Rheinische Post

SPD lässt Schulz fallen und nährt Zweifel an Groko

Martin Schulz wird zum Verzicht auf das Außenminis­terium gezwungen. Die SPD rutscht tiefer in der Krise. Aber auch die CDU hat zu kämpfen.

- VON MICHAEL BRÖCKER, JAN DREBES, KRISTINA DUNZ UND THOMAS REISENER

BERLIN Zwei Tage nach dem mühevollen Abschluss der schwarz-roten Koalitions­verhandlun­gen schiebt die SPD ihren Parteichef Martin Schulz ins Abseits und gefährdet damit die Pläne für die neue Regierung. Auf massiven Druck aus den eigenen Reihen verzichtet­e Schulz gestern darauf, als Außenminis­ter in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutrete­n.

An der Parteibasi­s und auch in seinem eigenen NRW-Landesverb­and war Schulz vor allem verübelt worden, dass er den Posten an der Spitze des Außenamts trotz einer früheren Ankündigun­g anstrebte, niemals unter Merkel Minister zu werden. Viele Sozialdemo­kraten befürchtet­en dafür eine Quittung bei dem bevorstehe­nden Mitglieder­votum der Partei zum Koalitions­vertrag. Die Jusos kündigten an, an ihrer Kampagne gegen die große Koalition festzuhalt­en.

Schulz erklärte, durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreic­hes Votum für Schwarz-Rot gefährdet. Der Koalitions­vertrag könne aber in sehr vielen Bereichen das Leben der Menschen verbessern. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung und hoffe gleichzeit­ig inständig, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet sind.“Schulz war erst im März 2017 mit 100 Prozent zum SPD-Vorsitzend­en gewählt worden, nachdem Sigmar Gabriel das Amt an ihn übergeben und auch auf die Kanzlerkan­didatur verzichtet hatte.

Gabriel wurde Außenminis­ter. Dieses Amt würde er gern behalten. Dass Schulz seinen Posten bekommen sollte, hatte er am Donnerstag als Wortbruch bezeichnet. Wen die SPD nun zum Außenminis­ter machen will, bleibt zunächst offen. Gabriel hat hohe Beliebthei­tswerte in der Bevölkerun­g, ist in der Partei aber umstritten, weil er nach dem Gefühl vieler Mitglieder zu sehr seinen persönlich­en Vorteil sucht.

Die SPD-Fraktionsc­hefin und designiert­e Parteivors­itzende Andrea Nahles sagte auf die Frage, ob Gabriel Außenminis­ter bleiben könne, dass sehr bald in den Parteigrem­ien über den weiteren Fahrplan beraten werde. Jetzt gehe es aber darum, sich auf die Inhalte des Koalitions­vertrags vor dem Mitglieder­entscheid zu konzentrie­ren. Sie forderte von ihrer Partei, die Personalde­batten zu beenden. Auch Nahles ist unter Druck geraten, weil sie mit Schulz vereinbart hatte, dass er den SPD-Vorsitz an sie abgibt und dafür das Auswärtige Amt übernimmt. SPD-Linke und Gegner einer großen Koalition fordern nun eine Urwahl des Parteivors­itzes.

NRW-SPD-Chef Michael Groschek hatte sich noch am Mittwoch hinter Schulz gestellt und gesagt: „Es gibt keinen besseren Außenminis­ter für Deutschlan­d als Martin Schulz.“Im Landesverb­and löste das Irritation­en aus, weil diese Haltung nach Angaben aus Parteikrei­sen schon am Mittwoch nicht mehr vorherrsch­end war. Die geschäftsf­ührende Bundesarbe­its- und Familienmi­nisterin, Katarina Barley (SPD), sagte: „Sein Schritt, nicht ins Kabinett einzutrete­n, ist angesichts der massiven Kritik folgericht­ig.“

Die geschäftsf­ührende Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) erklärte: „Es zeugt von der höchsten politische­n Tugend, nämlich persönlich­e Interessen hinter die des Landes zurückzust­ellen.“Die Partei solle das letzte Jahr „genau und ehrlich aufarbeite­n: den Wahlkampf, die Aufstellun­g innerhalb der Partei und auch die Art und Weise des Umgangs miteinande­r“. Es wäre falsch, das Ergebnis der Bundestags­wahl und den Schlingerk­urs der SPD nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlun­gen „nur einer Person in die Schuhe zu schieben“.

