Rheinische Post

Als der schöne Harry Altbier servierte

Das Haus, das die „Kulisse“beherbergt­e, ist verkauft. Stammgäste erinnern sich liebevoll an eine der ältesten Altstadt-Discos.

- VON ARNE LIEB UND HELENE PAWLITZKI

Die Discothek Kulisse hat geschlosse­n, aber die Erinnerung bleibt.

„Da haben Sie was verpasst“, ruft Harry Warnke in den Telefonhör­er. „Das war der schönste Laden!“

Die „Kulisse“. Harrys Leben. Der schöne Harry, hieß der heute 78Jährige in der Altstadt. Mit 18 Jahren kam er das erste Mal als Gast, 20 Jahre später begann sein zweites „Kulisse“-Leben: als Barkeeper, dem viele Frauen erlagen – darunter die fürs Leben, mit der er inzwischen viele Jahre verheirate­t ist. Die Tränen hätten ihm in den Augen gestanden, als er erfuhr: Die „Kulisse“schließt – endgültig, wie nun klar ist.

Zwar berichtet der Gastronomi­eBerater Markus Eirund, viele Betreiber wollten die „Kulisse“mit neuen Konzepten „reaktivier­en“. Doch sie kommen wohl zu spät: Der Verkauf des Hauses ist vollzogen. Das bestätigt Peter Lang von Scheu Immobilien (Wuppertal), der das Geschäft vermittelt hat. Lang berichtet, er sei mit dem bisherigen Inhaber, dem Schlagerst­ar Jürgen Drews, und dessen Frau Ramona beim Notar gewesen.

Der Name des Käufers sei vertraulic­h, sagt Lang, ebenso der Preis. Sicher sei aber: Das Gebäude werde nicht abgerissen, sondern saniert und wieder gastronomi­sch genutzt – aber mit anderem Konzept. Jürgen Drews war auch weiter nicht für eine Stellungna­hme zu erreichen. Seine Sprecherin hatte mitgeteilt, es gebe nichts Aktuelles zu sagen.

So bleibt nichts, als in Erinnerung­en zu schwelgen. „Kulisse“Stammgast Marion Heess war mit 19 zum ersten Mal dort. „Ganz schüchtern habe ich da gesessen“, erinnert sie sich. Fast 30 Jahre ist das her. Und selbst als junge Frau habe sie sich dort stets sicher gefühlt. Klar – mit den vielen roten Lämpchen habe der Laden gewirkt, „als ob der Wollershei­m gleich zur Tür rein kommt“, sagt Marion in Anspielung auf die Ex-Rotlichtgr­öße. „Aber wenn mich einer mal angepackt hat, musste ich nur dem Kellner winken.“Die Atmosphäre sei familiär gewesen, erzählt sie. „Man konnte sich dort benehmen wie zu Hause.“

Berühmt war der Laden jahrzehnte­lang für seine stringente Musikauswa­hl: Schlager, deutsch. Sonst nichts. Die Auswahl traf Ralf „Niesi“Nieswandt, enger Freund von Jürgen Drews, dessen Konterfei er auf den Oberarm tätowiert trug. Gelegentli­ch legte „Niesi“eine SchlagerRa­rität auf, erzählt Marion. Wer Titel und Interpret erriet, bekam einen Preis. Sie selbst habe mal eine Flasche Wodka gewonnen – „dabei trinke ich nur Bitter Lemon!“

Harry freilich kann sich noch an ganz andere Besonderhe­iten erinnern: Wer zu seiner Zeit aufs Karussell-Pferd kletterte, das am Rand der Tanzfläche stand, musste der Kapelle eine Runde schmeißen – damals, als die Tanzmusik noch live gespielt wurde. Nach drei Songs war erst mal Pause, „damit die Leute an die Tische zurückgehe­n und was trinken“. Tische, auf denen Telefone installier­t waren, um stilvoll Beziehunge­n anbahnen zu können. Beziehunge­n, die dann gelegentli­ch auf der Toilette oder in der Garderobe vertieft wurden.

Für Harry war die „Kulisse“außerdem eine Goldgrube. „Ich habe mir vom Trinkgeld ein Haus gekauft“, sagt er. „Was glauben Sie, wie die Leute in den 80ern mit Geld um sich geschmisse­n haben?“Bis zum letzten Tag des Clubs kellnerte er dort. Nun geht der schöne Harry in Rente. Dass er die „Kulisse“überlebt, hätte er wohl selbst nicht gedacht.

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FOTOS (4): MARION HEESS Glamouröse­s Auftreten war Pflicht in der„Kulisse“der 80er Jahre. Gleichzeit­ig mochten viele Gäste besonders die familiäre Atmosphäre.
 ??  ?? Inhaber Jürgen Drews trat auch selbst in der „Kulisse“auf. Anfangs war er häufig dort, später erschien er nur noch zur DJ Niesis Geburtstag­sparty am Jahresende.
Inhaber Jürgen Drews trat auch selbst in der „Kulisse“auf. Anfangs war er häufig dort, später erschien er nur noch zur DJ Niesis Geburtstag­sparty am Jahresende.
 ??  ?? Der „schöne Harry“im fortgerück­ten Alter. Berühmt: seine blonde Mähne.
Der „schöne Harry“im fortgerück­ten Alter. Berühmt: seine blonde Mähne.
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Auf der Tanzfläche wurde getanzt und gestaunt.

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