Die Hegemonie der Anderen
Es gibt Sätze, die bleiben richtig. 1968, die Revolte der studentischen Jugend, möge manchem unverständlich sein, ärgerlich oder uninteressant, „auf jeden Fall aber ist 1968 kein fernes Zeitalter“, schrieb der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar im Jahr 2000, gut 30 Jahre danach. Jetzt, zum Fünfzigjährigen des großen Aufbegehrens, arbeitet man sich mal wieder an „Achtundsechzig“ab. Man, das ist in diesem Fall Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag. Die Republik führt mal wieder die heikle Debatte, wer die Meinungsführerschaft habe im Lande.
In Debatten dominiere „eine linke Meinungsvorherrschaft eine dieses Schauspiel ertragende bürgerliche Mehrheit“, schrieb Dobrindt in der „Welt“: „Der Ursprung dafür liegt vor genau 50 Jahren, im Jahr 1968.“Linke hätten sich „Schlüsselpositionen in Kunst, Kultur, Medien und Politik“gesichert. Weil deshalb immer mehr Bürger den Eindruck hätten, in den Debatten nicht vorzukommen, ist es nach Dobrindt Zeit für „eine bürgerlich konservative Wende“: „Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger.“
Die Debatte ist zwar altbekannt, aber sie ist legitim, sie ist sogar notwendig in Zeiten von Pegida und AfD, sie ist spannend. Dobrindt hat sie nur leider unterkomplex eröffnet. Dass schon die Wortwahl „konservative Revolution“verquer ist, weil Historiker darunter eine antidemokratische Gruppe von Intellektuellen in der Weimarer Republik fassen – geschenkt. Dass vieles Polemik ist – bitte sehr, davon lebt der Diskurs. So ist zwar gerade der hochbürgerliche Prenzlauer Berg, der nicht Deutschland sei, ein schlechtes Beispiel für Dobrindts These, wie ihm schon Marietta Slomka im „Heute-Journal“vorhielt. Und „Sozialisten, Nationalisten, Ökologisten oder Islamisten“in einem Atemzug zu nennen, könnte man gehässig nennen. Aber wie gesagt: Ein bisschen Pfeffer kann nicht schaden.
Hilfreich wäre nur, wenn Dobrindts Kernthese stimmte: dass es nach und wegen 1968 die Hegemonie einer „linken Minderheit“gibt, die das konservative Bürgertum sozusagen in die innere Emigration getrieben hat. Wenig aber spricht dafür, dass das so ist. Schon die Tatsache, dass links genauso argumentiert wird, nur umgekehrt (2016 etwa konstatierte Jakob Augsteins „Freitag“angesichts der Asyldebatte eine „rechte Hegemonie“), legt die Gegenthese nahe: Die Hegemonie, das sind immer die Anderen; als mächtig wird immer der wahrgenommen, dessen Meinung ich nicht teile.
Auch ein Blick in die jüngere Geschichte spricht eher gegen Dobrindt. Zwar werden viele ehemals linke Positionen heute auch von Konservativen geteilt: Uneheliche Kinder sind kein Makel mehr, sondern normal; dass Schwule und Lesben heiraten dürfen, lehnen nur die AfD-Wähler in Mehrheit ab. Umgekehrt gilt aber auch, dass viele dezidiert konservative Werte oder politisch eher rechte Positionen links längst kein Tabu mehr sind – SPD und Grüne diskutieren gerade über den Begriff Heimat. 2016 knirschte es in der rotgrünen Koalition in NRW, weil die SPD weiter nach Afghanistan abschieben wollte. Und der Satz „Wegschließen – und zwar für immer“über Sexualtäter kam nicht von der CSU, sondern von einem sozialdemokratischen Kanzler: Gerhard Schröder, 2001.
Die Bundestagswahl 2017 – 12,6 Prozent für die AfD – spricht auch nicht gerade dafür, dass die Republik von links aufgerollt würde. Eher scheinen Werte der einen Seite des Spektrums auf die andere gewandert zu sein. Das aber hieße: Austausch statt Dominanz. Und liberaler heißt nicht unbedingt linker, wie der Historiker Volker Weiß betont.
Nun mag man in Dobrindts Sinn erwidern, die AfD gebe es ja nur als Reaktion auf diese linke Dominanz. Spätestens aber bei den Werten und Einstel-