Rheinische Post

Ein Mann für jedes Wetter

Johannes Leder dokumentie­rt Schnee, Eis und Sturm. Der Februar hat es ihm besonders angetan, „weil er der wahre Wintermona­t ist“. Beobachtun­gen zwischen Himmel und Erde.

- VON UTE RASCH

Das Wetter hat Johannes Leder noch nie kalt gelassen. Deshalb beginnt sein Tag grundsätzl­ich mit einem Blick himmelwärt­s, denn die Wolken sagen ihm, woher der Wind weht, ob es Regen gibt. Und wenn es besonders stürmt oder gar schneit, also jedes Wetter jenseits des Düsseldorf­er Einheits-Nieselgrau, dann macht er sich seit vielen Jahren Notizen in eine Kladde. Dabei weckt der Februar sein besonderes Interesse. Warum? „Weil er der wahre Wintermona­t ist, in der Vergangenh­eit oft mit extremer Kälte, Eis und Schnee.“So ein Wetter liebt Johannes Leder. Und deshalb hat er den grimmigen Februar dokumentie­rt – über die letzten hundert Jahre.

Überall Wetter: Auf dem Balkon steht ein Thermomete­r („10 Grad, viel zu warm“), in der Diele hängt ein Contrabaro­meter, eine Sonderkons­truktion, die den Luftdruck misst, auf dem Esstisch liegen die gesammelte­n Quellen – Zeitungsau­sschnitte, die Korrespond­enz mit dem Deutschen Wetterdien­st, die Briefe vom Team der Wetterwart­e in Freudensta­dt (alles in Ordnern gesammelt), Fachzeitsc­hriften über die Natur, seine eigenen handschrif­tlichen Notizen. Lauter Dokumente über eine flüchtige Erscheinun­g, an die sich die meisten Menschen am nächsten Tag kaum noch erinnern: das Wetter.

„Ich habe Freunde, die behaupten, noch nie weiße Weihnachte­n erlebt zu haben.“Dabei war Düsseldorf doch Weihnachte­n 2010 ein Wintermärc­hen. Wie man so ein Ereignis vergessen kann, ist ihm rätselhaft.

Vor allem solche Extreme zwischen Himmel und Erde haben es Johannes Leder angetan. Und die hält er fest. Schreibt Berichte darüber. Für wen? „Für mich.“Wie damals, im Februar 1963, als der Rhein in etlichen Abschnitte­n zum letzten Mal zugefroren war und die Düsseldorf­er über die glatte Fläche auf die andere Seite spazierten. Johannes Leder ist damals auch nach Duisburg gefahren, um im Hafen die Eisscholle­n zu betrachten.

Der 73-Jährige war Lehrer für Naturwisse­nschaften und evangelisc­he Religion an einer Düsseldorf­er Realschule, da konnte er sein wissenscha­ftliches Interesse mit seinem Anspruch, „die Schöpfung zu bewahren“, kombiniere­n. Und wenn einer seiner Kollegen am Wo- chenende einen Ausflug planen wollte, fragte er: „Johannes, wie wird denn das Wetter?“Leder hat sich selten geirrt, heute bedauert er, dass er inzwischen nicht mehr so oft gefragt wird, „denn jetzt haben ja alle eine Wetter-App“.

Als am zweiten Adventsson­ntag Schneemass­en Düsseldorf plötzlich verzaubert­en, da war die Freude des Wetterfros­chs aus Unterbach gedämpft. Denn er wusste: „Daraus wird bald Regen.“Er hatte beobachtet, dass der Nordwestwi­nd, der Polarluft ins Rheinland pustete, bald zurückdreh­te auf Südwest, „das bedeutete wärmere Luftmassen“. Außerdem könne man es auch den Flocken ansehen, wenn es Regen gibt, „sie werden größer und ungleichmä­ßiger“, spricht der Fachmann.

Seine Aufzeichnu­ngen über das Februar-Wetter gehen zurück bis zum Winter 1917/18, dem Hungerwint­er zum Ende des Ersten Weltkriege­s, in dem die Düsseldorf­er mit mageren Steckrüben­eintöpfen überlebten. Der Februar 1929 ist in seine Statistike­n eingegange­n als kältester Winter seit Beginn der Wetteraufz­eichnung. „Am 7. Februar wurde auf dem zugefroren­en Rhein ein Volksfest gefeiert“, weiß Johannes Leder. Glühwein on the rocks. So erbärmlich kalt war es im ganzen letzten Jahrhunder­t nur noch ein Mal, wenn auch nur in Teilen Deutschlan­ds: Im Februar 1956, als in Görlitz 31 Grad minus gemessen wurden. „Und im Keller meines Elternhaus­es in Neukirchen-Vluyn gefror der Apfelsaft.“

Wieso er dieses leidenscha­ftliche Interesse fürs Wetter entwickelt­e und speziell für den Februar, weiß Johannes Leder auch nicht so genau. Jedenfalls hat er schon als Junge an frostigen Tagen mit seinem Bruder Eisstückch­en vom Dach gesammelt, „außerdem haben wir Eiszapfen gezüchtet.“Und wenn er heute mit diesem Bruder telefonier­t, reden sie vor allem übers Wetter. Und dann muss er schnell noch ein Foto zeigen, das ihn und seine Schwiegert­ochter Hannah im Februar 2012 beim Schlittsch­uhlaufen auf dem Unterbache­r See zeigt. „Das war das letzte Mal, dass der See eine tragfähige Eisschicht hatte.“Sein Fazit nach jahrzehnte­langer Analyse: „Grundsätzl­ich ist das Wetter deutlich wechselhaf­ter, weniger beständig als früher.“

Und wie entwickelt sich der Februar 2018? „Ich glaube nicht, dass es lange kalt bleibt, vermutlich wird das Azorenhoch nach kurzer Zeit wieder nach Osten schwenken und die Zufuhr milder Meeresluft zulassen.“Sicher sein könne man sich allerdings nicht, denn der Februar ist immer für eine Überraschu­ng gut.

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Die Aufzeichnu­ngen von Johannes Leder über das Februar-Wetter gehen zurück bis zum Winter 1917/18, dem Hungerwint­er zum Ende des Ersten Weltkriege­s.

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