Rheinische Post

„Beim Handball kannst du die Spieler riechen“

Ein Torhüter, ein Kreisläufe­r und ein Trainer erzählen, warum es für die Faszinatio­n Handball gar keine Europameis­terschaft am TV braucht.

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DÜSSELDORF Deutschlan­d ist mal wieder im Handballfi­eber. Wie immer, wenn EM, WM oder Olympia ist. In diesen paar Wochen fühlen sich endlich diejenigen verstanden, die das ganze Jahr für Handball leben, deren Leben der Handball bestimmt. Gerade hier in der Region. Doch was macht die Begeisteru­ng für diesen Sport im Innersten aus? Wir haben drei gefragt, die es wissen müssen: Mikkel Møldrup (25) dänischer Torhüter in Diensten des Neuss-Düsseldorf­er Fusionsklu­bs aus der Zweiten Liga, den Rhein Vikings, Philip Schneider (28) Kreisläufe­r von Drittligis­t TV Korschenbr­oich, und Frank Lorenzet (50), Trainer und Manager beim Leichlinge­r TV, ebenfalls Dritte Liga. Wie sehr sind Sie Fan bei dieser EM? MØLDRUP Ich gucke sicherlich mehr Spiele als die meisten, aber auch nicht jedes. Klar, Dänemarks Partien schaue ich natürlich alle. Laufen denn auch Wetten in der Mannschaft, ob Dänemark oder Deutschlan­d Europameis­ter wird? MØLDRUP Ja klar. Und noch einige andere kleine Wetten rund um die EM. Aber es geht beim Einsatz immer nur um eine Cola. SCHNEIDER (zu Møldrup) Du denkst ja immer, dass die Dänen besser sind als die Deutschen. Wenn wir am Ende den Titel holen, kann ich damit leben (lacht). Die Deutschen konnten im Gruppenspi­el gegen Slowenien ebenfalls gut damit leben, dass sie per Videobewei­s noch zum Unentschie­den kamen. Hand aufs Herz: War Ihnen allen diese Regel bewusst in dem Moment? SCHNEIDER Mir nicht, aber ich war in dem Moment eh so nervös, dass ich im Wohnzimmer auf und ab gewandert bin. LORENZET Wir haben es als Mannschaft zusammen vor dem Training geguckt. Uns war irgendwie klar, dass das Spiel verloren war. Wie es am Ende gelaufen ist, hat uns deswegen auch alle überrascht. Ich bin ja nun schon ein paar Jahre dabei, aber diese spezielle Regel kannte ich nun auch nicht. Aber jetzt sind wir ja schlauer. MØLDRUP Ich habe es noch nie gesehen, dass zwei Schiedsric­hter sich unter einer Decke eine Szene noch mal am Fernseher angucken. Fakt ist ja in jedem Fall: Solche Szenen tragen dazu bei, dass man über Handball redet. LORENZET Ja natürlich. Und es ist doch super, wenn im Handball mal was passiert. Alles ist wichtig für uns als Sportart, was uns in irgendeine­r Form in die Schlagzeil­en bringt. Am liebsten natürlich Erfolge, aber zur Not auch Skandale. Hauptsache, man redet über Handball. Können Sie aus dieser EM für Ihren Verein... LORENZET Nein. Nein? LORENZET Jetzt kommt doch die Frage nach dem nachhaltig­en Effekt, oder? Ja, stimmt. LORENZET Eben, und das ist mein absolutes Lieblingst­hema. Da drücken Sie bei mir einen Knopf. Denn da kommen wir zum Thema Fußball. Ich war neulich in Dortmund im Stadion, bei dem unfassbar langweilig­en 0:0 gegen Wolfsburg. Die Karten waren ein Geschenk für mein Patenkind. Und da habe ich wieder mal gedacht: Dieser Fußball ist ja mittlerwei­le ein solcher Apparat geworden, das ist so ein unfassbare­r Irrsinn geworden. Damit muss irgendwann mal Schluss sein, weil der Fußball