Nahles als neue SPD-Chefin nominiert
Am 22. April in Wiesbaden soll ein Sonderparteitag Nahles wählen. Scholz wird kommissarischer Chef.
BERLIN SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles ist gestern einstimmig vom Präsidium und vom Vorstand ihrer Partei als neue Vorsitzende nominiert worden. Dies erklärte Martin Schulz, der zugleich mit sofortiger Wirkung als Parteichef zurücktrat. Mit seinem Verzicht wolle er dazu beitragen, „dass die Personaldebatten zu einem Ende kommen“. Das Amt des Parteichefs, das er nur zehn Monate innehatte, nannte er „kräftezehrend“.
Bis zum Parteitag am 22. April, bei dem Nahles zur Parteichefin gewählt werden soll, wird Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz an der Spitze der Partei stehen. Über die SPD-Führung in diesen wenigen Wochen war in den vergangenen Tagen ein Streit entstanden. Schulz hatte ursprünglich mit Nahles verabredet, dass sie künftig die Partei führen und bis zu ihrer Wahl kommissarisch übernehmen solle. Gegen diesen handstreichartigen Übergang regte sich in den Landesverbänden Berlin, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt Widerstand. Dieser richtete sich vor allem gegen das geplante Verfahren, nicht gegen Nahles selbst. „So wie sonst üblich, sollte ein Parteitag entscheiden und Vorsitzende nicht im Jahresrhythmus ernannt wer- den“, sagte Berlins Landeschef Michael Müller.
Nahles erklärte nach den Gremiensitzungen, dass es für sie „eine Ehre“sei, zur Parteichefin nominiert zu sein, und dass sie Verantwortung fürs Land übernehmen wolle. Scholz betonte, seine Rolle für die wenigen Wochen bis zum Sonderparteitag in Wiesbaden sei „eine dienende“.
Die SPD-Spitze hat infolge des Streits zwischen Schulz und dem noch amtierenden Außenminister Sigmar Gabriel schwer an Autorität eingebüßt. Die zudem hinter den Kulissen ausgekungelte Entschei- dung, dass Nahles den Parteivorsitz übernehmen solle, brachte etliche Mitglieder zusätzlich auf. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange gab der Verbitterung an der Basis Ausdruck, indem sie ihre Kandidatur als Parteichefin erklärte. Bisher zog sie diese nicht zurück.
Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht forderte eine grundlegende Kurskorrektur der SPD und hält Nahles als dafür „denkbar ungeeignet“. Wagenknecht warnte: „Bringt die SPD die Kraft zu einer grundlegenden Kurskorrektur nicht auf, wird sie enden wie ihre französische und niederländische Schwesterpartei: in der politischen Bedeutungslosigkeit.“
„Ich scheide ohne Bitterkeit und Groll aus diesem Amt“Martin Schulz zu seinem Rücktritt als SPD-Parteichef
Aus den Chaos-Tagen der SPD geht die künftige Parteichefin Andrea Nahles mit einem blauen Auge hervor. Die gewachsene Sensibilität der Basis in Personalfragen hatte sie sträflich unterschätzt. Bei der verlockenden Aussicht, die erste Parteichefin in der mehr als 150-jährigen Geschichte der SPD zu werden, hatten sie ihre sonst guten Instinkte verlassen.
Die einst so mächtige Volkspartei befand sich in den vergangen Tagen im freien Fall – die Umfragewerte waren dramatisch niedrig, die Führungsgremien drohten zu implodieren. Ob der Abwärtstrend mit der Neuaufstellung gestoppt werden kann, ist ungewiss.
Die Überlebenschancen der SPD jedenfalls sind größer, wenn sich ihre Mitglieder in den nächsten Wochen mehrheitlich für den Koalitionsvertrag aussprechen. Mit konstruktiver Regierungsarbeit und sichtbarer Verantwortungsübernahme haben die Sozialdemokraten die Chance, ins Spiel zurückzukehren. Für einen weiteren Bundestagswahlkampf jedenfalls sind sie noch lange nicht gewappnet. BERICHT