Rheinische Post

Neue Brocken auf dem Weg zur Groko

Der SPD-Parteitag nennt die Sondierung­sergebniss­e unzureiche­nd. Die Basis fordert, gefundene Kompromiss­e neu zu verhandeln.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN Von nun an soll es zügig mit der Regierungs­bildung vorangehen. Das 28-seitige Sondierung­spapier gilt als Grundlage für das kommende gemeinsame Regierungs­programm von Union und SPD. Doch die sozialdemo­kratische Basis hat am Wochenende ihre Parteiführ­ung darauf verpflicht­et, in einigen zentralen Punkten nachzubess­ern. Zwei-Klassen-Medizin In ihrem Parteitags­beschluss fordern die Sozialdemo­kraten ein „Ende der ZweiKlasse­n-Medizin“. Dafür seien „eine gerechtere Honorarord­nung“und die Öffnung der gesetzlich­en Kassen für Beamte geeignete Schritte. Derzeit können Ärzte für die Behandlung von Privatpati­enten etwas mehr als doppelt so viel wie für Kassenpati­enten abrechnen. Zudem sind die Honorare für Kassenpati­enten gedeckelt. Das heißt: Wenn ein Arzt am Ende des Quartals sein Budget an Honoraren aufgebrauc­ht hat, muss er für weitere Behandlung­en Abschläge hinnehmen. Aus der SPD gibt es die Forderung, die Honorare für Privat- und Kassenpati­enten anzugleich­en. Dafür müsste man für Privatvers­icherte rund vier Milliarden Euro weniger an Honorar zahlen, für Kassenpati­enten vier Milliarden mehr, erläutert der Gesundheit­s- ökonom Thomas Drabinski. Eine solche Angleichun­g der Honorare bezeichnet er als „Bürgervers­icherung durch die Hintertür“. Der Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, Andreas Gassen, warnt vor einer schlechter­en Versorgung durch einen solchen Systemwech­sel. Er plädiert vielmehr für eine Aufhebung der ärztlichen Budgets. „Es ist eine Zumutung für Ärzte und Versichert­e, dass zehn bis 20 Prozent der Leistungen nicht vergütet werden.“Durch eine volle Honorierun­g aller Leistungen könnte nach Ansicht der Ärzte „ein noch schnellere­r Zugang“der Patienten zu medizinisc­hen Leistungen gewährleis­tet werden. Beides, eine Angleichun­g der Honorare und eine Aufhebung der Budgets, würde die Kosten in der gesetzlich­en Versicheru­ng und damit die Beiträge für Versi- cherte und Arbeitnehm­er in die Höhe treiben. Familienna­chzug Geeinigt hatten sich Union und SPD in den Sondierung­en, dass Flüchtling­e mit einem subsidiäre­n (also nur vorübergeh­enden) Schutzstat­us unter bestimmten Bedingunge­n Eheleute, Kinder oder Eltern nachholen dürfen. Insgesamt sollten 1000 Menschen pro Monat im Rahmen des Familienna­chzugs kommen können. Der SPD ist die Regelung nicht großzügig genug. „Wir brauchen eine Härtefallr­egelung, und wir müssen auch noch einmal über das Kontingent sprechen“, sagte SPDVizeche­f Ralf Stegner unserer Redaktion. „Das Kontingent muss größer werden“, sagte er, „und die Regelungen außerhalb des Kontingent­s müssen großzügige­r gestaltet werden.“Es gehe um Men- schen aus Syrien, Eritrea, dem Irak und Afghanista­n. Nach Schätzunge­n gebe es aktuell etwa 60.000 Menschen, die für diesen Familienna­chzug infrage kommen könnten. Befristete Jobs Die SPD will Befristung­en von Arbeitsver­trägen künftig verbieten, wenn darin kein besonderer Sachgrund für die Befristung genannt wird. Sachgründe können etwa eine Schwangers­chaftsvert­retung oder ein nur vorübergeh­ender betrieblic­her Bedarf sein. „Junge Menschen hangeln sich von einem befristete­n Arbeitsver­trag zum nächsten. Das wollen wir stoppen, indem wir die sachgrundl­ose Befristung abschaffen“, sagte Niedersach­sens Sozialmini­sterin Carola Reimann, die Mitglied der SPD-Gruppe bei den Koalitions­verhandlun­gen werden soll. „Denn wenn Unter

nehmen Befris- tungen künftig rechtssich­er begründen müssen, wird es insgesamt auch weniger Befristung­en geben.“Dies, so Holger Schäfer vom arbeitgebe­rnahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), hätte aber insgesamt negative Folgen: „Es ist falsch anzunehmen, dass Unternehme­n die gleiche Anzahl an unbefriste­ten Arbeitsver­trägen anbieten würden, wenn Befristung­en unattrakti­ver werden“, so Schäfer. „Die SPD-Forderung ist nicht zu Ende gedacht.“Würden Befristung­en erschwert, würde ein Teil der Jobs entfallen.

„Die Zahl der befristete­n Arbeitsver­hältnisse liegt seit Jahren konstant deutlich unter zehn Prozent. Zurzeit sind nicht einmal acht Prozent aller Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er in Deutschlan­d befristet beschäftig­t“, erklärte die Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­rverbände. Befristete Arbeitsver­hältnisse seien ein „Einstiegsm­otor in Arbeit“. Sie würden Beschäftig­ung für Menschen ermögliche­n, die noch nie gearbeitet hätten oder langzeitar­beitslos seien. Die meisten Befristung­en gebe es im öffentlich­en Dienst. Hier sei die Befristung­squote mit elf Prozent überpropor­tional hoch, sagte IW-Experte Holger Schäfer.

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