SPD lässt Schulz fallen und nährt Zweifel an Groko
Martin Schulz wird zum Verzicht auf das Außenministerium gezwungen. Die SPD rutscht tiefer in der Krise. Aber auch die CDU hat zu kämpfen.
BERLIN Zwei Tage nach dem mühevollen Abschluss der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen schiebt die SPD ihren Parteichef Martin Schulz ins Abseits und gefährdet damit die Pläne für die neue Regierung. Auf massiven Druck aus den eigenen Reihen verzichtete Schulz gestern darauf, als Außenminister in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutreten.
An der Parteibasis und auch in seinem eigenen NRW-Landesverband war Schulz vor allem verübelt worden, dass er den Posten an der Spitze des Außenamts trotz einer früheren Ankündigung anstrebte, niemals unter Merkel Minister zu werden. Viele Sozialdemokraten befürchteten dafür eine Quittung bei dem bevorstehenden Mitgliedervotum der Partei zum Koalitionsvertrag. Die Jusos kündigten an, an ihrer Kampagne gegen die große Koalition festzuhalten.
Schulz erklärte, durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreiches Votum für Schwarz-Rot gefährdet. Der Koalitionsvertrag könne aber in sehr vielen Bereichen das Leben der Menschen verbessern. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind.“Schulz war erst im März 2017 mit 100 Prozent zum SPD-Vorsitzenden gewählt worden, nachdem Sigmar Gabriel das Amt an ihn übergeben und auch auf die Kanzlerkandidatur verzichtet hatte.
Gabriel wurde Außenminister. Dieses Amt würde er gern behalten. Dass Schulz seinen Posten bekommen sollte, hatte er am Donnerstag als Wortbruch bezeichnet. Wen die SPD nun zum Außenminister machen will, bleibt zunächst offen. Gabriel hat hohe Beliebtheitswerte in der Bevölkerung, ist in der Partei aber umstritten, weil er nach dem Gefühl vieler Mitglieder zu sehr seinen persönlichen Vorteil sucht.
Die SPD-Fraktionschefin und designierte Parteivorsitzende Andrea Nahles sagte auf die Frage, ob Gabriel Außenminister bleiben könne, dass sehr bald in den Parteigremien über den weiteren Fahrplan beraten werde. Jetzt gehe es aber darum, sich auf die Inhalte des Koalitionsvertrags vor dem Mitgliederentscheid zu konzentrieren. Sie forderte von ihrer Partei, die Personaldebatten zu beenden. Auch Nahles ist unter Druck geraten, weil sie mit Schulz vereinbart hatte, dass er den SPD-Vorsitz an sie abgibt und dafür das Auswärtige Amt übernimmt. SPD-Linke und Gegner einer großen Koalition fordern nun eine Urwahl des Parteivorsitzes.
NRW-SPD-Chef Michael Groschek hatte sich noch am Mittwoch hinter Schulz gestellt und gesagt: „Es gibt keinen besseren Außenminister für Deutschland als Martin Schulz.“Im Landesverband löste das Irritationen aus, weil diese Haltung nach Angaben aus Parteikreisen schon am Mittwoch nicht mehr vorherrschend war. Die geschäftsführende Bundesarbeits- und Familienministerin, Katarina Barley (SPD), sagte: „Sein Schritt, nicht ins Kabinett einzutreten, ist angesichts der massiven Kritik folgerichtig.“
Die geschäftsführende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) erklärte: „Es zeugt von der höchsten politischen Tugend, nämlich persönliche Interessen hinter die des Landes zurückzustellen.“Die Partei solle das letzte Jahr „genau und ehrlich aufarbeiten: den Wahlkampf, die Aufstellung innerhalb der Partei und auch die Art und Weise des Umgangs miteinander“. Es wäre falsch, das Ergebnis der Bundestagswahl und den Schlingerkurs der SPD nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen „nur einer Person in die Schuhe zu schieben“.
Über die Ergebnisse des Koalitionsvertrags gibt es aber auch in der CDU massiven Ärger. Vor allem weil Merkel bereit ist, das wichtige Finanzministerium an die SPD abzutreten, und für die CDU im Gegenzug das als weniger bedeutend geltende Wirtschaftsministerium akzeptiert hat. „Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben“, sagte der frühere Unionsfraktions-Chef Friedrich Merz der „Bild“. NRW-Innenminister Herbert Reul bemerkte jedoch, viele der Kritiker hätten in der Vergangenheit den fehlenden CDU-Wirtschaftsminister beklagt. „Warum loben sie jetzt diese Verbesserung nicht?“NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) lobte die Postenverteilung: „Wirtschaftsminister Peter Altmaier wird die Marktintegration der Erneuerbaren Energien vorantreiben und die Digitalisierung der Wirtschaft. Beides sind Kernanliegen aus dem NRW-Koalitionsvertrag.“Kanzleramtschef Altmaier steht auf einer Kabinettsliste als Wirtschaftsminister.
Kritisch gesehen wird auch der Tausch mit der Schwesterpartei CSU, die das Innenministerium bekommen soll und dafür das Landwirtschaftsministerium abgibt. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings, sagte, aus CDU-Sicht sei der gleichzeitige Verlust von Finanzund Innenministerium „schmerzhaft, zumal es zwei Ressorts sind, die auch auf Krisen zu reagieren haben und deren Arbeit man in einem Koalitionsvertrag nur bedingt vorab festlegen kann“.
Die Junge Union verlangte eine klarere Erneuerung der Partei in der Regierungsspitze, griff Merkel aber nicht direkt an. JU-Chef Paul Ziemiak sagte: „Es muss ein Ruck durch die Partei gehen.“Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sicherte zu, dass es auf dem Bundesparteitag der CDU eine intensive Auseinandersetzung über den Koalitionsvertrag geben werde.
