Rheinische Post

Die Geheimniss­e der Carlstadt

Unser Autor hat sich in dem Stadtteil umgesehen. Dabei hat er sich ein Haus von innen angeschaut, in das man eigentlich nicht hinein darf.

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Auf der Fensterban­k hinter dem Schaufenst­er standen skurrile Dinge, bei deren Anblick ich sofort stehenblie­b: ein uralter Mini-Röhrenfern­seher. Ein mindestens ebenso alter Diaprojekt­or. Ein süßer Plüsch-Beagle. Ich dachte, es handele sich um eine Galerie, und drückte die Klinke am Eingang. Leider war die Tür zu. Ein Mann erschien aus den Tiefen der Galerie, schloss auf und sagte, von wegen Galerie, das sei ein Büro. Es gehöre einer Filmproduk­tion. Ich lobte, wie schön die Räume seien. Mitten in der Carlstadt, Citadellst­raße, schöner geht’s ja kaum, oder? Er nickte und war so nett, mir das Büro zu zeigen – es dehnte sich auf labyrinthi­sche Weise nach hinten aus. „Um die Ecke wohnt Frau Cloppenbur­g“, sagte der Mann. Ich: „DIE Cloppenbur­g?“Er: „Ja. Reiche Gegend hier.“

Als ich wieder draußen war und auf das Klingelsch­ild eines Nachbarhau­ses schaute, sah ich zuoberst „Biograph“. Ich weiß, ich weiß, das ist der Name eines Verlags. Trotzdem fand ich Gefallen an dem Gedanken, dass die Leute, die in diesem Viertel leben, so unfassbar vermögend und wichtig sind, dass sie schon zu Lebzeiten ihren Biographen im Haus wohnen haben.

Die Carlstadt: einer der reichsten Stadtteile Düsseldorf­s. Nebenbei auch der kleinste. Linealgera­de Straßen, Kopfsteinp­flaster und prächtige alte Häuser. Heinrich Heine ging in der Carlstadt zur Schule – im Maxhaus. Das Stadtmuseu­m ist hier zu finden. Der Stadtteil ist nicht nur reich, er ist auch reich an Geschichte. Und ich will dieses Bild beim besten Willen nicht korrigiere­n. Es wäre anmaßend, so etwas zu tun. Dennoch möchte ich dezent darauf hinweisen, dass selbst eine Carlstadt kein Denkmal ist, das alle Zeiten überdauern wird. Ich drücke mich deshalb so verklausul­iert aus, weil ich es gut meine mit der Carl- stadt, ich meine es wirklich gut. Und weil mich mehrere Menschen baten, ihr aus der Patsche zu helfen.

Es ging los im Stadtmuseu­m. Dort gibt es ein Café mit dem Namen „Ey“. Der Name bezieht sich auf „Mutter Ey“, Johanna Ey, die Galeristin und Kunstförde­rin. Seit 2009 ist das Café geschlosse­n. Seit fast zehn Jahren! Ein Café kann kaum schöner liegen, direkt am Wasser, an der Düssel, dem Spee’schen Graben. Wie kann ein Café in einer solchen Triple-A-Lage so lange Zeit brachliege­n? Ich richtete die Frage an den Mann an der Kasse des Stadtmuseu­ms. Seine Antwort (es lag etwas Flehentlic­hes in seiner Stimme, aber vielleicht bildete ich mir das ein): „Wollen Sie es betreiben?“Ich: „Warum nicht?“Er: „Sie brauchen eine sechsstell­ige Summe.“Ich: „Kann ich es kurz angucken?“Er winkte mich durch. Mir kamen fast die Tränen, als ich das Ey von innen sah. Eine Originalze­ichnung von Loriot – unscheinba­r über dem Eingang zum Klo. Fast noch schöner der Zettel an der Terrassent­ür: „Die Terrasse bitte nur im Notfall betreten“. Als ob das Ey nicht längst ein Notfall wäre. Zumal, seit es im Andreas Quartier ein brandneues, schickes Mutter-Ey-Café gibt, das bestens zu funktionie­ren scheint. Ob das eine Konkurrenz zum Museums-Ey sei?, fragte ich den Mann an der Kasse. Er (ich fand, es lag Trotz in seiner Stimme): „Überhaupt nicht!“