sonst alles andere kaputt macht – am Ende auch sich selbst, seine eigene Basis. Weil es immer nur noch um die da oben geht. Diese Götter. Alles andere ist doch uninteress­ant. MØLDRUP (lacht) Wenn du anfängst zu reden, Lori, bin ich immer begeistert. Nun kann Frank Lorenzet nicht bei jedem Handball-Spiel auf der Welt anwesend sein. Warum ist Ihre Sportart trotzdem fasziniere­nd? MØLDRUP Kommen Sie in die Halle, und schauen Sie es sich an. Du kannst viel erklären, aber du musst Handball erleben. Du bist so nah dran an den Spielern. Du kannst die Spieler riechen. Das hast du doch im Fußball nicht. Das ist doch cool. SCHNEIDER Und es gibt keine langweilig­en 0:0. Irgendetwa­s passiert immer. Wenn du Fußball im Fernsehen guckst, kannst du doch zwischendu­rch auch mal kochen gehen. Im Handball geht das nicht, da verpasst du sonst etwas. Das Tempo, das Körperbeto­nte, das gefällt mir an unserem Sport. Stichwort Physis: Warum sieht man bei allen Nickligkei­ten, die es auch im Handball gibt, eigentlich keine Rudelbildu­ngen? SCHNEIDER (lacht) Stimmt, die könnte es im Handball nicht geben. Eben. Aber wie hat der Handball das hinbekomme­n? LORENZET Handball spielen halt Männer. So einfach? LORENZET Du wirst im Handball von klein auf so erzogen. Und da sind wir doch auch schon beim Thema Vorbilder. Warum gibt es Schwalben im Fußball? Weil die Ronaldos dieser Welt es vormachen. Das sehen die Kinder, und machen es nach. So einfach ist es. Natürlich wird auch bei uns gemeckert, stehen Spieler mal Nase an Nase, keif ich mich mal mit meinem Spieler an, aber ... MØLDRUP ... nach dem Spiel ist das Familie? Ernsthaft? MØLDRUP Ja, für mich ist Handball wirklich wie eine zweite Familie. Das heißt ja nicht, dass ich alle Mannschaft­en und alle Spieler mögen muss. SCHNEIDER Mikkel und ich haben zum Beispiel drei Jahre in Neuss zusammen gespielt. Insofern kennen wir uns schon gut, auch privat. Auch in der Liga kennt man viele. Wir Handballer sind ja auch eine kleinere Community. Sie drei hätten aber auch Fußballer werden können? MØLDRUP Nein, ich nicht. SCHNEIDER Nein, so wie du spielst, wirklich nicht. Warum wird man also Handballer? MØLDRUP Mein Vater war Handballer, meine Schwester ist Nationalsp­ielerin, da fängst du selbst auch automatisc­h an. Ich habe als Kind aber auch Judo gemacht und Federball gespielt. Und kein Brian-Laudrup-Poster im Zimmer gehabt? MØLDRUP Nein, nie. Fußball hat mich nie so fasziniert. Vielleicht bin ich deswegen auch Bayern-München-Fan. Die meisten sagen: Du bist Erfolgsfan, aber es liegt eben einfach daran, dass mein Opa die immer gut fand. SCHNEIDER Mein Vater hat in Dormagen Handball gespielt, so bin ich da reingeruts­cht. Ich habe nebenher Hockey und Fußball gespielt. Ich habe aber immer gesagt: Wenn ein Hockey- und ein Handballsp­iel auf denselben Termin fallen, gehe ich zum Handball. Was sind das denn generell für Menschen, die für ihr Leben gern Handball spielen? LORENZET Das lässt sich leicht erklären: Fußball kannst du überall auf der Welt ohne Mittel spielen. Am Ende reicht in sozial schwächere­n Ländern dafür sogar eine Dose. Und deshalb ist Fußball weltweit die Nummer eins. Sportarten, für die du Geld benötigst, werden aber logischerw­eise auch von Kindern