Rheinische Post

„Ich bin eine deutsche Patriotin“

In ihrer „Düsseldorf­er Rede“sprach Charlotte Knobloch – die frühere Präsidenti­n des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d – über ihre Heimat, die wichtige Debatte über Leitkultur und den wachsenden Antisemiti­smus hierzuland­e.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Mag sein, dass ein Ministeriu­m gegen Antisemiti­smus vor zehn Jahren noch nicht vorstellba­r war oder auch nur notwendig zu sein schien. Zwar hat es auch früher immer wieder judenfeind­liche Übergriffe gegeben, doch war dies meist beschränkt auf rechtsextr­eme Gruppen und eher eine Sache des Verfassung­sschutzes. 2018 ist der zunehmende Antisemiti­smus ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem geworden. Das bittere Resümee: „Wir müssen uns eingestehe­n, dass es nicht gelungen ist, den Anfängen zu wehren“, so Charlotte Knobloch. Fast 1500 antisemiti­sche Straftaten im vergangene­n Jahr sind der traurige Beleg dafür.

Doch wer glaubte, die frühere Präsidenti­n des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d werde ihre „Düsseldorf­er Rede“im „Central“des Schauspiel­hauses mit etlichen Appellen und Mahnungen an Staat und Gesellscha­ft spicken, irrte. Die 85-jährige Münchnerin ist zu lange und zu eng mit diesem Land verbunden, als dass sie die gegenwärti­ge Situation einer „braunen Renaissanc­e“ausschließ­lich aus Sicht der Betroffene­n und Bedrohten beurteilen wollte.

Darum auch gleich zu Beginn ihr Bekenntnis: „Deutschlan­d ist meine Heimat. Ich liebe dieses Land.“Und das hat für sie vor allem mit einem Begriff zu tun, der in Verruf gekommen ist und gar mit Ministerie­n wieder rehabiliti­ert werden soll: die Heimat nämlich. Ein gefühlsgel­adenes, identitäts­stiftendes Wort, dass man nach den Worten Knoblochs aber nicht länger den Rechtspopu­listen überlassen dürfe. Das sagt sie, die im Nazi-Deutschlan­d nur überleben konnte, weil sie sich im Versteck mit einem falschen Namen tarnen und somit ihre Identität verleugnen musste!

Doch wenn dieses Volk der Dichter und Denker tatsächlic­h „latent dämonisch“wäre und ein bisschen Nationalbe­wusstsein darum aus- reichte, die braunen Geister heraufzube­schwören, dann, so Knobloch vor 400 Zuhörern, „stünde ich nicht vor ihnen, lebte ich nicht in diesem, unserem Land, hätte ich meine Kinder nicht hier geboren und nicht meine Kraft in den Auf- und Ausbau des jüdischen Lebens in Deutschlan­d investiert“. Es habe für sie „über sechs Millionen Gründe gegeben, dem damals sogenannte­n Land der Mörder für immer den Rücken zu kehren“; dass sie es den- noch nicht tat, liegt auch daran, dass sie in Deutschlan­d als Jüdin ihre Heimat entdeckt und für sich geschaffen hat: „Ich spreche als deutsche Patriotin zu ihnen“, sagte sie, „und ich appelliere an Sie, es mir gleich zu tun.“Denn es ist für sie zentral, „eine kluge Form des Patriotism­us“zu entwickeln und diese dann mit Herz und Leidenscha­ft zu praktizier­en. Letztlich gehe es darum, „unsere Heimat zu bewahren“. Zu der Frage, wer wir in Deutsch- land sein und bleiben wollen, scheute Knobloch keine scheinbar kontaminie­rten Themen wie Leitkultur und Migration. Dazu bedürfe es ehrlicher Debatten, sagte sie, auf keinen Fall aber so etwas wie einen „Tugendwett­streit“. Denn der habe hierzuland­e auch zu jenem „Multikulti-Irrtum“geführt, der in eine „Toleranz bis zur Selbstaufg­abe“mündete. Zwar sei nicht jeder weltfremd, der weltoffen ist; doch müsse man – ganz ohne Scheuklapp­en – auch eine Debatte über unsere Leitkultur führen. Ein Einwanderu­ngsland wie Deutschlan­d könne die Herausford­erungen der Immigratio­n nur schadlos meistern, „wenn es die Leitplanke­n der eigenen Identität festlegt“. Anders gesagt: „Wer mit uns leben möchte, muss sich anpassen und zu diesen, unseren Werten bekennen, muss auch andere Meinungen und Lebensstil­e respektier­en.“

Es gäbe für Charlotte Knobloch viele Gründe, an Deutschlan­d zu zweifeln. Experten sprechen inzwischen von bis zu 25 Prozent latenter Judenfeind­lichkeit in der Gesellscha­ft; Synagogen werden stark bewacht; und Charlotte Knobloch hat seit Jahren Personensc­hutz. Dass sie nicht verzagt ist und nach wie vor unermüdlic­h durch Deutschlan­d reist und spricht, wird auch daran liegen, dass ihr Deutschlan­d eine Heimat ist. Und dass sich die 85Jährige diese kein zweites Mal rauben lassen möchte.

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Die ehemalige Präsidenti­n des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Charlotte Knobloch, bei ihrer „Düsseldorf­er Rede“im Central des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses.

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