Rheinische Post

Unter Zockern

Die Mehrheit der Düsseldorf­er Spielhalle­n muss demnächst schließen. Ein Nachmittag im Bahnhofsvi­ertel.

- VON TORSTEN THISSEN

Wolfgang setzt auf die Sieben. Und ab und zu, da kommt sie auch. Nicht heute, aber neulich, da kam sie sogar zweimal hintereina­nder und beim zweiten Mal hat es „so richtig gekracht“, weil Wolfgang 120 Punkte gesetzt hatte. Jetzt rollt die Kugel wieder, Wolfgang, Anfang 70, beugt sich über seinen Rollator, damit er in den Kessel schauen kann: „25, Rot, Ungerade“, sagt der Automat. Wolfgang zuckt kaum merklich, wiederholt seinen Einsatz durch einen Druck auf den Plastikkno­pf. Es gibt noch zwei andere Spieler in der Halle an der Friedrich-Ebert-Straße und sie sehen nicht danach aus, als ob sie in ihrem Leben viel Glück hatten.

So ein Nachmittag in den Spielhalle­n des Bahnhofsvi­ertels ist eine Reise in die Anonymität. Und auch wenn es hier Menschen gibt, die sich regelmäßig treffen, teilweise jahrelang schon, kann es gut sein, dass der eine den Namen des anderen nicht kennt. So sind auch in diesem Text alle Namen Pseudonyme, denn so sagt es einer der Spieler, „niemand ist stolz darauf, wenn er regelmäßig eine Spielhalle besucht“. Dabei gibt es natürlich nicht nur die Spielsücht­igen hier, die ihre Rente oder ihr Hartz IV verzocken und sich bei Bekannten verschulde­n, um das verlorene Geld zurückzuge­winnen. Viele in den Spielhalle­n schlagen schlicht die Zeit tot. Zumindest sagen sie das.

Wie Martina, eine etwa 40-jährige Frau mit osteuropäi­schem Akzent. Sie spielt in einer der Hallen, die zu einer großen Kette gehören, an deren Eingang der Besucher gescannt wird, in denen die Aufsicht mit Tabletts herumgeht und freundlich fragt, ob die Spieler einen Kaffee wollen. Martina hat keine Lust, in der Kälte zu stehen, während sie auf ihren Zug wartet. Sie pendelt, muss jeden Tag eine halbe Stunde überbrücke­n, manchmal verpasst sie aber auch den Zug, weil die Spielhalle mit ihren abgeschirm­ten Fenstern nicht nur ohne Tageslicht auskommt, sondern auch das Gefühl für die Zeit nimmt. Martina sagt, dass sie sich hier sicherer fühlt als draußen, weniger angequatsc­ht, von Typen belästigt wird. Die Männer in der Halle haben ihre Automaten im Blick. Daneben liegen Flyer des Betreibers aus, die mit den Worten „Spielen gehört zum Leben wie Essen und Trinken“auf die Problemati­k der Spielsucht hinweisen und Beratungss­tellen in der Region nennen. Eine Ecke weiter gibt es kleinere Spielhalle­n, die sich erst gar nicht bemühen, das Automatens­piel als einen harmlosen Zeitvertre­ib darzustell­en, die ohne Teppichbod­en auskommen, ohne Softgeträn­ke. In einer gibt es sechs Automaten, die von drei Leuten bestückt werden. Ein Aufseher wechselt Geld und raucht. Trotz des Rauchverbo­ts. In einer anderen Spielhalle, kaum 100 Meter Luftlinie entfernt, bedient ein Paar die Automaten. Sie fragt ihn, ob er Zigaretten habe, er verneint, ohne den Blick vom Automaten abzuwenden. Kleingeld gibt er nicht, weshalb die Frau sich auszahlen lässt und auf die Straße zum Rauchen geht. Er sitzt hier seit 10 Uhr, sie ist später nachgekomm­en. Sie haben sich hier kennengele­rnt, das war vor drei Monaten, vielleicht wollen sie zusammenzi­ehen. Er hat den Automaten neben sich freigehalt­en, was laut der Spielregel­n der Halle eigentlich verboten ist. Doch so genau nimmt das hier keiner.

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Im Bahnhofsvi­ertel gibt es zahlreiche Spielhalle­n, zum Teil direkt nebeneinan­der. Nach dem Glücksspie­lstaatsver­trag müssen viele von ihnen demnächst schließen.

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