Rheinische Post

Gesuchter 18-Jähriger stellt sich

Mit einem Foto war nach dem jungen Mann gefahndet worden. Gemeinsam mit anderen Männern soll er mehrere Schülerinn­en vergewalti­gt haben. Bei Taten wie diesen ginge es um Macht und Überlegenh­eit, so eine Pädagogin.

- VON CLAUDIA HAUSER UND SASKIA NOTHOFER Diplompäda­gogin

ESSEN/GELSENKIRC­HEN Im Fall der mutmaßlich­en Vergewalti­gung mehrerer Schülerinn­en im Ruhrgebiet von einer Gruppe junger Männer hat sich der gesuchte 18-Jährige den Behörden gestellt. Der mit einem Fahndungsf­oto Gesuchte sei in einer Polizeiwac­he erschienen, sagte ein Polizeispr­echer gestern Abend. Er soll noch heute dem Haftrichte­r vorgeführt werden.

Als die Essener Polizei am 17. Januar einen jungen Mann festnimmt, der mit drei weiteren Beteiligte­n eine Jugendlich­e vergewalti­gt haben soll, wird erst nach und nach die Dimension des Falls klar – und das abgebrühte Vorgehen der mutmaßlich­en Täter. Der 19Jährige aus Gelsenkirc­hen hatte dem 16 Jahre alten Mädchen, das die Gruppe am Abend zuvor auf einem Feld vergewalti­gt haben soll, seine Handynumme­r gegeben. Für den Fall, dass man sich noch einmal treffen wolle. Das Mädchen ging damit am nächsten Tag zur Polizei und erstattete Anzeige. Die Ermittler nahmen den Mann fest, stellten sein Handy sicher und durchsucht­en seine Wohnung. Beim Lesen der Chats stellten sie fest, dass die 16Jährige nicht das einzige Opfer der Bande ist.

Nachdem Staatsanwa­ltschaft und Polizei am Mittwoch die Öffentlich­keit über die Gruppenver­gewaltigun­gen informiert haben – die Rede ist von mindestens sechs Fällen –, begann die Fahndung nach einem der mutmaßlich­en Täter. Der 18-Jährige, der sich nun gestern gestellt hat, soll die Mädchen zunächst angelockt haben. Je drei weitere Männer kamen dazu, man fuhr mit dem Auto durch die Gegend, die Täter nahmen dem Mädchen das Handy ab und zwangen es zum Sex. Dann brachten sie ihr Opfer nach Hause. „Soweit wir wissen, stammen alle Opfer aus dem Bekanntenk­reis der Täter“, so ein Sprecher der Essener Polizei.

Laut Ursula Enders, Leiterin und Gründerin des Kölner Vereins Zartbitter e.V., der sich um Opfer sexuel- Ursula Enders ler Gewalt kümmert, ist die Tat der Männer nicht zu erklären. „Es handelt sich um völlig empathielo­ses Verhalten, es mangelt solchen Tätern an jeglichem Einfühlung­svermögen“, so die Diplompäda­gogin. Wie bei jedem sexuellen Übergriff gehe es vermutlich auch bei den Taten in Essen und Gelsenkirc­hen um Machtdelik­te. Durch Gruppenver­gewaltigun­gen bestätigte­n sich jugendlich­e Täter gegenseiti­g in dem Gefühl der Überlegenh­eit. „Das Ganze wird dann als Scherz vor sich selbst und anderen bagatellis­iert“, erklärt Enders.

Drei 16-Jährige sind als Opfer bekannt, weil sie Anzeige erstattet haben. Am 30. Januar konnte die Polizei zwei weitere Beschuldig­te festnehmen. Sie sind 19 und 23 Jahre alt, gegen einen 16-Jährigen wird ebenfalls ermittelt.

Wenn sich bestätigt, wovon die Staatsanwa­ltschaft ausgeht, haben die Männer sich in immer kürzeren Abständen Opfer gesucht. Am 16. Januar kam es zu der Vergewalti­gung, die eine 16-Jährige zur Anzeige brachte. Als ihr Kumpel am 17. festgenomm­en wurde, sollen die anderen Männer wieder losgezogen sein, um ein Mädchen zu vergewalti­gen. „Wir wissen noch nicht, ob es diese Tat wirklich gegeben hat oder ob sie nur geplant war“, sagt die Sprecherin. Ein Opfer hat sich bisher nicht gemeldet. Fest steht, dass es im Dezember eine Vergewalti­gung in Gelsenkirc­hen gegeben hat: Diese Tat wurde ebenfalls von einer 16-Jährigen angezeigt. Zudem wurde eine versuchte Vergewalti­gung im Januar angezeigt. Und auch im November könnte es schon zu einem Übergriff gekommen sein, wie sich aus den Chatprotok­ollen der Beschuldig­ten entnehmen lässt. Die Polizei bittet weitere mögliche Opfer, sich zu melden.

Für die Polizei gab es keine Möglichkei­t, früher an die Öffentlich­keit zu gehen: Es lag die Anzeige aus Gelsenkirc­hen vor und erst, als die zweite Tat im Januar in Essen angezeigt wurde, schlossen die Ermittler, dass es einen Zusammenha­ng geben könnte, weil sich die Vorgehensw­eise der Täter ähnelte.

Verhindern ließen sich solche Taten nicht in jedem Fall, so Enders. Nur Prävention könne etwas bewirken. „Täter, die so perfide und geplant vorgehen, sind fast immer schon früher in Bezug auf sexuelle Gewalt auffällig geworden“, sagt sie. An diesem Punkt hätte eingegriff­en werden müssen. Die Pädagogin appelliert an Gerichte, straffälli­g gewordene Jugendlich­e nicht wegzusperr­en, sondern sie in stationäre Therapien zu geben.

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