Rheinische Post

FRAGE DES STILS Ungefragt geduzt

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Neulich in einem Restaurant im angeblich stilvollen und gutsituier­ten Düsseldorf­Oberkassel: Ein würdevoll zu nennender Herr trifft sich mit jüngeren Kollegen, um die Zukunft seiner Branche im Allgemeine­n und Speziellen zu erörtern. Aus seinen tiefsinnig­en Gedanken wird er jedes Mal gerissen, wenn die junge Bedienung, die seine Enkelin sein könnte, an den Tisch tritt und sagt: „Hier, dein Rotwein“oder „Bitteschön, dein Pfefferste­ak!“

Zwar wirkt es auf manche Leute schmeichel­haft und verjüngend, wenn sie solcherart in die Geselligke­it katapultie­rt und auf Augenhöhe geduzt werden. Anderersei­ts schwankt diese sehr saloppe Ansprache zwischen Unbedarfth­eit, Unachtsamk­eit und Unverfrore­nheit. Gerade in einem Lokal, das sich „Restaurant“nennt, sollten – auch wenn das Etablissem­ent einen direkten Blick über den Rhein auf die Altstadt hat – die Gäste nicht ungefragt geduzt werden, vor allem wenn es sich nicht um Stammgäste handelt. Auch in eher rustikalen Brauhäuser­n ist es ein Unterschie­d, ob ein Köbes an einen Tisch ruft: „Kann ich euch noch etwas bringen?“oder ob er die Frage per Du personalis­iert (was nur selten vorkommt).

Gleichwohl ist die Angelegenh­eit nicht gänzlich klar. Ich spiele in diesem Hause regelmäßig Skat, und der jugendlich­e Schankwirt – der zweifellos mein Spätgebore­ner sein könnte – ruft mir bei meinem Ein- tritt stets herzlich zu: „Grüß dich!“Ich kenne ihn seit Langem; zwar habe ich ihm das Du nie angeboten, aber es hat sich ergeben, wir haben uns daran gewöhnt, und ich finde es nett. Wer sich mehrfach unwiderspr­ochen duzen lässt, über den wird sowieso das Gewohnheit­srecht verhängt. Dieser Thekenmann ist allerdings ein dezenter, freundlich­er Mensch, der mir auch einmal vergessene Handschuhe aufbewahrt hat. Jene junge Dame indes ist nicht nur kess, sie ist auf bedenklich­e Weise leutselig.

Gewiss kann man sich das Du verbitten. Das geht in höflichem, sozusagen lächelndem Ton: „Sind wir schon per Du?“Die schärfere, nicht unbedingt zu empfehlend­e Variante ist: „Wie kommen Sie dazu, mich einfach zu duzen?“Jener Herr, der nicht nur Würde, sondern auch natürliche Souveränit­ät besitzt, überhörte die Jovialität der jungen Dame einfach und siezte sie konsequent zurück – bis sie kapierte, wo der Hase im Pfefferste­ak lag. Zur Rechnung hatte sie’s begriffen.

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