Ex-Junkie trainiert für den Ironman
Daniel Busch war lange drogensüchtig. Davon ist der 34-Jährige mittlerweile los – vom Exzess noch lange nicht. Seine Flucht in den Extremsport ist auch eine Flucht vor der Vergangenheit.
VILLINGEN-SCHWENNINGEN (dpa) Der blaue Begleiter zählt mit, ohne Pause, ohne Fehler. Er zählt die 21,69 Sekunden, in denen Daniel Busch durchs Schwimmbecken krault, während die Senioren neben ihm vier Züge machen. Er misst die 237,9 Kilometer, die Busch im vorigen Monat gelaufen ist, morgens früh, abends spät und dazwischen. Er läuft, wenn Busch schläft.
Geht Buschs Plan auf, fliegt seine blaue Pulsuhr im nächsten Jahr auch mit ihm nach Hawaii. Der Ironman dort ist das Mekka für jene Menschen, die hart sein wollen wie Eisen. Nur die Schnellsten jeder Altersklasse dürfen an dem berühmten Triathlon teilnehmen.
Ironman, das sind 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren und dann einen Marathon über 42,195 Kilometer laufen. Der zweimalige Hawaii-Sieger Jan Frodeno hat diese Langdistanz im mittelfränkischen Roth in der Weltrekordzeit von sieben Stunden, 35 Minuten und 39 Sekunden zurückgelegt. Busch brauchte zehn Stunden, fünf Minuten und 15 Sekunden.
Für den 34-Jährigen ist Hawaii nicht nur Triathlon-Mekka, sondern auch Rettungsanker. Hawaii war das Ziel, das unerreichbar erschien, als er 130 Kilogramm wog und nach seiner Entgiftung noch an den Entzugserscheinungen von Heroin litt. Sein Therapeut zeigte ihm den Film „Vom Junkie zum Ironman“und löste einen Traum aus. Schon zweimal zuvor hatte Busch vergeblich versucht, mit den Drogen Schluss zu machen.
Über Drogen spricht Busch wie andere von alten Bekannten. Mit 14 Jahren verfiel er dem Alkohol. Ab 18 kiffte er jeden Tag, bald folgten Speed oder Ecstasy. Mit 20 braucht Busch Heroin. Rund 200 Euro kostet seine Sucht jeden Tag – ohne Dealen unmöglich. Die Abiprüfungen schreibt Busch im Rausch, fürs Bestehen reicht es gerade eben. Er beginnt ein Studium, nach zwei Semestern die Zwangsexmatrikulation. „Durch das Heroin ging wieder alles kaputt. Da habe ich endlich gemerkt: Du musst etwas machen.“Zum ersten Mal will Busch die Entgiftung selbst.
Die Laufbahn des NaturparkStadions, auf der Busch heute, sechs Jahre später, seine Runden dreht, ist knietief zugeschneit. Also lieber aufs Laufband? 15.07 Uhr laut blauem Begleiter. Die Zeit ist knapp, Busch will noch lernen. Also läuft er bei Minusgraden an der Straße entlang, auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Aus dem Plan, acht Kilometer locker zurückzulegen, werden fast zwölf. Wenn Busch läuft, dann läuft er. Rund 80 Kilometer jede Woche.
Begonnen hat alles vor knapp sechs Jahren. Der Traum von Hawaii und einem Leben ohne Drogen führt Busch 2012 an den Bodensee in die Suchtklinik „Siebenzwerge“in Salem. Hier beginnt er zu laufen. „Am Anfang war das die Hölle. Ich war dick. Da ging nicht viel. Die Drogen haben ihr Übriges getan.“Trotzdem springt der Funke über. „Wenn man clean bleiben will, muss man sich selbst packen können.“Mittlerweile vergeht bei Busch kein Tag ohne Sport.
Dass er sich von einer Sucht in die nächste gestürzt haben könnte, streitet Busch nicht ab. „Man ist nicht einfach drogenabhängig oder Ironman. Man wächst da so rein.“Ist auch der extreme Sport eine Art Selbstzerstörung? „Wirklich gesund ist das nicht. Aber solange ich mich gut fühle, mache ich weiter“, sagt er.
Wiedemann kennt eine solche Suchtverlagerung auch von anderen Patienten. „Es hat einen Grund, warum Menschen Drogen nehmen. Wenn die Drogen wegfallen, muss etwas anderes, Positives dafür geschaffen werden“, sagt der Suchtexperte. Manche finden ihren Ersatz im Essen, andere im Sport bis zum Exzess.
Heute ist Busch schlank und austrainiert. Für eine Karriere als Profisportler ist Busch zu alt. Über ein Leben nach Hawaii hat Busch noch nicht richtig nachgedacht. Nach den Drogen der Sport. Und nach dem Sport? „Was danach ist, ist egal. Dann gibt es nichts mehr.“Ein durchschnittlicher Alltag mit 40Stunden-Woche, Hobbys nach Feierabend und spontanen Verabredungen ist schwer vorstellbar bei einem Mann, der zu Extremen neigt.
Wenn beim Ausdauersport die Endorphine Buschs Körper durchfluten, sei das ein bisschen wie das Gefühl bei einem Rausch. „In meinem Kopf ist es dann ganz still, die Gedanken sind weg“, sagt er. Wie früher das Heroin lässt ihn heute der Sport los, wenn auch nur manchmal, nur für zehn Minuten. „Das Beste ist, wenn man die Zeit vergisst.“
Auf dem blauen Begleiter laufen die Zehntelsekunden unentwegt weiter, genauso wie Daniel Busch. Daniel Busch