gespielt, deren Eltern Geld haben. Gucken Sie sich doch Skifahren, Golfspiele­n, Reiten, Hockey an. Auch Handball. Folglich sind Handballer in einer Schulklass­e nicht zwingend in der Mehrheit. SCHNEIDER Wir waren drei in der Klasse. Der Rest war Fußballer. Die kannten natürlich Handball, aber die Regeln nicht wirklich. Deswegen habe ich es auch immer gehasst, im Sportunter­richt Handball zu spielen. Das war nur Chaos, da kann ein Lehrer besser einen Fußball reinwerfen. Das kann jeder. Handballer sein, ist die eine Sache. Handballto­rwart noch mal eine andere. Warum wird man Handballto­rwart? SCHNEIDER (zu Møldrup) Weil man im Feld zu schlecht ist. MØLDRUP (lacht) Ich glaube, tatsächlic­h ja. Ich habe als Kind als Linksaußen angefangen, dann war ich Rechtsauße­n, dann ging es an den Kreis. Und dann war der Torwart einmal krank, und plötzlich stand ich drin. Mein Papa war ja auch Torwart. Vielleicht liegt es in der Familie. Man muss auf jeden Fall einen an der Klatsche haben, um Torwart zu sein. Ich kenne keinen Torwart, bei dem ich mich nicht fragen würde: Was stimmt mit ihm nicht? Was stimmt mit Ihnen nicht? MØLDRUP (lacht) Da können wir lange drüber reden. Ich höre oft, dass ich im Spiel ein anderer Mensch bin. Man spielt ja auch psychologi­sche Spielchen mit dem Gegner. Du kannst deinen Jungs zum Beispiel sagen, sie sollen den Rechtsauße­n ruhig werfen lassen. Dumm ist nur, wenn er dann immer trifft. Verraten Sie uns, wie man einen Siebenmete­r hält? MOLDRUP Du guckst viel Video. Wer oft wohin wirft. Und du guckst auf den Arm. Aber oft wunderst du dich hinterher auch einfach, wie du den Ball jetzt eben eigentlich gehalten hast. Gucken Sie sich als Trainer oder Spieler etwas ab bei einem Turnier wie der EM? Saugt man neue Trends auf? LORENZET Es gibt keine neuen Trends mehr im Handball. Handball ist taktisch definitiv an einer Grenze angelangt. Die schnelle Mitte brachte vor Jahren noch mal Neuerungen. Gut, jetzt haben wir den siebten Feldspiele­r, aber diese Möglichkei­t wird ja komischerw­eise gar nicht so oft praktizier­t. Aber sonst: Fast alle spielen eine 6:0-Deckung, die Auslösehan­dlungen sind in der Offensive fast immer dieselben. Die heißen zwar überall anders, aber es ist letztlich dasselbe. Es geht nur noch um Verfeineru­ngen. Um 50 Zentimeter, die du bei der Auslösehan­dlung besser bist, damit der Außen am Ende mehr Platz hat. Gilt das auch für jede Position im Einzelnen? Gucken Sie sich gar nichts mehr ab von einem gestandene­n Nationalsp­ieler? MØLDRUP Doch, natürlich. Jeder Torwart ist schließlic­h anders und hat immer mal wieder Bewegungen in petto, die man auch mal ausprobier­t.

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 ??  ?? Die Handballre­gion zu Gast bei der Rheinische­n Post: (v.l.) Torhüter Mikkel Møldrup (Rhein Vikings, 2. Liga), Kreisläufe­r Philip Schneider (TV Korschenbr­oich, 3. Liga) und Trainer-Manager Frank Lorenzet (Leichlinge­r TV, 3. Liga).
Die Handballre­gion zu Gast bei der Rheinische­n Post: (v.l.) Torhüter Mikkel Møldrup (Rhein Vikings, 2. Liga), Kreisläufe­r Philip Schneider (TV Korschenbr­oich, 3. Liga) und Trainer-Manager Frank Lorenzet (Leichlinge­r TV, 3. Liga).

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