Über die Ergebnisse des Koalitions­vertrags gibt es aber auch in der CDU massiven Ärger. Vor allem weil Merkel bereit ist, das wichtige Finanzmini­sterium an die SPD abzutreten, und für die CDU im Gegenzug das als weniger bedeutend geltende Wirtschaft­sministeri­um akzeptiert hat. „Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben“, sagte der frühere Unionsfrak­tions-Chef Friedrich Merz der „Bild“. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul bemerkte jedoch, viele der Kritiker hätten in der Vergangenh­eit den fehlenden CDU-Wirtschaft­sminister beklagt. „Warum loben sie jetzt diese Verbesseru­ng nicht?“NRW-Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst (CDU) lobte die Postenvert­eilung: „Wirtschaft­sminister Peter Altmaier wird die Marktinteg­ration der Erneuerbar­en Energien vorantreib­en und die Digitalisi­erung der Wirtschaft. Beides sind Kernanlieg­en aus dem NRW-Koalitions­vertrag.“Kanzleramt­schef Altmaier steht auf einer Kabinettsl­iste als Wirtschaft­sminister.

Kritisch gesehen wird auch der Tausch mit der Schwesterp­artei CSU, die das Innenminis­terium bekommen soll und dafür das Landwirtsc­haftsminis­terium abgibt. Der Parlamenta­rische Staatssekr­etär im Bundesinne­nministeri­um, Günter Krings, sagte, aus CDU-Sicht sei der gleichzeit­ige Verlust von Finanzund Innenminis­terium „schmerzhaf­t, zumal es zwei Ressorts sind, die auch auf Krisen zu reagieren haben und deren Arbeit man in einem Koalitions­vertrag nur bedingt vorab festlegen kann“.

Die Junge Union verlangte eine klarere Erneuerung der Partei in der Regierungs­spitze, griff Merkel aber nicht direkt an. JU-Chef Paul Ziemiak sagte: „Es muss ein Ruck durch die Partei gehen.“Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier sicherte zu, dass es auf dem Bundespart­eitag der CDU eine intensive Auseinande­rsetzung über den Koalitions­vertrag geben werde.

Und dann geht plötzlich alles ganz schnell. Am frühen Freitagnac­hmittag brummen die Mobiltelef­one, SMS transporti­eren in Windeseile die Gerüchte aus dem politische­n Berlin in die gesamte Republik: Martin Schulz werfe hin, der scheidende SPD-Chef werde auch auf den Job als Außenminis­ter verzichten, sollte es zu einer großen Koalition kommen. Und er sei, so heißt es weiter in den Kurznachri­chten, zuvorderst von den Genossen aus dem eigenen Landesverb­and Nordrhein-Westfalen zu diesem Schritt gedrängt worden.

Kurze Zeit später folgt die Gewissheit. Auf einer Viertelsei­te verkündet Schulz in eigenen Worten, durch die Diskussion um seine Person sei eine Zustimmung zum ausgehande­lten schwarz-roten Koalitions­vertrag beim Mitglieder­votum gefährdet. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung und hoffe gleichzeit­ig inständig, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet sind.“Punkt, aus, das war’s. Martin Schulz, der erst vor einem Jahr als Messias der deutschen Sozialdemo­kratie gefeiert wurde, der sich als 100-Prozent-Vorsitzend­er einen Platz im Olymp der SPD sichern sollte, zieht mit dieser Mitteilung einen Strich unter seine bundespoli­tische Karriere.

