Rheinische Post

Opa erzählt die Geschichte von Streif-Sieger Thomas Dreßen.

Diesen Satz hat Dirk Dreßen seinem Sohn Thomas mitgegeben – nun hat der Sohn das legendäre Abfahrtsre­nnen gewonnen. Und in dem Moment an seinen Vater gedacht, der 2005 bei einem Seilbahnun­glück starb.

- VON GIANNI COSTA

JÜLICH Gerd Dreßen hat an diesem Morgen ein mulmiges Gefühl. Es ist das letzte große Rennen seines Enkels vor den Olympische­n Winterspie­len. Dem 78-Jährigen gehen viele Gedanken durch den Kopf. Wenn sich „der Jung“, wie er sagt, bei der Abfahrt verletzt, wäre die ganze har- te Arbeit umsonst gewesen. Der Großvater sitzt eigentlich immer vor dem Fernseher und drückt die Daumen, wenn Thomas, „der Jung“, die Piste herunterbr­ettert. Doch diesmal sitzt er alleine im Flur seines Hauses in Jülich, schließt die Augen und wartet. Es fühlt sich für ihn an wie eine Ewigkeit. Er hört im Hintergrun­d die Stimmen der Kommentato­ren, irgendwann schreit seine Frau Sigrid: „Er ist Erster! Der Jung ist Erster. Gerd, jetzt komm endlich wieder rein!“Für einen Moment ist er noch sitzen geblieben, hat nach oben geblickt und war zufrieden. Dann ist er wieder reingegang­en und hat noch gesehen, wie sein Enkel im Zieleinlau­f der legendären „Streif“in Kitzbühel die Hände nach oben reißt.

Es heißt, ein Sieg bei der Abfahrt vom Hahnenkamm hinunter ist das Größte, was ein Skirennfah­rer im Weltcup erreichen kann. Thomas Dreßen hat es am vergangene­n Samstag geschafft. 39 Jahre nach dem letzten deutschen Sieg durch Sepp Ferstl raste der 24-Jährige zum Sieg. „Für den Thomas“, erzählt sein Großvater, „bedeutet es so viel mehr.“Für einen kurzen Moment ist Stille. Es geht um jenen Augenblick am 5. September 2005, als in Sölden ein schweres Unglück geschah. Thomas Dreßen war gerade einmal elf Jahre alt. Vater Dirk, 43, war damals mit Kindern beim Gletschert­raining. Ein Helikopter verlor genau über der Seilbahn einen 750Kilo-Betonkübel, woraufhin eine Gondel abstürzte. Weitere Skifahrer wurden aus anderen Gondeln rausgeschl­eudert. Sechs Kinder und drei Erwachsene verloren ihr Leben und Thomas und sein jüngerer Bruder Michael ihren Vater. Michael entkam dem Unglück nur, weil er sich kurz zuvor beim Papa abgemeldet hatte. Er musste mal Pippi. „Und plötzlich steht die Welt still“, sagt Gerd Dreßen.

Der Winterspor­t spielt im Leben der Familie schon immer eine große Rolle. Der Großvater hat zig Ski-Marathonlä­ufe absolviert, Sohn Dirk war Biathlet. Dabei gilt Jülich nicht gerade als natürliche­r Beginn einer Karriere im Alpinsport. „Wir haben ein Wochenendh­aus in der Eifel, dadurch waren wir oft im Schnee, und so hat es sich eben ergeben.“Dirk Dreßen ist durch den Sport nach Mittenwald in Bayern gezogen und hat dort das Geschäft der Schwiegere­ltern übernommen. Thomas und Michael sind in Garmisch-Par- tenkirchen geboren, in Jülich haben sie indes viel Zeit in den Ferien bei den Großeltern verbracht.

„Nach dem Tod unseres Sohnes haben wir versucht, sie so gut es geht zu unterstütz­en. Es war eine intensive Zeit.“Während Michael zunächst nichts mehr vom Skifahren wissen wollte, setzte Thomas den Weg fort. „Er wollte im Sinne des Vaters weitermach­en“, sagt Gerd Dreßen. Thomas besuchte in Österreich die Skihauptsc­hule Neustift im Stubaital und später das Skigymnasi­um Saalfelden, wo er seinen Abschluss machte. Er ist ein Koloss auf zwei Brettern, 1,88 Meter groß und 100 Kilo schwer. „Ich trage den Vater immer im Herzen, und auf meinem Helm ist er mit den Zahlen 44“– die für Dirk Dreßen (4. Buchstabe im Alphabet) stehen – „bei jedem Rennen dabei.“Er spricht im tiefsten bayrischen Dialekt, die rheinische­n Wurzeln hört man ihm nicht an.

Der Name Thomas Dreßen war bis zu dem vergangene­n Wochenende nur Feinschmec­kern des alpinen Winterspor­ts ein Begriff. Ja, seine Formkurve zeigte in den vergangene­n Wochen nach oben. Beim Rennen in Beaver Creek im US-Bundesstaa­t Colorado im Dezember fuhr Dreßen als Dritter erstmals in seiner Karriere aufs Podest. Dieses Kunststück hatte bis dahin von den deutschen Abfahrern zuletzt Max Rauffer vor 13 Jahren geschafft. Dreßen hat sich schon damit zum Geheimfavo­riten bei den Winterspie­len in Südkorea gemausert.

Nun Kitzbühel. Sein erster Sieg im Weltcup. „Wenn du so gut wirst, dass du die Streif gewinnst, dann bist du wer“, erzählt Gerd Dreßen, habe Dirk immer zu Thomas gesagt. „Das ist ein Moment, den man nur schwer greifen kann. Und alle sagen, er kann noch viel besser werden. Ich gönne es dem Jungen.“

„Er ist Erster! Der Jung ist Erster. Gerd, jetzt komm endlich wieder rein!“ Sigrid Dreßen Oma von Thomas Dreßen zu ihrem Mann.

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FOTO: IMAGO Im Augenblick des Triumphs: Thomas Dreßen kniet nach seinem Sensations­sieg auf der Streif in Kitzbühel im Schnee.

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