Und dann geht plötzlich alles ganz schnell. Am frühen Freitagnachmittag brummen die Mobiltelefone, SMS transportieren in Windeseile die Gerüchte aus dem politischen Berlin in die gesamte Republik: Martin Schulz werfe hin, der scheidende SPD-Chef werde auch auf den Job als Außenminister verzichten, sollte es zu einer großen Koalition kommen. Und er sei, so heißt es weiter in den Kurznachrichten, zuvorderst von den Genossen aus dem eigenen Landesverband Nordrhein-Westfalen zu diesem Schritt gedrängt worden.
Kurze Zeit später folgt die Gewissheit. Auf einer Viertelseite verkündet Schulz in eigenen Worten, durch die Diskussion um seine Person sei eine Zustimmung zum ausgehandelten schwarz-roten Koalitionsvertrag beim Mitgliedervotum gefährdet. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind.“Punkt, aus, das war’s. Martin Schulz, der erst vor einem Jahr als Messias der deutschen Sozialdemokratie gefeiert wurde, der sich als 100-Prozent-Vorsitzender einen Platz im Olymp der SPD sichern sollte, zieht mit dieser Mitteilung einen Strich unter seine bundespolitische Karriere.
Schulz zog im Januar 2017 aus, um das Kanzleramt zu erobern. Er, der populäre Ex-Präsident des Europaparlaments, war so anders. Mit Halbglatze, Kassengestell und Anzügen von der Stange (diese Attribute nannte er im Wahlkampf gerne und oft selbst) wollte er den Leuten klarmachen: Ich bin einer von Euch. Die Leute mochten ihn. Seine Kanz- lerkandidatur war das Produkt einer politischen Männerfreundschaft mit Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel.
Den mochten die Leute vor seinem Wechsel ins Auswärtige Amt immer weniger. Indem er Schulz zum Popstar machte, läutete er auch das Ende der Freundschaft ein. Gabriel und Schulz sind Alphatiere, eitel, machthungrig und trotzdem vollkommen unterschiedlich. Der eine impulsiv und in seinem politischen Genie oftmals beratungsresistent, der andere integrativ, zaudernd, kumpelhaft. Und so schluckte Gabriel Neid herunter, als Schulz’ Umfragewerte und die der SPD zunächst durch die Decke gingen. Es war schließlich sein Werk. Schier unerträglich wurde es aber für Gabriel, als der Sinkflug begann.
Schulz verlor im Kampf um das Kanzleramt mit seinen Mitstreitern drei Landtagswahlen und scheiterte am Ende zu allem Überfluss sogar daran, seine Partei in die Opposition zu führen. Gabriel begleitete all das mit unerbetenen Einwürfen. Schulz’ größtes Problem aber war sein Glaubwürdigkeitsverlust: erst unbedingt Opposition, keinesfalls ein Ministeramt unter Merkel, selbst nach dem Jamaika-Scheitern keine große Koalition, dann doch und in dieser Woche statt Parteivorsitz lieber Außenminister. In Nordrhein-Westfalen und anderswo kochte die SPD-Basis vor Wut.
Am Freitag bemühten sich SPDGeneralsekretär Lars Klingbeil und andere Spitzengenossen, Schulz als jemanden zu inszenieren, der sich geopfert habe. Doch davon kann wohl kaum die Rede sein. Schulz kam dem Vernehmen nach nicht selbst auf die Idee, auf das Auswärtige Amt zu verzichten. Angeblich soll Noch-Außenminister Sigmar Gabriel vor seinen scharfen Angriffen auf Schulz Truppen hinter sich ver- sammelt haben. Fündig wurde er in Nordrhein-Westfalen.
Am Donnerstagvormittag gab es eine Telefon-Konferenz, an der nach Informationen unserer Redaktion neben der gesamten Landtagsfraktion und der NRW-Gruppe der SPDBundestagsabgeordneten auch die Unterbezirks-Chefs der NRW-SPD beteiligt waren. Ein Teilnehmer berichtet: „Von den rund 100 Genossen hat sich kein Einziger hinter Schulz gestellt.“Im Gegenteil habe „unwidersprochen die Meinung vorgeherrscht, dass Schulz auf das Außenministeramt verzichten soll“, weil seine Personalie ansonsten die Debatte um den Koalitionsvertrag und den Mitgliederentscheid völlig überlagern und unmöglich machen würde. NRW-SPD-Chef Michael Groschek wusste das, er war Moderator der Runde. Dennoch verkündete er kurz danach vor Journalisten, es gebe keinen besseren Außenminister als Martin Schulz. Und verwies zugleich auf Schulz’ Glaubwürdigkeitsproblem.
Doch nun gerät Groschek selbst in Bedrängnis. Ein führendes Mitglied der NRW-SPD sagte gestern: „Wenn der Vorsitzende so weit weg von der Parteibasis ist, können wir uns das eigentlich nicht leisten.“Im September 2018 wählt die NRWSPD ihren Landesvorstand neu. Groschek, der gestern nicht zu erreichen war, hält sich bislang offen, ob er erneut kandidiert. In seinem Umfeld hieß es gestern, er sei sich bei der Pressekonferenz der Tatsache bewusst gewesen, dass die NRW-SPD nicht mehr hinter Schulz steht. „Aber Groschek wollte nicht der Königsmörder sein“, heißt es. Wenn es so war, liegt eine unangenehme Frage auf der Hand: War Groschek schlicht zu feige, um die Meinung seines Landesverbandes offensiv zu vertreten?