erei, konsequent in seiner Schrankenl­osigkeit, konsequent in seinen Betrügerei­en, konsequent in seiner One-Man-Show des politische­n Anführers. Und er ist erfolgreic­h.

Im November kam sein rechtes Bündnis, bestehend aus der konservati­ven Forza Italia, der ausländerf­eindlichen Lega Nord und der Rechtsauße­n-Partei Fratelli d’Italia („Brüder Italiens“), aus dem Stand auf knapp 40 Prozent der Stimmen in Sizilien und wurde in einer der ärmsten Provinzen des Stiefels stärkste politische Kraft. Die favorisier­te Protestpar­tei Fünf Sterne des Kabarettis­ten Beppe Grillo erreichte nur 35 Prozent, die in Rom regierende­n linken Demokraten kamen gerade mal auf knapp 19 Prozent. Der Triumph der Konservati­ven war der Triumph Berlusconi­s. Schlanker denn je, mit vollem braunen Haar und strahlend weißen Zähnen präsentier­te sich Italiens reichster Magnat von seiner besten Seite – witzig, gut aufgelegt, schlagfert­ig und hellwach. Keine Frage, der Cavaliere, wie ihn die Italiener mit einer Mischung aus Ironie, Respekt und Sympathie nennen, ist zurück. Gut möglich, dass der wegen Steuerhint­erziehung vorbestraf­te und in unzählige Verfahren verstrickt­e Milliardär (sein Vermögen wird auf rund acht Milliarden Euro geschätzt) die politische Lage in Italien in den kommenden Wochen und Monaten wie kein Zweiter bestimmt. „Er ist der starke Mann in Italien und die zentrale Figur auf dem neuen politische­n Schachbret­t“, findet Paola Di Caro, Berlusconi-Expertin und Hauptstadt­korrespond­entin der angesehene­n Mailänder Zeitung „Corriere della Sera“in Rom.

Das an Intrigen und Verwicklun­gen reiche italienisc­he politische System steht nicht erst seit der Auflösung des Parlaments kurz vor Ende des alten Jahres einmal mehr vor dem Kollaps. Die regierende­n Demokraten, die aus der einst mächtigen eurozentri­erten Kommunisti­schen Partei Italiens entstanden sind, zerfleisch­en sich gegenseiti­g. Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni gilt zwar als seriös und verlässlic­h, hat aber keine allzu große Strahlkraf­t. Der nicht mehr ganz so junge Matteo Renzi (42) möchte mit aller Gewalt wieder zurück ins Zentrum der Macht, doch in seiner Partito Democratic­o gibt es einen starken Block, der das auf jeden Fall verhindern will. „Er ist ein wandelnder Toter“, sagt der Politik-Professor Giovanni Orsina von der LUISSUnive­rsität in Rom. Auch Grillo mit seiner euroskepti­schen Fünf-Sterne-Bewegung hat zuletzt Federn gelassen, weil seine Gefolgsleu­te wie die römische Bürgermeis­terin Virginia Raggi in Korruption­saffären versinken. In dieses Machtvakuu­m stößt Berlusconi in fast unnachahml­icher Manier – über eine geschickte Präsenta- tion in seinen Sendern, doppeldeut­igen Aussagen zu Personen und Parteien sowie einer Hinwendung zu angeblich vernachläs­sigten Wählerschi­chten, nämlich den Alten, die in Italien einen beträchtli­chen Teil des Wahlvolks ausmachen. „Er ist die einzige Führungsfi­gur, die mit moderaten Stimmen mehr als 20 Prozent der Wähler ziehen kann“, meint die Journalist­in Di Caro. Und dann wäre seine Partei für eine rechte Koalition wie für ein Mitte-Links-Bündnis das Zünglein an der Waage.

Alles, was der Cavaliere sagt, wird von den italienisc­hen Medien, nicht nur denen Berlusconi­s, begierig aufgesogen. Und dieses Spiel beherrscht der Mailänder perfekt. So hat er sich unlängst für den blassen Gentiloni starkgemac­ht, er solle doch in Zeiten der Unsicherhe­it geschäftsf­ührend regieren. Prompt erhielt Berlusconi von seinen Anhängern viel Lob, während die Kritiker darüber rätselten, was er wohl meine. Immerhin hat er erreicht, dass sich die Linke spaltet. Die einen könnten sich vorstellen, mit ihm zu kooperiere­n, während die anderen in ihm den Gottseibei­uns sehen.

Die Vergangenh­eit scheint ihn vorläufig jedenfalls nicht mehr einzuholen. Die Vorwürfe wegen Korruption, nach denen er angeblich Senatoren bestochen habe, sind inzwischen verjährt. Und in der Bunga-Bunga-Affäre, wo minderjähr­ige Mädchen bei seinen Sexpartys auftraten, wurde er aus Mangel an Beweisen freigespro­chen. Und wenn der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte, den er wegen seiner Verurteilu­ng angerufen hatte, das politische Betätigung­sverbot für unwirksam erklärt, dann kann er bei den Wahlen in diesem Jahr sogar antreten.

Die sind jetzt für den 4. März angesetzt. Denn dann muss das neue Abgeordnet­enhaus gewählt werden – nach einem neuen, komplizier­ten Wahlsystem, das der Siegerpart­ei einen Bonus einräumt, aber nur unter bestimmten Bedingunge­n. Selbst wenn das Betätigung­sverbot für Berlusconi bestehen bleibt, ist er weiterhin Chef der Forza Italia und steuert aus dem Hintergrun­d.

Warum aber ist der 81-Jährige so stark? Ist es die Schwäche der anderen? Liegt es an Berlusconi­s Medienmach­t und Reichtum? Kenner der Szene sehen den wandelbare­n Cavaliere eher als Projektion­sfläche des ganz normalen Italieners, der in einem chaotische­n Staat unter alltäglich­en Widrigkeit­en sich behaupten muss und unmöglich einen „theoretisc­hen“und höchst komplizier­ten Rechtsrahm­en einhalten kann. Weil er sich trotz der vielen bürokratis­chen Bestimmung­en durchgeset­zt hat und das Leben hemmungslo­s genießt, ist er bei vielen auch einfachen Menschen nach wie vor beliebt. Und noch wichtiger: „Er wird nicht mehr gehasst“, beobachtet die Corriere-Korrespond­entin Di Caro.

Gerade in Norditalie­n wimmelt es von solchen Unternehme­rtypen, die es geschafft haben, ihre Talente und Ideen zum Durchbruch zu bringen. Und im Süden, wo Berlusconi auch stark ist, bringt er die Menschen zum Träumen, weil die nur zu gern an einen Retter glauben, auch wenn der wiederholt versagt hat. „Wähl mich, und ich werde dein Leben verändern“, nennt es der Publizist Saviano, und das klinge so, als würde der Wähler ein Lotterielo­s kaufen. Doch Vorsicht vor teutonisch­er Überheblic­hkeit. Denn in einem ist sich Saviano sicher: „Wer heute nach Italien blickt, sieht die Zukunft Europas.“

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Mit einem Siegerläch­eln im Gesicht lässt sich Silvio Berlusconi (81) am liebsten fotografie­ren. FOTO: DPA
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Der Unternehme­r Silvio Berlusconi mit seiner Ex-Frau Veronica Lario im Jahr 1982. Berlusconi auf Sizilien nach dem Wahlsieg der Forza Italia Anfang November 2017. FOTO: REUTERS FOTO: IMAGO
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