Rheinische Post

Computersp­iele können süchtig machen. Das soll künftig als Krankheit gelten.

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- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

DÜSSELDORF Für ihre Sucht hat Britta Sarbok-Heyer zwischenze­itlich sogar ihre Familie verlassen, wollte in der fiktiven Welt ein Held sein. „Ich wusste nicht mehr, wer ich war“, sagt die 52-Jährige, die in Krefeld eine Selbsthilf­egruppe für Onlinesuch­t ins Leben gerufen hat. „Das Leben im Spiel ist schöner, schneller, einfacher“, sagt sie. Und fordert Eltern auf, die Zeiten zu begrenzen, die ihre Kinder im Netz verbringen. Die Ausrede „Die zocken ja nur“gelte nicht. Die Anerkennun­g als Krankheit sei überfällig. „Es muss öffentlich gemacht werden. Wenn wir nicht darüber reden können, passiert nichts.“

Im Mai könnte es soweit sein. Dann entscheide­t sich, ob die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) die Computersp­ielsucht in ihren Katalog anerkannte­r Krankheite­n aufnimmt. Gegner befürchten, die Aufnahme könnte gesunde Spieler als Süchtige brandmarke­n, Betroffene seien nie nur onlinesüch­tig. Es gäbe immer auch eine zweite Erkrankung. Befürworte­r sehen in der Aufnahme einen lange erwarteten Schritt. Endlich könnte Online- und Computersp­ielesucht bei den Krankenkas­sen abgerechne­t und behandelt werden. Für Sarbok-Heyer war es ein Glücksfall, dass sie selbst zeitgleich ein Alkoholpro­blem hatte. „Dadurch konnte der Arzt die Therapie überhaupt abrechnen.“

Die Anerkennun­g sei zurecht hoch umstritten, sagt Martin Puppe, Sprecher des „game“, des Verbandes der deutschen Games-Branche. Belastbare Studienerg­ebnisse fehlten, Mediziner seien uneinig, ob es sich um ein eigenständ­iges Krankheits­bild handelte. Denn Millionen Spieler nutzten die gleichen Spiele, ohne Probleme damit zu haben. Die Folge der Anerkennun­g könnten Fehldiagno­sen von Depression­en oder Angststöru­ngen sein. „Der Schlüssel zur Verhinderu­ng ungesunder, exzessiver Computersp­ielnutzung ist Medienkomp­etenz“, sagt Puppe.

Die Anfänge sind meist ganz klein, sagt Anja Vennedey, Leiterin der Suchtberat­ung der Diakonie Düsseldorf. „Man nimmt sich vor: ,Morgen geh ich zur Uni und abends um 23 Uhr ins Bett’, und das klappt nicht.“Das sei der Klassiker. Funktionie­rt das dauerhaft nicht und verbringt man regelmäßig mehr Zeit vor dem Computer als man sich vornimmt, sollten die Alarmglock­en schrillen. „Wir begrüßen ausdrückli­ch die Aufnahme in den ICD“, sagt Vennedey. Der ICD ist die Interna- tionale Klassifika­tion der Krankheite­n der WHO. Krankheite­n, die hier aufgeliste­t sind, gelten als offiziell anerkannt und können entspreche­nd diagnostiz­iert und abgerechne­t werden. „Bei der Computersp­ielsucht handelt es sich um ein junges Krankheits­bild“, sagt Vennedey. Eine Aufnahme in den ICD würde mehr Gelder für Forschung ermögliche­n. „Natürlich muss man differenzi­ert hingucken, nicht jeder am PC ist süchtig.“Das Argument, dass viele Patienten auch unter Depression­en litten, hält sie für überflüssi­g. „Es ist müßig darüber zu diskutiere­n, was zuerst da war“, sagt Vennedey. Der Therapeut muss im- mer untersuche­n, wofür die Sucht steht, was damit kompensier­t oder verdrängt wird.

Computersp­iel- und Onlinesuch­t ist kein neues Problem. Das Gesundheit­sministeri­um schreibt in seinem Drogen- und Suchtberic­ht für 2017: Knapp sechs Prozent aller Jugendlich­en im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren galten im Jahr 2015 als computersp­iel- oder internetab­hängig, doppelt so viele wie 2011. Die meisten spielen dem Bericht zufolge, um nicht an unangenehm­e Dinge denken zu müssen. Knapp die Hälfte der Befragten gab an, für Computersp­iele Freunde und Familie zu vernachläs­sigen.

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QUELLE: DROGEN- UND SUCHTBERIC­HT DES GESUNDHEIT­SMINISTERI­UMS 2017 | FOTO: IMAGO | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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