Rheinische Post

Der Liebling vieler Fahrgäste: Peter Gitzen ist ein besonderer Zugbegleit­er.

Seit 27 Jahren arbeitet Peter Gitzen als Zugbegleit­er bei der Deutschen Bahn. Das macht er auf eine so besondere Art, dass ihm Fahrgäste schreiben – und ihn immer wieder für den Titel „Eisenbahne­r mit Herz“nominieren.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Mit 300 Sachen schießt der ICE 121 aus Amsterdam vorbei an gefrorenen Feldern unter einem eisblauen Himmel. Schaffner Peter Gitzen geht durch die Waggons und kontrollie­rt die Fahrschein­e. Kurz vor der Ankunft am Frankfurte­r Flughafen fragt eine Frau ihn: „Auf welcher Seite ist gleich der Ausstieg? Mein Koffer ist so schwer, dann bring ich den schon mal an die richtige Tür.“

Gitzen ist im Gespräch, er guckt sie kurz freundlich über seine Brille hinweg an und sagt: „Machen Sie sich keine Sorgen, das kriegen wir hin, warten Sie hier.“Er muss schnell zu den Kollegen und sich verabschie­den, seine Schicht läuft gleich in einem anderen Zug weiter. Als der ICE am Flughafen stoppt, verschwind­et der 62-Jährige kurz und läuft zurück zu der Frau, um ihr den Koffer auf den Bahnsteig zu hieven. „Gute Reise!“, wünscht er – und ist wieder weg.

Peter Gitzen ist seit fast 44 Jahren bei der Deutschen Bahn. „Im Prinzip hab ich da alles schon gemacht“, sagt er. „Ich hab Gleise verlegt, rangiert, ich war auf dem Stellwerk und bin Lokomotive gefahren.“Aber nichts hat Gitzen so geliebt wie seine Arbeit als Zug-Chef oder Zugbegleit­er: Er kümmert sich um seine Fahrgäste, als gehörten sie zu seiner Familie. Blickt eine Frau weinend aus dem Fenster, setzt er sich zu ihr und fragt: „Was ist denn bloß passiert?“Wenn es nötig ist, leiht er Fahrgästen auch Geld. „Bis auf drei Mal hab ich immer alles zurückbeko­mmen.“2012 wurde er vom Verband „Allianz pro Schiene“als „Eisenbahne­r mit Herz“ausgezeich­net. Damals gab es diese Ehrung zum ersten Mal. Seitdem ist Gitzen bundesweit der Eisenbahne­r, der am häufigsten nominiert wurde. Acht Fahrgäste haben ihn auch in diesem Jahr wieder für den Titel vorgeschla­gen.

Dass er im Laufe der vergangene­n 27 Jahre viele besondere Begegnunge­n hatte, liegt wohl an ihm selbst. Er versucht, seinen Fahrgästen ein gutes Gefühl zu geben, kann „Guten Tag“, „Die Fahrauswei­se bitte“, „Danke“und „Gute Reise“in fünf verschiede­nen Sprachen sagen – unter anderem auf Japanisch. „Hab ich alles von den Kunden gelernt“, sagt er. Sein Stressmana­gement sei einmalig, loben seine Gäste, er selbst souverän, entspannt – und sehr herzlich. „Er hat einen besonderen Blick auf die Menschen“, schreibt einer, der Gitzen für die Auszeichnu­ng nominiert hat.

Einmal hatte ein 86-Jähriger einen Schwächean­fall, vor Aufregung darüber, dass seine sehbehinde­rte Frau im Zug nach Zürich saß – und er noch am Gleis stand. Gitzen kümmerte sich um den Mann, rief den Zugführer an und bat, die Frau in Koblenz aus dem Zug zu führen. Danach rief er bei der Bahnhofsmi­ssion an, die die Seniorin in Empfang nahm und versorgte, bis ihr Mann wieder bei ihr war. „Mir ist in meinem ganzen Leben noch nie ein Mensch begegnet, der so hilfsberei­t, so fürsorglic­h und umsichtig ist“, steht in dem Brief, den der Mann an die Deutsche Bahn schickte. Es ist einer von vielen. Gitzen kann zwei Ordner füllen.

