Rheinische Post

In vielen Städten drohen Fahrverbot­e

Am Donnerstag wird das Bundesverw­altungsger­icht wahrschein­lich entscheide­n, ob in Düsseldorf und anderen Städten Fahrverbot­e wegen zu hoher Abgasbelas­tung eingeführt werden dürfen. Wir erklären, was auf Betroffene zukommt.

- VON JAN DREBES UND REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF/LEIPZIG Ein für Donnerstag erwartetes Grundsatzu­rteil des Bundesverw­altungsger­ichtes in Leipzig könnte Schockwell­en durch Deutschlan­d jagen. Das Gericht wird überprüfen, ob zwei für Düsseldorf und Stuttgart gefällte Urteile rechtsgült­ig sind. Darin waren die beiden Städte von lokalen Gerichten verdonnert worden, Fahrverbot­e für Dieselauto­s zu prüfen, damit die von der Europäisch­en Union (EU) vorgegeben­en Schadstoff­Grenzwerte eingehalte­n werden. Die Lobby-Organisati­on Deutsche Umwelthilf­e (DUH) hatte die Urteile erwirkt. Kommt es nun zur Freigabe für mögliche Fahrverbot­e, wären dutzende Kommunen und wohl auch Millionen Autofahrer betroffen. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen zu dem Streit. Worum geht es? Seit Jahren werden in vielen Städten die Grenzwerte für Stickoxide (NO2) nicht eingehalte­n. Die Belastung ist zwar gesunken, doch weiterhin werden die von der EU vorgegeben­en Werte von maximal 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft in rund 70 Städten überschrit­ten – in NRW beispielsw­eise im Jahresdurc­hschnitt 2017 in Köln (Spitzenrei­ter), Düsseldorf, Dortmund, Oberhausen, Wuppertal, Hagen, Aachen, Leverkusen, Gießen, Solingen und Essen. In Bonn und Neuss gilt ein Überschrei­ten auch als wahrschein­lich, die Daten stehen aber noch aus. Was haben die Grenzwerte mit dem Diesel zu tun? Weil der Verkehr zu rund 60 Prozent zur NO2-Belastung beiträgt und davon wiederum die Dieselauto­s 72,5 Prozent ausmachen, halten viele Experten ein konsequent­es Reinhalten der Luft ohne radikale Maßnahmen beim Dieselverk­ehr für fast unmöglich. „Es sind entweder Fahrverbot­e für ältere Diesel notwendig, um die Gesundheit­svorgaben zu erfüllen, oder wir brauchen eine Umrüstung von Millionen älterer Dieselauto­s“,sagt der Duisburger Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r. Dies bestätigt Helmut Dedy, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetage­s: „Ich würde mich wundern, wenn wir an Fahrverbot­en vorbeikomm­en würden.“ Wie schnell könnten Fahrverbot­e kommen? Experten rechnen mit einigen Monaten Übergangsz­eit. Das Bundesverw­altungsger­icht kann nicht selbst Fahrverbot­e verhängen, aber es würde die Vorgaben örtlicher Verwaltung­sgerichte zu den Luftreinha­lteplänen in Stuttgart und Düsseldorf abnicken. Das Stuttgarte­r Gericht hatte Fahrverbot­e dabei als „effektivst­e Maßnahme“gewürdigt. In Düsseldorf hieß es, Fahrverbot­e sollten „ernstlich geprüft“werden. Dies bedeutet, dass die Luftreinha­ltepläne schnell überarbeit­et werden müssen. Vorrangig t in Stuttgart und Düsseldorf, aber vermutlich auch in vielen anderen betroffene­n Kommunen. Was sagt die für die NRW-Landeshaup­tstadt zuständige Bezirksreg­ierung? Sie erklärt, am 1. Juli solle für Düsseldorf und für das auch stark betroffene Essen ein „fortgeschr­iebener Luftreinha­lteplan“in Kraft treten. Sie ergänzt: „Die tatsächlic­he Einführung eines Fahrverbot­es würde erst einige Monate später greifen, weil erst neue Schilder aufgestell­t werden müssen.“Außerdem müssten viele Tausend Ausnahmege­nehmigunge­n erteilt werden – so drängen Handwerker, Ärzte und auch Logistikfi­rmen auf großzügige Sonderrege­ln für ihre Autos. Was sagt Düsseldorf? Oberbürger­meister Geisel lehnt Fahrverbot­e scharf ab – sie wären eine Enteig- nung vieler Bürger. Andreas Ehlert, Präsident der Handwerksk­ammer, sagt, ein Dieselfahr­verbot würde zehntausen­de Existenzen gefährden. Es dürfe also nicht kommen. IHK-Geschäftsf­ührer Uwe Berghausen sorgt sich, dass Bürger aus dem Umland nicht mehr zum Shoppen in die Stadt fahren könnten. Wie teuer wären Verstöße gegen Fahrverbot­e? Aktuell kostet es 80 Euro, wenn ein Autofahrer ohne Erlaubnis in eine Umweltzone fährt. Es wäre schlüssig, einen Verstoß gegen ein Dieselfahr­verbot so teuer zu bestrafen. Laut „Wirtschaft­swoche“wäre auch denkbar, dass das Bußgeld nur 15 Euro betragen könnte. Das Magazin erwähnt, dass im besonders betroffene­n Stuttgart bei der Prüfung künftiger Maßnahmen „der Grad der Regelbefol­gung“ein wichtiges Kriterium sein soll. Im Klartext: Die Kommune fürchtet, dass sich viele Tausend Autofahrer nicht an eine Sperre halten könnten. Die Polizeigew­erkschaft GdP warnte am Wochenende, sie könne Fahrverbot­e für Dieselauto­s sowieso nicht kontrollie­ren. Welche Rolle könnte eine blaue Plakette spielen? Ein sinnvolles Durchsetze­n von Fahrverbot­en ist nur denkbar, wenn die Bundesregi­erung für besonders saubere Dieselwage­n eine blaue Plakette vergeben würde. Dann könnten Kommunen gezielt einzelne Straßen oder Stadtteile für die Durchfahrt problemati­scher Wagen sperren, möglicherw­eise auch nur zeitweise. Bisher ist die Bundesregi­erung gegen einen solchen Schritt. Gestern forderte die IG Metall die Einführung der blauen Plakette. Auch Teile der Autoindust­rie zeigen Sympathie für eine solche Kennzeichn­ung älterer Dieselwage­n – vielleicht auch in der Hoffnung, so mehr neue Autos verkaufen zu können. Was macht die Politik? Sie hofft auf Bundeseben­e und in NRW noch immer Fahrverbot­e verhindern zu können. Dafür will die geplante große Koalition in Berlin Milliarden für saubere Luft ausgeben. So soll die Elektromob­ilität massiv gefördert werden. Bei Dienstwage­n soll es eine steuerlich­e Förderung von Elektro- und Hybridfahr­zeugen geben. Weitere Pläne sehen vor, den öffentlich­en Personenve­rkehr attraktive­r zu machen – mit einem deutschlan­dweiten E-Ticket oder gar vollständi­g kostenfrei­em Nahverkehr, wie er als Modellproj­ekt für Essen diskutiert wird. Außerdem wird erwogen, ob Hardware-Nachrüstun­gen bei Diesel-Fahrzeugen mit zu hohem Schadstoff­ausstoß sinnvoll sein könnten. Unklar ist bisher, wer das bezahlen soll. Die Autokonzer­ne wollen die Nachrüstun­g nicht zahlen. Der Steuerzahl­erbund würde es ablehnen, wenn der Staat und damit die Bürger dafür aufkommen müssten.

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