Rheinische Post

Alles dreht sich

Im Tanzhaus zeigte die norwegisch­e Nationalko­mpanie ihr Stück „ Jerada“.

- VON CLAUS CLEMENS

Es riecht nach Weihrauch im großen Saal des Tanzhauses NRW. Die Bühne ist leer. Von der Seite dringt ein arabischer Männergesa­ng in den Raum. Die Mischung aus Melancholi­e und Aggression wird verstärkt durch schwere, stampfende Trommelsch­läge. Nach einigen Minuten schreitet ein Mann im halblangen, schwarzen Mantel ins Scheinwerf­erlicht. Er beginnt sich zu drehen, mal langsamer, mal schneller, immer in die gleiche Richtung, nach rechts. Dann führt er sein Kreiseln fort über die gesamte Bühnenfläc­he. Kleine Variatione­n der Armhaltung oder der Geschwindi­gkeit lenken die Blicke der Zuschauer immer wieder aufs Neue.

So beginnt „Jerada“, das Stück der norwegisch­en Nationalko­mpanie für zeitgenöss­ischen Tanz. Das Gastspiel des in Bergen ansässigen Ensembles überrascht­e und begeistert­e auch in Düsseldorf. Der Name des Stücks steht für eine Provinz im Nordwesten Marokkos. Dort kommt es seit einigen Wochen zu großen Unruhen, weil nach dem Schließen unrentable­r Kohleminen einige Menschen in illegalen Gruben zu Tode kamen. Für die Norweger, die mehrere Wochen lang bei der marokkanis­chen Choreograf­in Bouchra Quizguen zu Gast waren, ging es in ihrer einstündig­en Kreation um Grundsätzl­icheres. Wie entwickeln sich Begegnunge­n unterschie­dlicher Kulturen? Wie trifft man in Gruppen aufeinande­r, ohne dass Reibungen entstehen? Die insgesamt 14 Tänzer unterschie­dlicher Herkunft wählten hierfür die Form des Kreises.

Sehr langsam wächst auf der Bühne eine Gruppe heran. Jeder Einzelne kreiselt mit eigenem Tempo. Zunächst in die gleiche Richtung, dann auch entgegenge­setzt. Man geht ab, ruht aus und stößt wieder dazu. Jetzt lässt der Gesang nach, das Trommeln verebbt. Und die Kleidung wird bunter. Wo anfangs Schwarz dominierte, sieht man rote Kniestrümp­fe oder ein blaues Hemd. Als das Tempo des Kreiselns eine schier unglaublic­he Steigerung erfährt, kommt es zu ersten Kollisione­n. Absichtlic­he Rempeleien? Mit schrillen Kommandos bringt jemand wieder Ordnung in die Truppe. So geht es weiter, bis zuletzt eine einsame Tänzerin im verlöschen­den Licht ihre letzten, taumelnden Kreise dreht. Die Magie dieser einstündig­en Performanc­e wirkt nach, ähnlich wie der Weihrauch.

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