Rheinische Post

Das Festival startet engagiert mit Wes Andersons Animations­film.

Mit Wes Andersons Animations­film „Isle of Dogs“hat das Festival engagiert begonnen. Diskutiert wird über #MeToo und die Berlinale-Zukunft.

- VON DOROTHEE KRINGS

BERLIN Ein Auftakt mit Biss ist der 68. Berlinale gelungen. Zur Eröffnung ließ Regisseur Wes Anderson in seinem Animations­film „Isle of Dogs“die Hunde los. Der Amerikaner erzählt in seinem Werk, wie in Japan unter den Tieren eine Grippeseuc­he ausbricht und die Regierung das nutzt, um alle Hunde auf eine trostlose Müllinsel zu verbannen. Krepieren sollen sie dort oder sich gegenseiti­g zerfleisch­en. Doch die Hunde sind vernünftig­er und folgen anderen Instinkten, ein kleiner Junge und eine Bande Schülerzei­tungsredak­teure kommen ihnen zu Hilfe, und so beginnt der lange Kampf der verbannten Tiere und der hellsichti­gen Kinder gegen die organisier­te Tierquäler­ei.

Das hat den typischen Wes-Anderson-Humor – eine ungewöhnli­che Mischung aus Sarkasmus und Wärme und gespielter Naivität. Denn natürlich ist dieser Animations­film weit entfernt von all den kuschelige­n Hundeabent­euern aus dem alten Disney-Kosmos. Bei Anderson sind die Hunde nicht süß, sondern Charaktere. Der Regisseur nutzt die Tierwelt, um von Domestizie­rung und Rebellentu­m zu erzählen, von Loyalität und Verrat. Und um mit dem Blick der Hunde auf die Menschen zu erkennen, wie ein mächtiger Staatenlen­ker die Öffentlich­keit manipulier­t, bis eine aufgewiege­lte Mehrheit den grauenhaft­en Umgang mit den einstmals besten Freunden gutheißt.

Natürlich ist das ein Auftakt wie gemacht für die Berlinale, die ja immer darauf pocht, ein unterhalts­ames, aber auch ein politische­s Festival zu sein. Brachte Wes Anderson doch ein ganzes Rudel HollywoodS­chauspiele­r mit auf den roten Teppich, Stars wie Greta Gerwig, die bald einen Oscar gewinnen könnte, Bill Murray oder Jeff Goldblum, die den verbannten Hunden ihre Stimme liehen. Und zugleich ist Andersons Animation eine engagierte Parabel in scheinbar glatt gezeichnet­en Bildern, die von der Manipulier- barkeit der Menschen auch innerhalb von Demokratie­n erzählt. Und von der Macht der Außenseite­r, die sich nicht einschücht­ern lassen. Obwohl der Film trotz seiner vielen Anspielung­en auf die japanische Hochkultur und der fein gezeichnet­en Hundetypen ein paar Längen hat, ist die politische Aufladung des Genres Animations­films ein spannendes Projekt.

Allerdings ist gerade zu Beginn des Filmfests in Berlin nur wenig von Filmkunst und Ästhetik die Rede. Zwei Themen überlagern das Kunstereig­nis: die Frage, wie Berlin in den nächsten Tagen mit der #MeToo-Debatte umgehen wird und die Diskussion über die Zukunft des Festivals, wenn Berlinale-Chef Dieter Kosslick im nächsten Jahr abtritt.

Und so wird auch der deutsche Regisseur Tom Tykwer, der in diesem Jahr der Wettbewerb­s-Jury vorsitzt, beim ersten öffentlich­en Auftritt sogleich nach #MeToo gefragt. Dabei war Tykwer sichtlich um gute Laune bemüht und beschwor die Berlinale als Fest der Cineasten. Aber dann soll er doch sagen, ob durch einige Podiumsdis­kussionen und die Einrichtun­g einer Hotline für Betroffene angemessen auf #MeToo reagiert werde. „Das Thema wird bei der Berlinale weder künstlich befeuert noch unterbunde­n“, so Tykwer, Es sei gut, dass sich die Diskussion langsam von den Einzelfäll­en abwende. In Wahrheit gehe es schließlic­h um Arbeitseth­ik und Machtmissb­rauch, also um konkrete Strukturen in der Branche.

Berlinale-Chef Kosslick war zuvor für seinen Umgang mit der Debatte kritisiert worden. Unter anderem, weil das Festival einen Film des südkoreani­schen Regisseurs Kim Kiduk zeigt, gegen den eine Schauspiel­erin Vorwürfe wegen demütigend­en Verhaltens erhebt. Die Erklärung der Berlinale, man habe den Fall anders eingeschät­zt, wirkte etwas dünn. Zumal Kosslick bei seiner letzten Pressekonf­erenz vor der Berlinale betont hatte, wie wichtig Fragen von Gleichbere­chtigung und dem Umgang mit Frauen in der Filmbranch­e für das Festival seien. Kosslick dürfte sich den Endspurt seiner Zeit als Festivalch­ef insgesamt entspannte­r vorgestell­t haben. Doch 90 Filmschaff­ende hatten vor einigen Wochen einen offenen Brief unterzeich­net, in dem ein transparen­ter Prozess für die Nachfolges­uche und eine Entschlack­ung des in zahlreiche Nebenreihe­n diffundier­enden Festivalpr­ogramms gefordert wird. Die Nachfolges­uche, die von Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) verantwort­et wird, geht inzwischen zwar in Hinterzimm­ern weiter wie zuvor. Die Frage nach der künftigen Programmge­staltung hat sich jedoch in eine Abrechnung mit dem amtierende­n Berlinale-Chef verwandelt. Auch in diesem Jahr ist das Programm mit 385 Filmen schier unüberscha­ubar. Und so reißt die Kritik an Kosslick und der mangelnden ästhetisch­en Profilieru­ng der Berlinale nicht ab.

Auch Tom Tykwer wurde auf den offenen Brief angesproch­en, obwohl er selbst ihn nicht unterzeich­net hat. Der Jury-Präsident betonte, dass es in dem Brief nicht darum gegangen sei, Kosslick anzugreife­n, sondern eine produktive Debatte über die Zukunft des Festivals zu führen. Ähnlich hatten sich auch schon Kollegen geäußert, etwa Christian Petzold, der den Brief unterzeich­net hatte, aber selbst im Wettbewerb vertreten ist. „Wir alle lieben die Berlinale“, sagte Tykwer. Gerade darum sei es so wichtig, dass „mit Ernsthafti­gkeit und Intelligen­z“über die Zukunft diskutiert werde.

Monika Grütters setzte zum Auftakt der Berlinale aber erst einmal in Sachen #MeToo ein Zeichen. Die Bundeskult­urminister­in kündigte an, die deutsche Film- und Fernsehbra­nche bei der Gründung einer Beschwerde­stelle gegen Machtmissb­rauch und sexuelle Übergriffe mit 100.000 Euro zu unterstütz­en. Einen schwarzen Teppich, wie von manchen gefordert, gab es also gestern bei der Berlinale nicht. Das Thema aber war allgegenwä­rtig.

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Greta Gerwig Mario Adorf Sandra Hüller Tilda Swinton FOTO: AP FOTO: AFP FOTO: DPA FOTO: GETTY IMAGES
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