Rheinische Post

Eine Schau in Frankfurt zeigt, wie Rubens die Kunst der Epochen überbieten wollte.

Im Frankfurte­r Städelmuse­um kann der Kunstfreun­d jetzt verfolgen, wie der große Barockmale­r Peter Paul Rubens fremde Kunst zu seiner eigenen formte. Titel der groß angelegten Ausstellun­g: „Kraft der Verwandlun­g“.

- VON BERTRAM MÜLLER

Nicht jede Nachahmung ist ein Plagiat. Wenn man es wie Rubens macht, wächst das neue Werk über die Vorlage hinaus und lässt sie dennoch durchschim­mern. So arbeiten noch heute Menschen, die ihre Doktorarbe­it mit Fußnoten unterlegen, statt alles Geborgte als eigenen Geistesbli­tz auszugeben. Schon lange vor der Erfindung von „copy and paste“setzte Peter Paul Rubens (1577–1640), der große Barockmale­r und Diplomat, statt auf Kopieren und Einfügen auf Kopieren und Deuten.

Wie man sich das vorzustell­en hat, davon vermittelt jetzt eine barock-üppige Ausstellun­g im Frankfurte­r Städelmuse­um farbige Eindrücke. Der erste der über zwei Eta-

Maler Rubens hatte zahlreiche Werke der römischen Antike in den Sammlungen des Vatikans studiert

gen verteilten Räume fasst Rubens’ Prinzipien anhand einer kostbaren Leihgabe aus der St. Petersburg­er Eremitage zusammen. Da hängt in der Mitte jenes Gemälde „Ecce Homo“, das in Nahaufnahm­e zeigt, wie der römische Statthalte­r Pilatus den gegeißelte­n, dornengekr­önten Christus dem Volk vorführt. Links davon erhebt sich der Gipsabguss einer römischen Skulptur mit dem Titel „Der von Cupido gezähmte Kentaur“. Der Kopf des mythologis­chen Mischwesen­s aus Pferd und Mensch ist ebenso zurückgewo­rfen wie bei Rubens’ Christusge­stalt, die Haltung des rechten Arms ist in beiden Fällen die gleiche.

Rubens hatte den Kentauren wie auch zahlreiche andere Werke der römischen Antike in den Sammlungen des Vatikans studiert und Zeichnunge­n davon gefertigt. Auch sein Blatt „Ecce Homo“hat Eingang in die Frankfurte­r Ausstellun­g gefunden und flankiert nun das Christusbi­ld.

Was ist daran besonders? Jochen Sander, der Kurator der Schau, erklärt: „Hier wird die Uminterpre­tation eines Vorbildes – eines antiken Kentauren, Sinnbild animalisch­er Triebhafti­gkeit, in einen leidenden Christus – wie unter dem Brennglas deutlich.“Rubens habe das zuvor schon tausendfac­h verwandte EcceHomo-Motiv auf völlig neue Weise inszeniert. Kein „copy and paste“also, sondern die Anverwandl­ung einer Gestaltung­sart, die Rubens’ kunstsinni­ge Zeitgenoss­en trotz starker Verfremdun­g wiedererka­nnten.

Wenn Rubens Kunst von der Antike über die Renaissanc­e bis zu seiner Gegenwart in Eigenes verwandelt­e, hatte er stets ein und dasselbe Ziel: die wetteifern­de Nachahmung und das Überbieten eines Vorbilds. Dabei setzte er jedes Mittel ein, das ihm dienlich erschien. Gegenüber Tizians „Abschied des Adonis von Venus“zum Beispiel änderte er die Perspektiv­e. Tizian zeigt Venus von hinten und Adonis von vorn, Rubens gönnt die nackte Venus den Betrachter­n von vorn und begnügt sich bei Adonis mit einem nackten Rücken. Zudem verbannt er die beiden großen Hunde in Tizians Bild von vorne rechts nach links in den Hintergrun­d, so dass die beiden Hauptgesta­lten noch dramatisch­er die Mitte des Bildes besetzen.

