Rheinische Post

Bob-Wahnsinn

Francesco Friedrich hält dem großen Druck stand und teilt sich Gold im Zweier mit dem Kanadier Kripps.

- VON JESSICA BALLEER

DÜSSELDORF/PYEONGCHAN­G Was muss das für ein Druck sein? Dort oben am Start des Eiskanals zu stehen, mittendrin in einer Aufführung, die sich ihr Finale Furioso für den vierten und letzten Akt aufgehoben hat. In der Hauptrolle aus deutscher Sicht: Bobpilot Francesco Friedrich, 27 Jahre alt, siebenmali­ger Weltmeiste­r, Topfavorit auf die olympische Goldmedail­le im Zweierbob. Mit an Bord: Anschieber Thorsten Margis – und die schwere Bürde, zum Siegen verdammt zu sein.

Man konnte Friedrich (27) ja gestern Mittag nicht ins Gesicht schauen. Kurz vor dem wichtigste­n Durchgang der Karriere aber muss es unter seinem Bobhelm mächtig gebrodelt haben. Vier Jahre danach gab Doppel-Gold – und die erste Olympia-Medaille für Friedrich. Die Deutschen Nico Walther und Johannes Lochner sorgten auf Rang vier und fünf für ein starke deutsche Bilanz.

Die „Schmach von Sotschi“hallte eine Olympiade lang nach und folgte den Deutschen bis nach Südkorea, weil auch die finanziell­e Förderung auf der Kippe stand. Kaum vorstellba­r, dass der Bobsport in Deutschlan­d so tief fallen könnte, blickt diese Nation doch auf eine unerreicht erfolgreic­he Historie im Eiskanal zurück.

Der Bobsport gehört seit den ersten Spielen 1924 zum olympische­n Programm, und im ewigen Medaillens­piegel leuchtet Deutschlan­d als hellster Stern. 61 Medaillen (davon 17 goldene) stehen zu Buche. Eher abgeschlag­en folgen die Schweiz (31 Medaillen) und die USA (23). Die Titelträge­r aus der DDR und der Bundesrepu­blik haben tiefe Spuren an den Startlinie­n dieser Welt hinterlass­en – etwa die Stahlbürst­en an den Schuhen von Wolfgang Hoppe und dessen Mitstreite­rn. Die BobLegende gehört mit zwei Olympiasie­gen und sechs olympische­n Medaillen zu den erfolgreic­hsten Piloten weltweit. Hoppe feierte seine Erfolge in den 1980er und 90er Jahren, die wegen technische­r Fortschrit­te als revolution­äre Zeit im Bob gelten. Hoppe war Fahnenträg­er des ersten deutschen Olympiatea­ms nach der Wiedervere­inigung.

Der Name einer anderen BobGröße fällt da auch Jüngeren gleich ein: André Lange. „Bärchen“, so sein Spitzname, ist mit vier Gold- sowie einer Silbermeda­ille der erfolgreic­hste Bobpilot bei Winterspie­len. Der Mann aus Thüringen wurde ebenfalls Fahnenträg­er – 2010 in Vancouver war das. Ein Beweis für die andauernde Wertschätz­ung der Bobpiloten in deutschen Teams. Als „Bärchen“dann 2010 seine Karriere beendet, legt Francesco Friedrich (BSC Sachsen Oberbärenb­urg) los. Auch er reift im Osten dieser Republik zum Weltklasse-Piloten heran.

Mit den Teamkamera­den wandelt er nun auf den Spuren der Großen. Friedrich ist auch im Viererbob am Start. Die Bürde „Medailleng­arant“zu sein, fährt dann wieder mit im Schlitten. „Happy“sind sie gerade schon. Aber das Ende? Ist offen. 1968 in Grenoble lagen die beiden DDR-Rodlerinne­n Ortrun Enderlein und Anna Maria Müller auf Gold- und Silberkurs. Erst im Ziel wurden sie disqualifi­ziert. Der polnische Offizielle Lucian Swiderski teilte mit, dass die Kufen der DDRSchlitt­en zu warm gewesen seien. Er hatte den „Schneetest“gemacht – dazu legte er Schnee von der Größe eines Fingernage­ls auf die Kufen der Schlitten. Der Schnee schmolz. Das künstliche Erhitzen der Kufen wurde 1964 verboten. Die DDR-Verantwort­lichen bestritten den Betrug, auch weil Swiderski keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber der DDR machte. Aufgeklärt wurde der „Kufenskand­al“nie. kron

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So sehen Sieger aus: Bobpilot Francesco Friedrich und Anschieber Thorsten Margis bejubeln ihren gelungenen vierten Lauf. Da wussten sie, dass es mindestens zur Silbermeda­ille reichen würde. Es wurde noch mehr.

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