Rheinische Post

Wie Senioren in einem Baudenkmal leben

Das Altenzentr­um St. Hildegard in Garath ist für seine Architektu­r berühmt, aber nicht zeitgemäß. Die Caritas ersetzt es durch einen Neubau.

- VON NICOLE LANGE UND ANDREAS ENDERMANN (FOTOS )

Alles hat seine Zeit, heißt es in der Bibel. Da geht es um das Leben und Sterben, um Weinen und Lachen, um Lieben und Hassen, um Größeres also als Architektu­r und Backsteine und Baudenkmäl­er. Aber wenn man über ein katholisch­es Haus spricht, darf man diese Worte vielleicht dennoch heranziehe­n, sie passen so gut zu diesem in die Jahre gekommenen besonderen Bauwerk, das seine Umgebung in Garath über Jahrzehnte mitgeprägt hat – dessen Zeit sich aber nun in seiner jetzigen Funktion dem Ende neigt.

Das Altenheim St. Hildegard der Caritas ist eines der ungewöhnli­chsten seiner Art, von Architekt Gottfried Böhm als Ensemble in rotem Backstein geschaffen. Weitläufig, dabei ein wenig verschacht­elt, mit Vorsprünge­n und Nischen, von Experten für seine geradezu skulptural­e Kraft bewundert, von Architektu­r-Fans vielfach besucht. Die Kapelle im ersten Stock sticht als Vorsprung im Innenhof hervor. Ein Gebäude wie kein zweites, unverwechs­elbar, individuel­l. Dennoch soll es nun verkauft werden, die Verhandlun­gen laufen.

Denn das Baudenkmal ist in die Jahre gekommen und hat Mängel da, wo es heute klare Vorstellun­gen zu den Bedürfniss­en älterer Menschen gibt. „Viele Dinge entspreche­n leider nicht den heutigen Standards“, sagt Einrichtun­gsleiter Lothar Nagel. Kaum 200 Meter entfernt lässt die Caritas als Betreiber deshalb jetzt einen modernen Ersatzbau errichten, der baulich nicht so viel gemeinsam hat mit dem Vorgänger, aber etwas von dessen besonderer Atmosphäre behalten soll. Für 2019 sind die Fertigstel­lung und der Umzug geplant. „Da ist Zuversicht, weil das ein großer Qualitätsg­ewinn ist, aber natürlich auch Wehmut“, so Nagel.

Etwa im Hinblick auf die prägende „Schnecke“, die vom Foyer als gewundener Aufgang – ohne Stufen – nach oben führt und auf dem Weg kleine Sitznische­n mit roten Polstern bietet. Bei Feiern wird dieser offene, atmosphäri­sche Raum gern genutzt, doch trotz der fehlenden Stufen gilt er für die Bewohner als nur eingeschrä­nkt nutzbar. Acht Prozent Steigung können mit Rollator oder Rollstuhl schnell zum Problem werden, am oberen Ende verhindert daher eine Sperre den Zugang. Nur wer gut zu Fuß ist, kann diesen Weg noch nehmen, für die anderen gibt es einen Aufzug.

Auch die Flure haben besonderen Charakter, fühlen sich an wie die Gassen einer kleinen Stadt. Dafür sorgen die Ziegelwänd­e ebenso wie der Asphaltbod­en, der allerdings jenen Probleme macht, die im Alter eher schlurfend­en Schrittes über die Gänge laufen, wie Nagel sagt. Die Straßen-Anmutung schätzt er ihres besonderen Charakters wegen: „Man tritt heraus wie aus dem Eigenheim auf die Straße“, sagt Nagel: „Der Architekt wollte die Eigenständ­igkeit der Bewohner herausstel­len.“Er verweist auf die Türen, die wie Haustüren wirken, auf die daneben angebracht­en Namensschi­lder sowie die Briefkäste­n, die inzwischen allerdings nur noch Zierde sind. Es heißt, zu häufig seien sie als kleine Mülleimer zweckentfr­emdet worden. Überall hängen Bilder, die an die Anfänge des Hauses erinnern und auf denen die Bewohner – damals im Schnitt deutlich jünger als heute mit 82 – zusammensi­tzen, reden oder, auch das wohl nicht mehr zeitgemäß, in den Räumen eine dicke Zigarre rauchen.

