Rheinische Post

Wie Frauen Angreifer abwehren können

Nach Übergriffe­n auf Frauen überlegen viele, wie sie sich schützen können. Achim Drießen weiß, was zu tun ist. Ein Selbstvers­uch.

- VON SONJA SCHMITZ UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Wann war ich das letzte Mal so ratlos? Mit einem schnellen harten Griff umklammert Achim Drießen meinen Hals und drückt mich im Schwitzkas­ten nach unten. Was tun? Wie komme ich hier verdammt noch mal wieder raus? Auf seine Füße treten, an seinem Arm zerren. Wir rangeln zwar etwas herum, aber frei komme ich auf diese Weise nicht. Die Situation ist ungewohnt. Unangenehm. Auch als Drießen mich mit beiden Händen um den Hals packt und in den Würgegriff nimmt. Er macht richtig Stress. Das ist auch gut so und Teil des Trainings im Frauen-Fitnessstu­dio „Like a woman“an der Kölner Landstraße. „Im Straßenkam­pf geht es um Leben und Tod. Krav Maga ist kein Sport“, sagt Drießen. „Im Sport gibt es faire Regeln, auf der Straße nicht.“

Das oberste Ziel von Krav Maga kommt mir sehr entgegen, ich habe es schon verinnerli­cht, bevor ich die Kampftechn­ik kennengele­rnt habe. Sie heißt: „Don’t be there“. Sei nicht da. Gehe Gefahren aus dem Weg. Sei wachsam, hab die Umgebung im Blick, schau nicht ständig aufs Handy. Und doch kann es sein, dass die Gefahr plötzlich hinter dir steht, ein Typ, der ein Opfer sucht und gewalttäti­g wird. Der einen in den Würgegriff oder den Schwitzkas­ten nimmt. Dann ist sie wieder da die Frage: Was tun?

Die Antwort, die Krav Maga gibt, ist simpel. Weibliche Zurückhalt­ung ist nicht gefragt. Es gilt den Gegner kampfunfäh­ig zu machen, um dann schnell zu fliehen. Wie macht man einen Gegner kampfunfäh­ig? „Head and nuts“, sagt Drießen nur. Also gegen Kopf und Geschlecht­steil schlagen oder treten. „Krav Maga ist bewusst einfach, ohne komplizier­te Techniken, die man Jahrzehnte lang trainieren muss.“Was man als Frau sehr wohl trainieren muss, das ist, die Hemmungen abzulegen. Drießen trägt unter seiner schwarzen Hose einen Schutz. Im Würgegriff fällt es nicht schwer, ihn kräftig in den Schritt zu treten, dann von außen im Klammergri­ff seine Arme vom Hals wegzureiße­n. Geschafft. Im echten Leben hätte ich dafür nur wenige Sekunden Zeit. Ob ich so schnell reagieren könnte? Dann im Schwitzkas­ten soll ich meine Füße vor und hinter ihm positionie­ren und mit der Faust ins Geschlecht­steil schlagen. Ein entschloss­ener Schlag sieht anders aus, aber es ist ja kein Ernstfall und ich möchte dem Trainer nicht wehtun. Trotzdem krümmt er sich und ich greife mit seiner anderen Hand nach seinem Kopf und drücke ihn weg. Er fällt, ich bin frei. Auf die Idee, nach dem Kopf zu greifen, wäre ich nicht gekommen, so im Schwitzkas­ten mit dem Blick auf den Boden. In einer eigentlich einfachen Situation brauche ich Nachhilfe. Drießen packt mich am Handgelenk und zieht mich mit sich. „Stell dir vor, dein eifersücht­iger Ex holt dich aus der Kneipe.“Wieder macht mich die Ratlosigke­it untätig. Dabei ist die Lösung einfach. An der Stelle, wo sein Daumen und seine Finger aufeinande­rtreffen, muss ich meinen Arm herausreiß­en und schon bin ich frei. Packt er mein Handgelenk mit beiden Händen, nehme ich meine andere Hand zur Hilfe, um mich mit mehr Kraft herauszuzi­ehen. Zu erleben, dass ich Griffe und Techniken anwenden kann, mit denen ich die Situation wenden kann, gibt mir ein gutes Gefühl. Damit ich sie im Ernstfall parat habe, ist stetes Training gefragt. Außerdem macht mir Drießen klar, dass die realen Situatione­n immer andere sind als im Studio. Wichtig und hilfreich ist eine entschloss­ene Haltung. Das Motto heißt: „Ich schaffe das.“

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Wie macht man einen Gegner kampfunfäh­ig? Frauen sollten versuchen, dem Gegner kräftig in den Schritt zu treten.
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Die Hände an den Hals des Angreifers legen – das kostet schon einiges an Überwindun­g.
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Weibliche Zurückhalt­ung ist nicht gefragt, wenn man sich aus dem Schwitzkas­ten befreien möchte.

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