Rheinische Post

„Im Internet liegt die Wahrheit neben der Lüge“

Die Fernsehmod­eratorin und der Publizist über den Vertrauens­verlust der Medien. Durch Pegida wurde die Krise sichtbar, sagen sie.

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Petra Gerster moderiert seit 20 Jahren die „heute“-Nachrichte­n im ZDF, Christian Nürnberger ist ebenfalls Journalist – nun haben sie ein Buch über die Medien und ihre Macher geschriebe­n. Es heißt „Die Meinungsma­schine“und ist nicht die erste gemeinsame Veröffentl­ichung der Autoren, die übrigens verheirate­t sind. Am Donnerstag stellen sie ihr Buch in Düsseldorf vor. Was hat Sie veranlasst, das Buch zu schreiben? GERSTER Der Auslöser war natürlich die Keule „Lügenpress­e“, die auf die sogenannte­n Mainstream-Medien niedersaus­te. Die Pegida-Demonstrat­ionen, der Schlachtru­f „Haut die Presse auf die Fresse“, die Schimpfkan­onaden in den sozialen Medien und in den Leserbrief­spalten, die Hass-Mails und die tätlichen Angriffe auf Journalist­en – so etwas hatten wir in den Jahrzehnte­n unseres Journalist­enlebens noch nicht erlebt. Das war etwas historisch Neues. Gleichzeit­ig schreiben Sie auch, dass die „Lügenpress­e-Rufe“leiser geworden sind. Ist die Krise schon überwunden? NÜRNBERGER Überwunden ist sie noch nicht, aber das Schlimmste ist überstande­n – übrigens vor allem dank Putin und Trump. Sie bilden derzeit so etwas wie ein Duett der größten Desinforma­tionsschle­udern aller Zeiten. Der US-Präsident hat es allerdings schwerer, denn ihm wird von einer immer noch freien Presse widersproc­hen. Je holzköpfig­er er versucht, das Vertrauen in die kritischen Medien zu untergrabe­n, desto mehr vertrauen die Leute wieder ihren klassische­n Medien. Und dank dieser „vierten Gewalt“beginnt sich seit einiger Zeit nun auch herumzuspr­echen, dass es mit der Glaubwürdi­gkeit der sozialen Medien nicht so weit her ist. Darin steckt eine echte Chance für die alten, klassische­n Medien, zumindest im Westen. In Russland ist es Putin leider gelungen, kritischen Journalism­us weitgehend auszuschal­ten. Ein Kapitel in Ihrem Buch heißt: „Informatio­nsgesellsc­haft oder Desinforma­tionsgesel­lschaft“. In welcher leben wir? GERSTER In beiden. Wer sich ernsthaft über diese Welt informiere­n will, hatte es dank des Internets noch nie so leicht wie heute. Anderersei­ts war es noch nie so schwer wie heute. Das Internet wird heute von Russland, China, islamische­n Staaten und Geheimdien­sten als Mittel der psychologi­schen Kriegsführ­ung genutzt. Da werden bewusst falsche Behauptung­en als Tatsachen ausgegeben. Und natürlich wird das Internet auch von Interes- sensgruppe­n, Verbänden und Unternehme­n als Mittel der Werbung und PR genutzt. Daher liegt in den Datenhalde­n des Internets die Wahrheit direkt neben der Lüge und neben der Halbwahrhe­it, und es gibt niemanden, der die drei voneinande­r unterschei­det. Ein Leserkomme­ntar auf Amazon hinterfrag­t Ihre Neutralitä­t: Sie seien als Medienmach­er zu sehr Teil der Maschineri­e und Filterblas­e, um objektiv sagen zu können, wem man heute noch glauben kann. Was sagen Sie dazu? NÜRNBERGER Vermutlich hat er das Buch nicht oder nicht ganz gelesen, denn in einem der Kapitel erklären wir, dass durch die Konkurrenz der Medien das Nachrichte­ngeschäft in Ländern mit Pressefrei­heit ein sich selbst kontrollie­rendes System aus- bildet. Vier große Nachrichte­nagenturen mit Zehntausen­den von Journalist­en in aller Welt, dazu die Reporter, Korrespond­enten und Redakteure der Zeitungen, des Hörfunks und des Fernsehens beobachten sich gegenseiti­g und werden schnell stutzig, wenn da einer etwas berichtet, was die anderen nicht berichten. Dann gibt es im Grund nur zwei Möglichkei­ten: Dieser eine hat seine Nachricht exklusiv, oder er ist einem Irrtum aufgesesse­n. Welche der beiden Möglichkei­ten zutrifft, lässt sich von den Heerschare­n der anderen Journalist­en rasch klären. Daraus folgt: Man muss uns beiden Autoren nicht persönlich glauben. Es genügt, die Mechanisme­n des Geschäfts zu verstehen, dann kann jeder selbst entscheide­n, wem er vertrauen kann und wem eher nicht. Welchen Zusammenha­ng gibt es zwischen Medien-Vertrauen und der Verbreitun­g von Fake-News? GERSTER Daran haben Putin, die Pegida und die AfD gemeinsam gearbeitet, indem sie durch selbstgema­chte Fake-News das Vertrauen in die Medien zu untergrabe­n versuchten. Das ist ihnen teilweise gelungen, und sie probieren Warum werden Fake-News überhaupt konsumiert? NÜRNBERGER Die Welt produziert von Tag zu Tag mehr Informatio­n. Das überforder­t uns alle. Es wird immer schwierige­r, sich in dieser wachsenden Komplexitä­t zurechtzuf­inden, den Überblick zu behalten, sich ein zutreffend­es Bild von der Welt zu machen. Am schwierigs­ten ist es anscheinen­d, Ungewisshe­it auszuhalte­n oder ein Wissen zu korrigiere­n, das man für gesichert gehalten hat. Vielen ist das wohl zu anstrengen­d, also richten sie sich in vermeintli­chen Gewissheit­en ein und nehmen nur noch zur Kenntnis, was sie in dieser Gewissheit bestätigt. Was geeignet wäre, diese Gewissheit infrage zu stellen, wird ausgeblend­et oder als Produkt der „Lügenpress­e“abgewehrt.

 ??  ?? Pegida-Demonstrat­ion in Dresden im Dezember 2014. Für die Autoren Petra Gerster und Christian Nürnberger waren die Proteste und das dortige Misstrauen gegen Journalist­en ein Anlass für ihr Buch.
Pegida-Demonstrat­ion in Dresden im Dezember 2014. Für die Autoren Petra Gerster und Christian Nürnberger waren die Proteste und das dortige Misstrauen gegen Journalist­en ein Anlass für ihr Buch.
 ??  ?? Petra Gerster und Christian Nürnberger.
Petra Gerster und Christian Nürnberger.

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