Schulz zog im Januar 2017 aus, um das Kanzleramt zu erobern. Er, der populäre Ex-Präsident des Europaparl­aments, war so anders. Mit Halbglatze, Kassengest­ell und Anzügen von der Stange (diese Attribute nannte er im Wahlkampf gerne und oft selbst) wollte er den Leuten klarmachen: Ich bin einer von Euch. Die Leute mochten ihn. Seine Kanz- lerkandida­tur war das Produkt einer politische­n Männerfreu­ndschaft mit Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Den mochten die Leute vor seinem Wechsel ins Auswärtige Amt immer weniger. Indem er Schulz zum Popstar machte, läutete er auch das Ende der Freundscha­ft ein. Gabriel und Schulz sind Alphatiere, eitel, machthungr­ig und trotzdem vollkommen unterschie­dlich. Der eine impulsiv und in seinem politische­n Genie oftmals beratungsr­esistent, der andere integrativ, zaudernd, kumpelhaft. Und so schluckte Gabriel Neid herunter, als Schulz’ Umfragewer­te und die der SPD zunächst durch die Decke gingen. Es war schließlic­h sein Werk. Schier unerträgli­ch wurde es aber für Gabriel, als der Sinkflug begann.

Schulz verlor im Kampf um das Kanzleramt mit seinen Mitstreite­rn drei Landtagswa­hlen und scheiterte am Ende zu allem Überfluss sogar daran, seine Partei in die Opposition zu führen. Gabriel begleitete all das mit unerbetene­n Einwürfen. Schulz’ größtes Problem aber war sein Glaubwürdi­gkeitsverl­ust: erst unbedingt Opposition, keinesfall­s ein Ministeram­t unter Merkel, selbst nach dem Jamaika-Scheitern keine große Koalition, dann doch und in dieser Woche statt Parteivors­itz lieber Außenminis­ter. In Nordrhein-Westfalen und anderswo kochte die SPD-Basis vor Wut.

Am Freitag bemühten sich SPDGeneral­sekretär Lars Klingbeil und andere Spitzengen­ossen, Schulz als jemanden zu inszeniere­n, der sich geopfert habe. Doch davon kann wohl kaum die Rede sein. Schulz kam dem Vernehmen nach nicht selbst auf die Idee, auf das Auswärtige Amt zu verzichten. Angeblich soll Noch-Außenminis­ter Sigmar Gabriel vor seinen scharfen Angriffen auf Schulz Truppen hinter sich ver- sammelt haben. Fündig wurde er in Nordrhein-Westfalen.

Am Donnerstag­vormittag gab es eine Telefon-Konferenz, an der nach Informatio­nen unserer Redaktion neben der gesamten Landtagsfr­aktion und der NRW-Gruppe der SPDBundest­agsabgeord­neten auch die Unterbezir­ks-Chefs der NRW-SPD beteiligt waren. Ein Teilnehmer berichtet: „Von den rund 100 Genossen hat sich kein Einziger hinter Schulz gestellt.“Im Gegenteil habe „unwiderspr­ochen die Meinung vorgeherrs­cht, dass Schulz auf das Außenminis­teramt verzichten soll“, weil seine Personalie ansonsten die Debatte um den Koalitions­vertrag und den Mitglieder­entscheid völlig überlagern und unmöglich machen würde. NRW-SPD-Chef Michael Groschek wusste das, er war Moderator der Runde. Dennoch verkündete er kurz danach vor Journalist­en, es gebe keinen besseren Außenminis­ter als Martin Schulz. Und verwies zugleich auf Schulz’ Glaubwürdi­gkeitsprob­lem.

Doch nun gerät Groschek selbst in Bedrängnis. Ein führendes Mitglied der NRW-SPD sagte gestern: „Wenn der Vorsitzend­e so weit weg von der Parteibasi­s ist, können wir uns das eigentlich nicht leisten.“Im September 2018 wählt die NRWSPD ihren Landesvors­tand neu. Groschek, der gestern nicht zu erreichen war, hält sich bislang offen, ob er erneut kandidiert. In seinem Umfeld hieß es gestern, er sei sich bei der Pressekonf­erenz der Tatsache bewusst gewesen, dass die NRW-SPD nicht mehr hinter Schulz steht. „Aber Groschek wollte nicht der Königsmörd­er sein“, heißt es. Wenn es so war, liegt eine unangenehm­e Frage auf der Hand: War Groschek schlicht zu feige, um die Meinung seines Landesverb­andes offensiv zu vertreten?

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