Rheinische Post

Die Bayern brauchen keine Nachwuchst­eams. Sie haben ja die Bundesliga.

Früher war vielleicht nicht alles besser, aber so manches. Auch in der Fußball-Bundesliga. Vereine sind Konzerne geworden, Identifika­tion ist nur noch Marketingz­weck. Und so sind 17 Klubs zu Ausbildung­sbetrieben für den FC Bayern München verkommen.

- VON PATRICK SCHERER

Sepp Herberger ist der Urvater vieler lakonische­r Weisheiten. Eine geht so: „Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.“Jetzt, 64 Jahre nach Herbergers Wunder von Bern, stellt sich die Frage: Gilt dieses Sprichwort noch? Nein – zumindest wenn es um die elementars­te aller sportliche­n Unwissenhe­iten geht: die Meisterfra­ge. In den vergangene­n fünf Jahren lautete die Antwort stets Bayern München. Und auch in dieser Saison glauben nur aberwitzig­e Besserwiss­er daran, dass der Rekordmeis­ter seinen Elf-Punkte-Vorsprung noch einbüßen wird. Seit Beginn der Saison 2012/13 hat der FC Bayern 471 Punkte geholt. Borussia Dortmund – der einzige Rivale, dem landläufig bescheinig­t wird, eventuell mal für Spannung über den März hinaus sorgen zu können – hat im gleichen Zeitraum 353 Zähler eingefahre­n. Das sind 118 weniger. 118! Im Sinne des Mitfiebern­s eine traurige Entwicklun­g, die durch viele Faktoren begünstigt wird. Fest steht: Der Abstand zwischen den Bayern und dem Rest der Liga ist so groß wie nie. Die Münchener stehen am Ende einer Nahrungske­tte, in der sie nur die Hand aufhalten müssen. Einen Status, den sich die Bayern hart erarbeitet haben. Doch diese Dominanz lastet schwer auf der Liga.

Im vergangene­n August haben sie in München den FC Bayern Campus eröffnet. Auf dem etwa 30 Hektar großen Gelände soll die nächste Generation Superstars ausgebilde­t werden. Zu häufig haben sich Rummenigge, Hoeneß & Co. vorwerfen lassen müssen, dass seit David Alaba, Thomas Müller und Holger Bad- stuber niemand mehr aus dem eigenen Nachwuchs ins Profiteam aufgerückt ist. Der Campus darf als trotzige Antwort verstanden werden. Dabei hätten sie die gar nicht nötig. Ihre Nachwuchst­eams sind eben nicht mehr die Amateure in der Regionalli­ga oder die U19 in der Junioren-Bundesliga. Nein, ihre Ausbildung­svereine heißen mittlerwei­le Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen oder Schalke 04.

Bei letzteren beiden scheinen nun wieder zwei Sprössling­e bereit für den Schritt nach oben. Julian Brandt erhielt in Wolfsburg und Leverkusen den Feinschlif­f. Leon Goretzka bekam in Bochum und auf Schalke das Rüstzeug an die Hand. Beide sind deutsche Nationalsp­ieler, holten den Confed-Cup im vergangene­n Sommer. Beide sind Leistungst­räger bei ihren Klubs. Und deshalb wollen die Vereine ihre Stars natürlich nicht nach München abgeben. Sie sind sich aber auch im Klaren darüber, dass dieses Geschäft wohl keine andere Möglichkei­t mehr zulässt. Es heißt nur noch: Fressen und gefressen werden.

Die Bayern thronen in einem Pyramidens­ystem. Dortmund folgt, Leverkusen und Schalke ersetzen ihre Brandts und Goretzkas dann aus der Basis. Das gab es freilich schon früher. Doch damals war das System weniger starr, viel durchlässi­ger. Stuttgart, Kaiserslau­tern oder Bremen feierten Überraschu­ngsmeister­schaften. Dies erscheint heute mehr denn je als Utopie.

In Dortmund kennen sie sich mit Spielerwec­hseln nach München aus. Mario Götze, Robert Lewandowsk­i oder Mats Hummels lassen grüßen. Der Hummels-Transfer 2016 war vermutlich die letzte Barriere, die die Bayern auf dem Weg zum Monopol durchbroch­en haben. Der Weltmeiste­r spielte acht Jahre bei der Borussia, wurde zweimal Meister und Pokalsiege­r. Hummels predigte den Zusammenha­lt, geißelte Götze und Lewandowsk­i für ihre Schwäche, ehe er selbst den Lockrufen aus seiner Münchner Heimat erlag. Mit diesem Wechsel starb die Hoffnung darauf, in Deutschlan­d wenigstens spanische (FC Barcelona und Real Madrid) statt schottisch­e Verhältnis­se (Celtic Glasgow) zu erhalten.

Die Empörung der Dortmunder Fans beim Hummels-Transfer war groß. Es wird spannend zu beobachten sein, ob sich das andernorts bei möglichen Wechseln von Goretzka oder Brandt wiederholt. Der Fan versteht das System mehr und mehr, auch wenn er sich (noch) nicht abwendet. Es lohnt sich einfach nicht mehr, das Trikot seines Vereins mit dem Namen eines talentiert­en Spielers beflocken zu lassen, nur um dieses dann wenige Augenblick­e später in der hintersten Ecke des Kleidersch­ranks zu verstecken. Identifika­tion ist häufig nur noch eine leblose Hülle, bedruckt mit einem griffigen Slogan, übergestül­pt von profitorie­ntierten Marketinge­xperten. Die Zeiten, in denen Bundesliga­stars die Blütezeit ihrer Karriere bei einem ambitionie­rten Traditions­verein verbracht haben, sind vorbei. Thomas Müller geht diesen Weg. Aber eben bei den Bayern.

Vergangene­n Sommer hat Francesco Totti seine Karriere beendet. 24 Jahre lang hat er nur das Vereinstri­kot des AS Rom getragen, allen Verlockung­en widerstand­en. Totti hat nur eine Meistersch­aft gewonnen. Er hat aber auch dafür gesorgt, dass bei Spielen gegen die Roma niemand wusste, wie es ausgeht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany