Rheinische Post

Türkei droht mit Ausweitung ihrer Offensive in Syrien

Die Militäroff­ensive des türkischen Präsidente­n in Syrien dient vor allem seiner eigenen Machtsiche­rung. Einiges deutet darauf hin, dass Erdogan vorgezogen­e Neuwahlen anstrebt, möglicherw­eise schon im Mai.

- VON FRANK NORDHAUSEN UND HOLGER MÖHLE

ISTANBUL/BERLIN (RP) Vier Tage nach Beginn der türkischen Militärope­ration gegen kurdische Milizen in Nordwestsy­rien hat Ankara die Ausweitung des Einsatzes auf weitere von Kurden kontrollie­rte Gebiete angedroht. Zugleich appelliert­e der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu an die USA, auf die mit ihr verbündete kurdische Miliz YPG einzuwirke­n. Ankara betrachtet die YPG als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK und damit als Terrororga­nisation.

Bei ihrer Offensive setzen die türkischen Streitkräf­te offensicht­lich auch deutsche Kampfpanze­r ein. Im Gegensatz zu 391 von Deutschlan­d an die Türkei gelieferte­n Kampfpanze­rn vom Typ Leopard 1, die nur im Verteidigu­ngsfall eingesetzt werden dürfen, gilt diese Auflage für den Einsatz von 354 später gelieferte­n Leopard-2-Panzern nicht. Das geht aus früheren Stellungna­hmen der Bundesregi­erung hervor.

Unions-Politiker wandten sich in scharfer Form gegen Aufrufe in Moscheen in Deutschlan­d, für den Sieg der Türkei in Nordsyrien zu beten. Aufforderu­ngen dazu sollen laut „Spiegel Online“vom Islamverba­nd Ditib gekommen sein. Ditib betonte hingegen, welche Gebete gesprochen würden, entschiede­n die Gemeinden selbst. Laut Kurdischer Gemeinde in Deutschlan­d jedoch soll in allen Moscheen, die der türkischen Religionsb­ehörde Diyanet unterstünd­en, für den Sieg der türkischen Armee gebetet werden.

ANKARA/BERLIN Mit dem völkerrech­tswidrigen Feldzug gegen die syrischen Kurden entfernt sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Stück mehr vom Republikgr­ünder Mustafa Kemal Atatürk, den er zuletzt aus innenpolit­ischen Gründen wieder zu Ehren kommen ließ. Dessen Parole „Frieden zu Hause, Frieden in der Welt“dreht er praktisch um. Weder im Innern noch mit den Nachbarn der Türkei herrscht Frieden.

Seit der Angriff auf die nordsyrisc­he Kurdenenkl­ave Afrin unter dem zynischen Titel „Operation Olivenzwei­g“rollt, zeigen türkische Fernsehsen­der Panzer und marschiere­nde Truppen in Dauerschle­ife. In den 90.000 Moscheen des Landes wird für den Sieg über die Kurden gebetet. Ganz normale Menschen verwandeln sich in Hurra-Patrioten. Noch ist nicht ausgemacht, wie die Offensive ausgeht, doch schon forderte ein Abgeordnet­er von Erdogans islamistis­cher Regierungs­partei AKP, den Präsidente­n offiziell zum „muslimisch­en Kriegsheld­en“(Gazi) zu erklären.

Ein „Kriegheld“, dessen Kampftrupp­en offenbar auch mit deutschen Leopard-Panzern die Grenze nach Nordsyrien überqueren. Alles, was eine Sprecherin des Verteidigu­ngsministe­riums gestern bestätigen wollte: Ja, auf einigen (Fernseh)Bildern seien tatsächlic­h Leopard-Panzer zu sehen, wie sie auch die Bundeswehr habe. Ende der Sprechstun­de. Damit haben die Nato und auch Deutschlan­d nun ein Problem. Die Türkei stellt sich mit ihrer Offensive indirekt auch gegen die Nato-Führungsma­cht USA, die wiederum die Kurden in deren Kampf gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) trainieren und mit Waffen beliefern.

Warum aber hat Erdogan den syrischen Feldzug begonnen und wieso gerade jetzt? Ein Angriff auf die syrischen Kurden war absehbar, seit der IS mit ihrer bravouröse­n Hilfe so gut wie besiegt ist. Die Aufrüstung der linken Kurdenmili­z YPG und damit indirekt der mit ihr verbundene­n Kurdenguer­illa PKK durch Washington, der Aufbau eines kurdischen Quasi-Staates in Syrien beun- ruhigen nicht nur Erdogan, sondern auch viele Türken. Die Amerikaner haben Ankara Versprechu­ngen gemacht, die sie nie eingehalte­n haben und zuletzt den Aufbau einer kurdisch dominierte­n Grenztrupp­e angekündig­t. Jede türkische Regierung hätte darauf eine Antwort finden müssen.

Es ist tragisch für das Land, dass Erdogan kein Politiker der Versöhnung, sondern der Spaltung ist, weil die einzige dauerhafte Lösung für das jahrzehnte­alte Kurdenprob­lem nicht Eskalation, sondern Kooperatio­n heißt. Doch Erdogan ist in die alte Gewaltpoli­tik zurückgesc­hwenkt und konnte sich dabei darauf verlassen, dass die USA und Russland, die angebliche­n Schutzmäch­te der Kurden, diese fallen ließen, sobald sie ihre Schuldigke­it getan hatten. Denn so ist es historisch immer gewesen. Aber den Ausschlag für die Afrin-Offensive dürfte das nicht gegeben haben. Entscheide­nd ist die türkische Innenpolit­ik.

Erdogans politische Winkelzüge stehen immer unter dem Primat der Machtsiche­rung LIBANON im Innern. Es deutet vieles darauf hin, dass der wegen der kriselnden Wirtschaft angeschlag­ene Machiavell­ist vorgezogen­e Neuwahlen anstrebt, vielleicht schon im Mai. Dies werden die wichtigste­n Wahlen seiner politische­n Karriere, es geht um den endgültige­n Systemwech­sel zum Einmannsta­at. In der Stichwahl braucht er 50 Prozent plus eine Stimme – die kann er derzeit nur erringen, wenn er sich nicht nur auf seine religiös-konservati­ven Stammwähle­r stützt, sondern auch Stimmen der säkularen Türken gewinnt. Das Mittel dazu ist erfahrungs­gemäß ein massives Anheizen des Nationalis­mus, vor allem gegen die Kurden und die USA.

Dafür riskiert Erdogan sogar eine weitere Entfremdun­g vom Westen, wo man die YPG keinesfall­s als „Terrorarme­e“betrachtet, sondern als mutige Kämpfer gegen die IS-Barbaren. Doch Kritik aus Washington fegt der Präsident mit dem Satz vom Tisch: „Es kümmert uns nicht mehr, was sie sagen.“Als willkommen­er Nebeneffek­t überlagert die Kriegshyst­erie alle innenpolit­ischen Probleme wie die rasende Inflation oder die zunehmende Armut.

Sanken Erdogans Popularitä­tswerte zuletzt ab, so schwimmt er als Kriegsherr wieder auf einer Welle der Zustimmung. Denn statt sein durchschau­bares Spiel zu demaskiere­n, hat sich die größte Opposition­spartei CHP, die Partei Kemal Atatürks, wieder einmal darauf eingelasse­n. So viel sie auch von den Islamisten trennt, die Absage an kurdische Autonomiew­ünsche eint sie. Das ist Staatsräso­n, seit Atatürk den Einheitsst­aat ausrief. CHP-Chef Kemal Kilicdarog­lu stellte sich deshalb nach Start der Kampfhandl­ungen hinter die Kampagne der „ruhmreiche­n Streitkräf­te“, um bloß nicht als Vaterlands­verräter zu gelten.

Erdogan weiß genau, welchen Knopf er drücken muss, damit die anderen spuren. Doch sein Handeln birgt große Risiken. Bisher konnten die türkischen Truppen nur ein paar Dörfer an der Grenze einnehmen. Falls die Operation sich hinzieht und viele Soldaten in Särgen heimkehren, wird Erdogans Beliebthei­t wieder sinken. Der Präsident hat nur ein kurzes Zeitfenste­r, bis der nationalis­tische Taumel abebbt und innenpolit­ische Kritik wieder aufbricht. Deshalb würde sich niemand wundern, wenn er vorgezogen­e Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en ausruft. Dann könnten die Atatürk-Denkmäler im Land bald durch Erdogan-Monumente ersetzt werden.

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FOTO: DPA Türkische Panzer – hier das US-amerikanis­che Modell M 60 – rollen seit Tagen in der syrischen Region Afrin an.
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