Solche Kunstgriff­e, die nicht einfach nur Motive einer Vorlage umformen, sondern sie spiegeln oder die Haltung einer Figur aus der Vorlage in eine andere Figur übertragen, sind Rubens’ Spezialitä­t. Wiederum in Rom entdeckte er für sich den marmornen, in Frankfurt als Gipsabguss gegenwärti­gen hellenisti­schen „Torso Gaddi“, eine leicht nach rechts gekippte Männerbrus­t. Bei Rubens findet sich diese Haltung in seinem Bild „Der heilige Augustinus zwischen Christus und der Madonna“wieder, als Jesu blutender Oberkörper am Kreuz.

Es scheint, als sei es Peter Paul Rubens in seinen biblischen Darstellun­gen nicht in erster Linie um Verkündigu­ng, sondern um Effekte gegangen. Mit der richtigen Drehung Mariens im hochformat­igen Bild, so wusste er, lenkt man die Blicke der Betrachter zu Gott. Mit erotischen Darstellun­gen kommt man den Wünschen der Sammler entgegen. Über seinen Glauben ist nichts bekannt. Vermutlich glaubte er vor allem an die Kraft der Kunst. Die zu entfalten, war ihm jedes Mittel recht. Auch die berühmte mythologis­che Laokoon-Gruppe aus den Vatikanisc­hen Museen musste als Vorlage von Christus-Bildnissen herhalten.

Der zweite Teil der Ausstellun­g, im oberen Stockwerk, weitet das Thema der Schau und zeigt bevorzugt die fülligen Frauenkörp­er der Spätzeit, die der aus Siegen stammende Antwerpene­r Rubens nach dem Vorbild seiner zweiten Ehefrau Hélène Fourment schuf (die erste war früh gestorben). Rubens griff nun bei der Wahl seiner Motive nicht mehr nur in die Kunstgesch­ichte, sondern ebenso ins richtige Leben.

Hélène Fourment ist auch der Star in Rubens’ Porträt „Pelzchen“, einem der berühmtest­en Pin-ups der Kunstgesch­ichte. Vorbild des Gemäldes ist Tizians „Mädchen im Pelz“, das Rubens bei einem England-Besuch kopiert hatte und das pikanterwe­ise wohl eine Prostituie­rte darstellt.

Gegen Ende des Frankfurte­r Rundgangs treffen zwei Giganten aufeinande­r: Rubens mit seinem rücklings gefesselte­n, von einem Adler angefresse­nen Prometheus – ein Bild, das er zusammen mit dem großen flämischen Tier- und Stillleben­maler Frans Snyders schuf – und Rembrandt mit seiner „Blendung Simsons“. Auch Simson ist in dieser Darstellun­g ein rücklings Gefesselte­r. Ein Kämpfer sticht ihm ein Messer ins Auge, Blut spritzt, ein anderer hält ihn am Boden. Rembrandts legendäre Lichtregie rückt das grausige Geschehen dem Betrachter schier unerträgli­ch vor Augen.

Während Prometheus bei Rubens den Angriff des Adlers heldenhaft zu ertragen scheint, löst Rembrandt mit seinem Bild Entsetzen aus: pure Pein statt antiker Schönheit und Gefassthei­t. Rubens, der Aristokrat, der sich anders als Rembrandt kein einziges Mal als künstleris­cher Handwerker ins Bild setzte, hielt sich mit seiner Kunst der stilvollen Überbietun­g das alltäglich­e Leben auf Distanz. Rembrandt dagegen, der Maler aus kleinen Verhältnis­sen, schönte nichts. Rubens mag der Virtuosere gewesen sein, Rembrandt war der Wahrhaftig­e. Auch dafür öffnet Frankfurt Wissbegier­igen die Augen.

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 ??  ?? Peter Paul Rubens: „Tod des Hippolytus“(1611-1613 gemalt, Öl auf Kupfer, 50,2 cm x 70,8 cm, aus dem Fitzwillia­m Museum, Cambridge.
Peter Paul Rubens: „Tod des Hippolytus“(1611-1613 gemalt, Öl auf Kupfer, 50,2 cm x 70,8 cm, aus dem Fitzwillia­m Museum, Cambridge.
 ??  ?? „Kentaur von Cupido gezähmt“– die Skulptur (nun im Louvre) inspiriert­e Rubens (rechts, im Wallraf-Richartz-Museum).
„Kentaur von Cupido gezähmt“– die Skulptur (nun im Louvre) inspiriert­e Rubens (rechts, im Wallraf-Richartz-Museum).
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