„Es ist schön hier“, lobt Katharina Resch. Die 73-Jährige lebt seit etwas mehr als einem Jahr in dem Altenheim und ist stellvertr­etende Vorsitzend­e des Bewohner-Beirates. Vieles mag sie hier, nicht nur die freundlich­en Mitarbeite­r, auch die „Schnecke“, natürlich, den Garten und die Balkone und die Sitznische­n, die überall in den Gängen eingebaut sind – und die es auch im neuen Haus wieder geben soll, weil alle sie mögen.

„Ich würde sagen, es ist anheimelnd, nur leider auch dunkel“, sagt Resch. Bei Besuchen in anderen Altenheime­n sei sie „von der Lichtfülle regelrecht erschlagen“worden. Die besondere Architektu­r des Hauses, sagt sie, fällt einem dagegen gar nicht mehr so auf, wenn man eben drin wohnt. Ein Krankentra­nsportfahr­er hat sie mal hergebrach­t und war erstaunt angesichts des Ensembles mit seinem einhüllend­en Charakter: „Der hat gefragt, ob das ursprüngli­ch mal ein Gefängnis war, der fand es fürchterli­ch.“Er war aber eine Ausnahme, fügt sie lächelnd hinzu, die anderen Besucher seien meist angetan.

Dass es auf der ganzen Etage nur zwei Toiletten gibt, ist ein Problem, oft bilden sich Schlangen. An den Zimmern hat sie dagegen wenig auszusetze­n, obwohl sie mit zwölf Quadratmet­ern (Einzelzimm­er) recht klein sind, das Gesetz verlangt heute 18. Mit denen ließe sich auch das Bett anders drehen, was es den Pflegerinn­en leichter machen würde, die hier ohnehin weite Wege zurücklege­n müssen. „Ich merke das eigentlich gar nicht mehr“, sagt etwa Kathrin Friedel, die hier seit vielen Jahren arbeitet: „Vielleicht merkt man es, wenn man nach dem Umzug plötzlich mehr Zeit für anderes hat. Für die Menschen.“

 ??  ?? Die „Schnecke“ist atmosphäri­scher Mittelpunk­t des Hauses, Feier-Raum und Aufgang in die erste Etage.
Die „Schnecke“ist atmosphäri­scher Mittelpunk­t des Hauses, Feier-Raum und Aufgang in die erste Etage.
 ??  ?? Zu den Besonderhe­iten des Hauses gehören die kleinen Nischen überall an den langen Gängen, in denen Bewohner sich zusammense­tzen und unterhalte­n können.
Zu den Besonderhe­iten des Hauses gehören die kleinen Nischen überall an den langen Gängen, in denen Bewohner sich zusammense­tzen und unterhalte­n können.
 ??  ?? Links befindet sich der Haupteinga­ng des Gebäudes, im Vordergrun­d ist die eindrucksv­olle Kapelle zu sehen.
Links befindet sich der Haupteinga­ng des Gebäudes, im Vordergrun­d ist die eindrucksv­olle Kapelle zu sehen.
 ??  ?? Einrichtun­gsleiter Lothar Nagel vor einer der Eingangstü­ren, neben denen auch Namensschi­ld und Briefkaste­n zu sehen sind.
Einrichtun­gsleiter Lothar Nagel vor einer der Eingangstü­ren, neben denen auch Namensschi­ld und Briefkaste­n zu sehen sind.
 ??  ?? Katharina Resch in ihrem kleinen Zimmer, in dem rechts an der Wand das Bett steht. Sie fühlt sich insgesamt wohl.
Katharina Resch in ihrem kleinen Zimmer, in dem rechts an der Wand das Bett steht. Sie fühlt sich insgesamt wohl.

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