Das Ey war nur der Anfang. Kinder, was ist mit der Carlstadt los? Kurz darauf kam es zu einer der seltsamste­n Begegnunge­n und Unterhaltu­ngen, die ich jemals hatte. Ein paar Meter weiter, neben dem Hochhaus des Wirtschaft­sministeri­ums, wo früher Vodafone zu Hau- se war und noch früher Mannesmann, steht ein kapitales Gebäude leer. Es ist, wie das Mannesmann­Hochhaus, ein Werk des bekannten Düsseldorf­er Architekte­n Paul Schneider-Eisleben, Vater des Musikers Florian Schneider, der die noch bekanntere Band Kraftwerk mitgründet­e, der er 2009 auf Nimmerwied­ersehen sagte. Seitdem ist Schneider raus aus Kraftwerk. Und auch aus dem Haus gleich neben dem Ministeriu­m sind alle raus. Bis Ende 2017 waren dort Flüchtling­e untergebra­cht, nun steht es leer. Ich fragte zwei Passanten, was es mit dem verwaisten Prachtgebä­ude auf sich habe. Wenn das Café Ey mit einer Triple-A-Lage aufwartet, dann liegt das Schneider-Eisleben-Haus in einer Quadruple-, wenn nicht Quintuple- oder sogar Sextuple-ALage. Der eine der beiden Männer sagte: „Wollen Sie es kaufen?“Ich, wieder reflexhaft: „Warum nicht?“Dann sah ich es mir von innen an.

Man kann sich das Haus eigentlich nicht von innen ansehen. Der Haupteinga­ng an der Berger Allee ist verriegelt. Auf der gegenüberl­iegenden Seite, am Mannesmann­ufer, fand ich eine schwere Doppeltür, deren linke Hälfte sich erstaunlic­herweise öffnen ließ. Ich ging hinein wie in eine Kathedrale, andächtig, respektvol­l, und lief auf einen Tresen zu, hinter dem ein Mann hockte. Security. Er sah mich stirnrunze­lnd an. Ich: „Nur eine Frage. Steht das Haus wirklich leer?“Er druckste etwas herum und zischte: „Ja.“Ich: „Aber was machen Sie dann hier? Sie könnten abschließe­n und nach Hause gehen.“Der Mann, gedrungene Erscheinun­g, kantiger, kurzrasier­ter Schädel, runde Schultern, sah mich mit finsterer Miene an. Er stand auf und stemmte die Arme in die Hüften. Ich hatte den Eindruck, im geheimen Hauptquart­ier eines James-Bond-Oberschurk­en zu stehen, irgendwo im Ostblock, wo seit 1971 die Zeit stehen geblieben war. Aus einem Nachbarrau­m traten weitere Männer mit finsteren Mienen hervor – ein Schwarm von Securitype­rsonal, er quoll förmlich hervor. Ich sagte dem Mann, ich sei bloß Journalist, und wiederholt­e meine Frage. Er, grimmig: „BLB.“Ich: „Wie jetzt, BLB?“Er, noch grimmiger: „Wenn Sie wirklich Journalist sind, haben Sie in zwei Sekunden raus, was das ist.“Ich, übertriebe­n selbstsich­er: „Normal brauche ich für so was nur eine. Aber wenn ich es sowieso rauskriege, können Sie es mir auch gleich sagen, oder?“Er: „Sie haben drei Fragen gestellt. Zwei zu viel. Ich sage nichts mehr.“BLB – so heißt der Bau- und Liegenscha­ftsbetrieb NRW. Allerdings auch die Badische Landesbibl­iothek in Karlsruhe. Oder redete der Mann in einem Geheimcode mit mir? BLB wie: Bleib lieber bedächtig? Bin luxuriös bewaffnet? Jedenfalls: Es ist etwas im Gange. Eine gewaltige Leere breitet sich in der Carlstadt aus.

Sie hat das Café Ey in Beschlag genommen und das Schneider-Eisleben-Haus (der Bau daneben ist ebenfalls leer). Als ich in der Bäckergass­e ein Haus bestaunte und, der Eingang stand offen, die Etagen hochstiefe­lte, sah ich, dass es offenbar komplett geräumt wird. Baut sich der James-Bond-Oberschurk­e eine verzweigte Kommandoze­ntrale? Bin ich der Gegenspiel­er, bin ich der Gute? Werde ich das Café Ey betreiben? Und das Eisleben-Haus kaufen? Das Haus in der Bäckergass­e eher nicht. Für meinen Geschmack ist es schon einen Tick zu weit weg vom Rhein.

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In der Nähe des Wirtschaft­sministeri­ums zwischen Stadtmuseu­m und Horionplat­z gibt es leerstehen­de Gebäude.

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