Manchmal sind es keine großen Heldentate­n, mit denen er sich ins Gedächtnis seiner Fahrgäste brennt. „Das ist aber ein schönes Kleid!“, sagt er zu Frauen, die besonders gut angezogen sind. Oder „Sie haben aber eine tolle Krawatte!“, wenn ihm ein Geschäftsm­ann auffällt. Wenn er lacht, lachen seine Augen mit, seine Kompliment­e wirken nicht übergriffi­g, sondern authentisc­h. Gitzen sagt: „Das muss dann einfach raus.“Oft merkt er sich beim Fahrkarten­kontrollie­ren automatisc­h die Namen seiner Gäste und ruft dann zum Abschied: „Tschö, Renate!“Er lacht und sagt: „Da muss man natürlich wissen, mit wem man das machen kann – aber ich hab da ein gutes Gespür.“

Gitzens Gedächtnis ist beeindruck­end. Wenn er sich an eine Begeg- nung erinnert, hat er immer Datum und Zugstrecke parat. 13. November 2013 zum Beispiel, im ICE KölnBerlin: Im Mutter-Kind-Abteil saß eine Frau mit ihren zwei Söhnen, vier Jahre und sieben Monate alt. Die Frau musste sich aber einen neuen Platz suchen, weil das Abteil reserviert war. Gitzen brachte sie mit Kindern und Baggage zu einem freien Platz, schnappte sich den quengelnde­n Vierjährig­en und nahm ihn mit, Fahrkarten kontrollie­ren und abknipsen. Kurz vor Berlin machte Gitzen seine Durchsage: „Meine Damen und Herren, unser nächster Halt in wenigen Minuten“, und dann ließ er den Jungen ins Mikrofon brüllen: „Berlin Hauptbahnh­of!“Die Mutter schrieb ihm später, es sei die entspannte­ste Zugfahrt ihres Lebens gewesen.

Ein andermal traf Gitzen zwei Schülerinn­en aus Norddeutsc­hland, die aus Versehen ins Ruhrgebiet fuhren – und nicht nach Oldenburg, wo die Eltern warteten. Es war schon spät und an dem Abend fuhr kein anderer Zug mehr in Richtung Norden. Gitzen rief die Eltern an und versichert­e ihnen, sich um die 14-Jährigen zu kümmern. Sie übernachte­ten bei ihm, seiner Frau und den beiden Kindern in Eschweiler. Am nächsten Tag setzte er die Mädchen in den richtigen Zug.

Gitzen hat übrigens auch seine Frau in einem Zug kennengele­rnt. Am 21. August 2001 im Intercity Hamburg-Köln. All diese Geschichte­n will Gitzen aufschreib­en und als Buch veröffentl­ichen. Den Titel hat er schon: „Schaffner Peter“.

Im Mai 2019 könnte er in Rente gehen. „Kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er. Seine Fahrgäste wahrschein­lich auch nicht. Ein junger Mann, dem er einmal Geld geborgt hatte, schrieb ihm: „Bleiben Sie noch lange – vielleicht brauche ich Ihre Hilfe irgendwann wieder!“

„Mir ist noch nie ein Mensch begegnet, der so hilfsberei­t, fürsorglic­h und umsichtig ist“Ein Bahnreisen­der

 ??  ??
 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Peter Gitzen aus Eschweiler hilft Fahrgästen, so gut er kann. Wenn nötig, verleiht er auch Geld – und hat es bis auf drei Mal zurückbeko­mmen.
FOTO: ANDREAS BRETZ Peter Gitzen aus Eschweiler hilft Fahrgästen, so gut er kann. Wenn nötig, verleiht er auch Geld – und hat es bis auf drei Mal zurückbeko­mmen.
 ?? FOTO: HSR ?? Ein koreanisch­es Paar auf Reisen hat dem Eisenbahne­r diesen Brief zum Dank für seine Hilfe geschriebe­n. Darin heißt es unter anderem, sie könnten seine Freundlich­keit nicht vergessen. Er sei der netteste Mensch, den sie je getroffen hätten, und sie...
FOTO: HSR Ein koreanisch­es Paar auf Reisen hat dem Eisenbahne­r diesen Brief zum Dank für seine Hilfe geschriebe­n. Darin heißt es unter anderem, sie könnten seine Freundlich­keit nicht vergessen. Er sei der netteste Mensch, den sie je getroffen hätten, und sie...

Newspapers in German

Newspapers from Germany