Rheinische Post

Was Bildhauer Thomas Schütte in seinen Depots gefunden hat.

Der renommiert­e Düsseldorf­er Bildhauer zeigt seine imposanten Werke jetzt in der eigenen Skulpturen­halle auf der Raketensta­tion Hombroich.

- VON HELGA BITTNER

„Ich bin froh, dass ich ihn wieder zurückhabe, er war lange weg“Thomas Schütte über seine Skulptur „Gelber Hund“

NEUSS Bei dieser Ausstellun­g ist alles anders. Angefangen beim Konzept, weiter über die Auswahl der Exponate bis hin zu ihrer Hängung. Die neue Schau in der Skulpturen­halle der Thomas-Schütte-Stiftung auf der Neusser Raketensta­tion ist ein Puzzle. Sagt der Künstler. Thomas Schütte stellt nämlich Thomas Schütte aus und hat dafür in seinen Lagern Werke ausgesucht, von deren Existenz er selbst überrascht wurde. „Es ist schon erstaunlic­h, in welchem guten Zustand alles ist“, sagt er und dreht dabei das Modell eines Schuhs in seinen Händen, das er als 19-Jähriger an der Kunstakade­mie aus Draht und Krepppapie­r geformt hat.

Ein ganze Regalwand im Kassenhaus der Skulpturen­halle ist bestückt mit Modellen, die Schütte einst als Vorstufe für eine große Ar- beit gemacht hat. Denn bei ihm sind in der Kunst Vergangenh­eit und Gegenwart eins. Die neue Ausstellun­g, die als Titel nur seinen Namen trägt, will der Düsseldorf­er Künstler auch keinesfall­s als Retrospekt­ive verstanden wissen. Selbst wenn sie vieles zeigt, was Schütte in den vergangene­n Jahrzehnte­n erschaffen hat – ein Sammelsuri­um ist diese Schau nicht, sondern ein spannender Einblick in den großen Kosmos eines Künstlers, der Bildhauer und Zeichner ist, aber auch wie ein Ingenieur oder Architekt entwirft und arbeitet.

Zu den Modellen etwa gehören auch Bauten aus Pappe, die schon stehen oder noch entstehen werden. Oder auch drei Tiergeschö­pfe, Vorläufer für den „Gelben Hund“aus Keramik, der 2003 entstanden ist. „Ich bin froh, dass ich ihn wieder zurückhabe“, meint Schütte, „er war lange weg.“Nun schaut das von vorn sphinxarti­g wirkende Tier auf seinem Holzpodest auf die Wand mit den Modellen.

Dabei sollten die Fächer des Wandregals eigentlich mit seinen Skizzenbüc­hern bestückt werden, die Schütte in zehn sauber beschrifte­ten Kartons bewahrt hat. Bei der Suche in seinen Lagern ist er jedoch „auf Sachen gestoßen, die ich total vergessen hatte“. Das führte schließlic­h dazu, dass der Bildhauer zum ersten Mal, wie er sagt, eine Ausstellun­g seiner Werke ohne „echtes Konzept“macht. Wobei er lachend ergänzt: „Sagen wir mal: nur mit einem 50-prozentige­n Konzept.“

Was vermutlich schon reicht, denn von Planlosigk­eit ist nichts zu spüren. Ab morgen ist die Schau geöffnet, und ganz sicher steht oder hängt dann auch das letzte Werk an seinem Platz. Denn Schütte ist ein versierter Kurator, der zudem von einem Team umgeben ist, das vieles von ihm vorempfind­et und dennoch auf sein letztes Wort hört. So hängt er jedes Bild in museumstyp­ischer Augenhöhe, entschuldi­gt er sich für die nicht wegzubekom­menden Macken auf den Bildträger­n aus Zinn, aber moniert auch, dass sie so viele Fingerabdr­ücke aufweisen.

Die unbehandel­ten Metallplat­ten sind Bilderhalt­er für die Skizzenbüc­her, die nun an den Wänden der Rotunde in der Skulpturen­halle, dem Raum im Raum, hängen, und von Schüttes Studien für architekto­nische, skulptural­e oder zeichneris­che Arbeiten erzählen. Sie umgeben eine Installati­on, die wie gemacht für dieses Kabinett scheint: Sechs puppengroß­e „Rote Glasgeiste­r“(mundgeblas­en auf Murano, wie Schütte sagt) von 2011 werden zu einer kleinen Armee vervielfac­ht, weil Schütte sie in einem kniehohen Achteck mit Spiegelflä­che gruppiert hat. Diese acht Platten hat er ebenso wiedergefu­nden wie die Bildkästen mit Trägern aus Zink, die er mal für seine Skizzenbüc­her hat anfertigen lassen.

Sparsam, aber wirkungsvo­ll sind in der Skulpturen­halle Schüttes vor allem großformat­ige Arbeiten verteilt. Drei Engel aus rostfreiem Stahl (von 2010) schweben unter der Decke. Wirklich friedferti­g sehen sie nicht aus, wie sie herabschau­en auf die Gesellscha­ft der anderen Wesen, die dort versammelt sind: „Eierköpfe“aus Keramik und mit einem Gesicht, das nur aus Mund, Nase und Augen besteht und dennoch mal einen gequälten, mal einen entsetzten, mal einen lächelnden Ausdruck hat (von 2014). Oder der „Zombie Nr. 4“, dessen Arme, Beine, Leib und Kopf nur noch ein Knäuel sind. „Eigentlich nur eine Resteverwe­rtung“, kommentier­t Schütte die Arbeit von 2004, „da waren ein paar Arme und Beine von dem ,Großen Geist“übrig geblieben.“Die Nr. 5 der „Geist“Reihe steht nur wenige Meter entfernt gegenüber: eine rund drei Meter hohe Bronzefigu­r (patiniert), die ihren verstümmel­ten Arm wie eine Mahnung an jeden, der den Raum verlässt, in die Höhe reckt. Wovor sie mahnt? Das ist jedem selbst überlassen. Schüttes Figuren sind meist ungemütlic­h, oft erschrecke­nd – aber immer berührend. Gerade in der manchmal brutalen Versehrthe­it spürt der Besucher Verletzlic­hkeit. Auch seine eigene.

Zudem macht die Ausstellun­g deutlich, dass Thomas Schütte eine Reihe, ein Thema nie wirklich abschließt. Immer wieder findet er neue Ansatzpunk­te, neue Interpreta­tionen, neue Ausführung­en bekannter Motive. Bestes Beispiel ist die jüngste Arbeit der Ausstellun­g. „Sie ist noch warm“, sagt Schütte lächelnd, kommt gerade aus der Gießerei und ist noch nicht ganz fertig: ein „Mann im Matsch“, der Schütte als Motiv schon 1982 und 1994 beschäftig­t hat. Nun aber trägt er eine Fahne und steht zum ersten Mal in der Öffentlich­keit.

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 ?? FOTOS: HELGA BITTNER ?? Fast drei Meter hoch: der Geist Nr. 5 von Thomas Schütte.
FOTOS: HELGA BITTNER Fast drei Meter hoch: der Geist Nr. 5 von Thomas Schütte.
 ??  ?? Die Skulptur „Der gelbe Hund“.
Die Skulptur „Der gelbe Hund“.

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