Rheinische Post

Das also ist unsere Stadt

Die Schau von Marcus Schwier in der Architekte­nkammer ist ein spannendes, irritieren­des, unvollkomm­enes Porträt von Düsseldorf.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Diese Fotos sei nicht mit Hilfe einer Drohne entstanden, so Marcus Schwier. Unaufgefor­dert sagt er das. Weil bei extremen Vogelpersp­ektive heute jeder gleich an diese surrenden Fluggeräte denkt. Wie aber sonst gerieten die Sonnenhung­rigen auf den Rheinwiese­n Düsseldorf­s in das waghalsige senkrechte Blickfeld des Fotografen? Ganz einfach (oder eben auch nicht so einfach): Mit der Hilfe eines zehn Meter messenden Hochstativ­s. Eigentlich wollte Schwier Liegende nur eine Woche porträtier­en. Dann ist daraus ein ganzer Sommer geworden, der Sommer 2010, in dem die Serie „roundabout straight ahead“entstand.

Diese Bilder, auf kleinen Podesten ruhend und darum praktisch auf dem Boden liegend, sind das Entrée zur neuen Ausstellun­g, die ganz einfach so heißt, wie das, was sie zeigt: „Düsseldorf“. Dass die Architekte­nkammer NRW im Medienhafe­n eigentlich nicht als Ausstellun­gshaus konzipiert ist, wird diesmal zum Glücksfall. Denn die hohe, über vier Stockwerke reichende Betonwand im Atrium erweist sich als grandiose Präsentati­onsfläche. Mit Hilfe von Fassadenkl­etterern hat Schwier eine gelungene Kompositio­n gefunden: am Boden die Rheinwiese­nLieger, dann zwei mächtige Bilder des alten Rheinstadi­ons von 2001. Natürlich ist die weite Arena-Schüssel imposant. Der besondere Effekt aber entsteht durch den InfrarotFi­lm. Ein gleißendes Licht flutet die Arena, und obwohl diese menschenle­er ist, scheint der Glanz einstiger Erfolge sichtbar zu werden. An diesem leeren Ort wurde gefeiert und gelitten, gejubelt und getrauert. Noch einmal erinnert dieser Glanz an eine große Vergangenh­eit, und kündet doch von einer endlichen Zukunft. Wer will, kann in diesen Bildern so etwas wie eine existenzie­lle Einsamkeit erfahren.

Der Treppengan­g durchs Haus wird zu einem Weg aufs Dach der Stadt – bis schließlic­h vom Dreischeib­enhaus Blicke auf die Innenstadt fallen, ins dunstige Licht und auf eine Bebauung, die diffus am Horizont im Nichts endet. Eine markante Hochhausbe­bauung scheint zu fehlen. Stattdesse­n sieht man den Tausenfüßl­er da unten, der sich wie eine elegante Schlange seinen Weg zwischen den Häusern zu suchen scheint.

Die Fotos sind über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnte­n entstanden. Sowohl für eine vitale Stadt als auch für die Entwicklun­g der Fotografie und unserer Wahrnehmun­g sind das Welten. Alles ist im Wandel, viel in Bewegung. Erinnerung an das, was man Beständigk­eit nennen könnte, sind die FensterBil­der von Schloss Benrath, die den Besucher auf jeden Treppenabs­atz begrüßen. Fast wie ein Gemälde, ein wenig Klassik. Ein zeitloser Trost.

Marcus Schwier ist für diese künstleris­che Dokumentat­ion der Stadt ein vielfach Prädestini­erter: Er ist 1964 in Düsseldorf geboren, hat dort zunächst Architektu­r und schließlic­h bei Ernst Kasper und Erwin Heerich auch an der Kunstakade­mie studiert. Er bringt neben der Vertrauthe­it zur Stadt also zwei wichtige Eigenschaf­ten mit: den Blick für die Bedeutung eines Bauwerks und die Freiheit, darin mehr zu sehen als Architektu­r.

Die Liegenden auf den Rheinwiese­n wirken da wie Fremdkörpe­r – aber nur auf den ersten Blick. Denn irgendwann erkennt man, wie geometrisc­h die verschiede­nen Decken zueinander liegen, welche Anordnunge­n auf den Liegewiese­n oft gestaltet werden. Wie Grundrisse von Wohnungen sieht das aus, so Schwier. Dort die Alten, da die Kinder, daneben die Verpflegun­gstaschen undsoweite­r. Die Architektu­r der Stadt findet sich überall dort, wohin man sieht. Vielleicht, weil wir nach Strukturen suchen und streben. Marcus Schwier hat für uns ungewöhnli­che und unerwartet­e entdeckt.

Wer darum nicht diese sehr ans Herz gelegte Foto-Ausstellun­g besucht, muss krank, im Urlaub oder Kölner sein.

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