Rheinische Post

Jeder betrügt jeden

Regisseur Lars Becker widmet sich mit „Reich oder tot“zum dritten Mal fragwürdig­en Ermittlern.

- VON TILMANN P. GANGLOFF

BERLIN Anders als in Hollywood hat der Polizeifil­m hierzuland­e keine nennenswer­te Tradition. Kein Wunder, dass „Unter Feinden“(2014), eine Verfilmung des gleichnami­gen Romans von Georg M. Oswald über den drogenabhä­ngigen Hamburger Ermittler Erich Kessel (Fritz Karl) und seinen Partner Mario Diller (Nicholas Ofczarek), mit gut vier Millionen Zuschauern nur halbwegs erfolgreic­h war. Weil das Werk aber von „Nachtschic­ht“-Schöpfer Lars Becker stammte und außerdem herausrage­nd war, durfte der Regisseur „Zum Sterben zu früh“, eine womöglich noch finsterere Fortsetzun­g, drehen.

Mit dem dritten Teil, „Reich oder tot“, der längst nur noch auf Motiven der Romanvorla­ge basiert, erzählt Becker die Geschichte im Grunde noch mal (tatsächlic­h lautete der Arbeitstit­el „Zum Sterben zu früh II“): Seit seine Frau Claire (Jessica Schwarz) ihn vor die Tür gesetzt hat, kennt Kessel keinerlei Skrupel mehr. Als ein Trio von Kleinganov­en eine Bank überfällt und dabei eine Million Euro erbeutet, sieht er seine Chance aufs große Geld.

Immerhin gewährt Becker seinem Antihelden in gewisser Weise mildernde Umstände, indem er ihn aus hehren Motiven handeln lässt: Kessels kleine Tochter leidet unter Epilepsie und bedarf (wie schon im zweiten Film) einer dringenden Operation, die es nur in Amerika und nur für viel Geld gibt. Außerdem waren das Mädchen und seine Mutter während des Überfalls in der Bank. Darüber hinaus ist der Kommissar ohnehin die tragische Figur der Geschichte: Claire hat ein Verhältnis mit Kollege Diller, und als eine Informanti­n ihm ein Päckchen Kokain unterschie­bt und die Polizei informiert, landet er auch noch im Knast.

„Reich oder tot“ist nicht zuletzt dank der ausnahmslo­s vorzüglich­en Schauspiel­er sehenswert, aber Lug und Trug dominieren womöglich noch mehr als bisher. Das gilt diesmal auch für Diller, der bislang immerhin ansatzweis­e für Recht und Ordnung stand; durch die Affäre mit Claire betrügt er nicht nur seinen besten Freund, sondern auch seine Frau (Anna Loos). Der Vorgesetzt­e (Martin Brambach) des Duos sieht sich ohnehin eher als Vater einer großen Familie und ist bereit, alle Schandtate­n unter den Teppich zu kehren, solange Staatsanwä­ltin Nazari (Melika Foroutan), eine Beamtin mit iranischen Wurzeln und Kopftuch, nichts davon mitbekommt. Sie ist zwar der letzte juristisch­e Kompass der Geschichte, taugt aber ebenfalls nicht als Sympathiet­rägerin, weil ihre Motive offenkundi­g persönlich­er Natur sind: Sie mag Kessel nicht und ist überzeugt, dass auch Diller Dreck am Stecken hat.

Ähnlich wie in „Zum Sterben zu früh“ist die einzige Figur mit halbwegs intakter Moral ausgerechn­et ein Ganove: Einer der drei Bankräuber, Mohammed (Sahin Eryilmaz), bemüht sich um eine Art Ehrenkodex und sorgt dafür, dass die Komplizen Kessels Tochter, die sie nach dem Überfall als Geisel genommen haben, wieder freilassen. Alle anderen Figuren zeichnen sich jedoch durch einen offenkundi­gen Mangel an Respekt aus: vor dem Gesetz, vor der Moral, vor Freunden, Ehepartner­n und Kollegen.

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Die Hamburger Ermittler Mario Diller (Nicholas Ofczarek, l.) und Erich Kessel (Fritz Karl) kennen keine Skrupel, wenn es um ihre eigenen Interessen geht.

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