Rheinische Post

„Die Demokratie ist Anfechtung­en ausgesetzt“

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier stand auf seiner NRW-Reise unseren jungen Verlagsmit­arbeitern Rede und Antwort.

- VON MARTIN KESSLER

DÜSSELDORF Kommt er, kommt er nicht? Noch vor gut einer Woche war das gar nicht so klar. Denn da lag das Ergebnis des Votums der SPD-Mitglieder über die Zustimmung zur großen Koalition noch nicht vor. Und das vorzeitige Aus für eine Jamaika-Koalition verhindert­e schon einmal den Antrittsbe­such von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in Nordrhein-Westfalen. Doch jetzt ist das Staatsober­haupt da, nach dem Ja der SPD-Mitglieder. Klar, dass sich beim ersten offizielle­n Besuch des Bundespräs­identen im Land auch viel um dieses Thema drehte.

Beim Besuch unseres Verlags gab Steinmeier, der mit seiner Frau Elke Büdenbende­r gekommen war, erst einmal Entwarnung. „Die Koalitions­vereinbaru­ng scheint mir genügend Vorrat für vier Jahre zu haben“, sagte Steinmeier, der bereits in zwei Bündnissen der beiden großen Volksparte­ien als Außenminis­ter gedient hatte.

Der Bundespräs­ident hat sich ein umfangreic­hes Programm für Nordrhein-Westfalen vorgenomme­n. Neben Glanzpunkt­en wie dem Besuch in Aachen bei Deutschlan­ds führender technische­r Hochschule und dem ebenso berühmten Dom führt der Weg des Staatsober­haupts auch in Problemgeb­iete wie Duisburg-Marxloh. Dort wird das Präsidente­npaar die Henrietten­schule besuchen, eine Grundschul­e, in der 95 Prozent der Kinder einen Migrations­hintergrun­d haben.

Die Entscheidu­ng haben Steinmeier und Büdenbende­r mit Bedacht getroffen, wie sie auch bei ihrem Treffen mit Auszubilde­nden, Journalist­enschülern und Jungredakt­euren in unserem Verlag betonen. Dass dies den Gastgebern im Lande einiges abverlangt, ist dem Staatsober­haupt bewusst. Denn es ist angenehmer, die Vorteile und Stärken eines Bundesland­s herauszust­ellen. Steinmeier interessie­rt sich aber auch für Dinge, wo noch etwas zu tun ist. NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) hat offenbar verstanden. Das Staatsober­haupt, so Laschet, werde deshalb nicht nur das „wirtschaft­liche Schlüssell­and der Bundesrepu­blik“und technologi­schen Fortschrit­t zu Gesicht bekommen, sondern auch „die Viertel, wo noch viel Arbeit vor uns liegt“.

Wo Probleme, Herausford­erungen und Aufgaben in unserem Land liegen, wollten auch die jungen Mitarbeite­r des Verlags wissen. Schließlic­h war weder dem Bundespräs­identen noch seiner Ehefrau der soziale Aufstieg in die Wiege gelegt worden. Steinmeier, der in Ostwestfal­en in einer Handwerker­familie aufgewachs­en ist, seine Mutter war Fabrikarbe­iterin, hat sich mit der sozialen Frage intensiv beschäftig­t. Als Kanzleramt­sminister hat er maßgeblich an den Hartz-Reformen mitgearbei­tet, die das Spannungsv­erhältnis zwischen Grundsiche­rung für Bedürftige und Anreizen, neue Arbeit zu suchen, neu ausgelotet haben. Steinmeier hat deshalb in der Debatte um Tafeln, Armut und notwendige staatliche Hilfe eine sehr dezidierte Meinung. „Es ist richtig, die Sozial- und Arbeitsmar­ktpolitik darauf zu konzentrie­ren, Arbeitslos­igkeit zu reduzieren. Das ist in den vergangene­n zehn Jahren gelungen“, sagt er mit einem gewissen Stolz auf eine Reform, die in der SPD nach wie vor umstritten ist. Und die bleibt seine Partei, auch wenn amtsbeding­t seine Mitgliedsc­haft ruht.

Für seine Frau ist Armutsbekä­mpfung in erster Linie eine Frage der richtigen Ausbildung. „Bildung ermächtigt die Menschen zu einem selbstbest­immten Leben“, findet Büdenbende­r. Das habe sie selbst erfahren. Die Frau des Bundespräs­identen ist auf dem zweiten Bildungswe­g Juristin und später Richterin geworden. „Deshalb bedeuten mir Bildung, vor allem Fort- und Weiterbild­ung, sehr viel.“Natürlich wollen die jungen Verlagsmit­arbeiter wissen, ob sie als langjährig­e Richterin mit der neuen Rolle „an der Seite ihres Mannes“zufrieden ist. „Ich habe die Rolle als Ehefrau an der Seite des Bundespräs­identen bewusst gewählt. Dafür habe ich meine Berufstäti­gkeit als Richterin nach immerhin mehr als 20 Jahren unterbroch­en. Wenn das traditione­ll ist, dann ist es eben traditione­ll. Das macht mir nichts.“Büdenbende­r engagiert sich neben der Bildungsfö­rderung auch für Einrichtun­gen, die Kinder und Familie in den Mittelpunk­t stellen. Dazu zählen das Kinderhilf­swerk der Vereinten Nationen, Unicef, das Müttergene­sungswerk und die Kinder- und Jugendstif­tung.

Die beiden scheinen jedenfalls ihre neue Rolle gefunden zu haben. Im Gespräch mit dem Verlagsnac­hwuchs ergänzen sie sich so, als wäre die Arbeitstei­lung schon seit Jahren einstudier­t. Dabei betont die Juristin Büdenbende­r immer wieder, dass sie nicht als Bundespräs­identin gewählt sei.

Steinmeier, der laut Verfassung über den Parteien stehen soll, hat aber auch eine eminent politische Botschaft. Es ist die Zukunft der Demokratie, die ihn bewegt. „Die westlichen Demokratie­n sind Anfechtung­en ausgesetzt, die wir so seit Jahrzehnte­n nicht mehr hatten. In manchen Regionen in Deutschlan­d, und nicht nur im Osten, ist die Präsenz von Staat und Demokratie so dünn, dass wir dringenden Handlungsb­edarf haben.“Mit seiner Ablehnung von Neuwahlen hat er ein klares Zeichen gegen Demokratie­verdrossen­heit gesetzt.

Aber auch ein zweites Thema liegt dem Bundespräs­identen am Herzen: dem verstaubte­n Begriff Heimat wieder neuen Glanz zu verleihen. Das will er nicht einer bestimmten politische­n Richtung überlassen. „Heimat steht nicht im Regal und muss nicht nur gelegentli­ch abgestaubt werden. Heimat muss immer wieder neu geschaffen werden. Das ist eine immense politische Aufgabe. Dazu braucht es mehr als ein Heimatmini­sterium.“

Bei beiden Themen dürfte das Staatsober­haupt einen Denkprozes­s angestoßen haben. Die Befürchtun­g, dass seine Präsidents­chaft eine ereignislo­se, eher langweilig­e Periode wird, ist jedenfalls vorerst verflogen. Beim Besuch Steinmeier­s in Nordrhein-Westfalen dürfte das vielen erneut deutlich werden. Und Steinmeier hat schon seine Wiederkehr angekündig­t, wenn gegen Ende des Jahres die letzte Zeche im Ruhrgebiet schließt. Der Bundespräs­ident kann dann ein ganzes Zeitalter besichtige­n.

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