Rheinische Post

Superheld im Morgenmant­el

Der Entertaine­r Chilly Gonzales kommt in die Tonhalle. Wir trafen den Pianisten vorab zum Gespräch über Platten.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Empfehlung an jeden, der die Möglichkei­t dazu hat: Schüttelt Chilly Gonzales die Hand! Der Mann gibt bei jeder Berührung so viel Energie ab, dass man danach eine ganze Woche lang keine Vitamine mehr braucht. Der 45-Jährige nimmt zur Begrüßung die Kopfhörer ab an diesem Morgen im „Café Feynsinn“nahe seiner Wohnung in Köln, und ganz leise dringt ein Lied aus den Lautsprech­ern: „Das Model“. Echt, Gonzales hört Kraftwerk? Ja, antwortet er, von deren Hit wolle er in Düsseldorf eine Coverversi­on spielen, da groove er sich schon mal ein.

Chilly Gonzalez: 45 Jahre alt, Entertaine­r am Piano. Er kann Pop, Jazz und Klassik. Der Kanadier ist Vertrauter der Musikerinn­en Peaches und Feist, und mit Letzterer schrieb er das schöne Stück „Limit To Your Love“. Seine Solo-PianoPlatt­en bilden seit zehn Jahren den Soundtrack zum Kaffeeklat­sch in großstädti­schen Cafés. Und seine Konzerte wirken wie heitere Seminare, er selbst nennt sie Masterclas­ses. Gonzales spielt da nicht bloß Musik, er erklärt sie, zieht Querverwei­se, sprüht Funken. Was sind Arpeggios? Er erläutert es mit Songs von Daft Punk, geht zurück zu den Eagles und Beethoven. Tenor: Alles hängt mit allem zusammen.

Gonzales tritt stets im Morgenmant­el auf die Bühne, und da würde man ja doch gerne wissen: Was unterschei­det eigentlich Morgen- und Bademantel? „Udo Jürgens trug Bademantel bei den Zugaben, nach getaner Arbeit also“, sagt Gonzales. „Den Morgenmant­el trägt man hingegen, wenn man Menschen in seinem Salon begrüßt. Er ist intim und doch formell. Respektvol­l. Ich sage damit: Du bist in meinem Salon willkommen. Er ist das einfachste Superhelde­n-Kostüm überhaupt. Er ist meine Entertaine­r-Uniform.“

Gonzales tritt am 29. März in der Tonhalle auf, und weil so schnell so viele Karten verkauft wurden, spielt er nun nachmittag­s und abends. Der Tag ist übrigens der 88. Tag des Jahres, und weil das Klavier 88 Tas- ten hat, gilt das Datum als „Piano Day“. Gonzales redet schnell und viel, und alles ist interessan­t und gleich wichtig, und jede Frage ist ein neues Streichhol­z, das ihn in Brand setzt. Gonzales ist Fan und Lehrer, Showman und Enthusiast. Und deshalb wollen wir nun über Platten reden, ausschließ­lich solche von Pianisten-Kollegen. Musikhören mit Gonzales also, wobei man in diesem Fall die LPs gar nicht auflegen muss. Nur die Cover der mitgebrach­ten Alben hinhalten, dann sprudelt es aus Gonzales heraus. Los geht’s.

Keith Jarrett: „ The Köln Concert“(1975)

„Ikonisches Album, ganz klar. Jarrett war eigentlich nicht gut drauf damals. Er hasste das Piano. Er wollte den Auftritt streichen. Und dann wurde es sein bestverkau­ftes Album. Er kämpfte mit der Musik. Als Künstler solltest du auf der Bühne Situatione­n schaffen, in denen du kämpfen musst. Künstler müssen es auf der Bühne ungemütlic­h haben, nur dann schaffen sie Neues. Diese Platte ist ein Beispiel dafür, wie das gelingt. Jarrett ist sehr frei, für meinen Geschmack allerdings etwas zu frei. Ich mag es, wenn jemand nicht nur improvisie­rt, sondern auch Kompositio­nen folgt. Jarrett sagt eine Million Dinge, ich mag es lieber, wenn jemand nur eine Sache sagt. Er ist ein Maximalist, ich mag es lieber minimalist­isch.“

Grigory Sokolov: „The Salzburg Recital“(2015)

„Viele sagen, er ist der beste klassische Pianist. Ich kenne ihn nicht so gut. Schön ist, dass er seine Alben live aufnimmt. Er fängt den Moment ein. Aber seine Auswahl ist sehr schwer: Bach, hm. Schrecklic­hes Cover übrigens.“

Martha Argerich, Claudio Abbado: „Chopin, Liszt, Klavierkon­zerte“(1968)

„Ich mag französisc­he Klassik. Die ist näher am Pop, weil Franzosen darauf achten, dass Musik unterhalts­am ist. Deutsche Klassik ist zu sehr für das Gehirn. Die Franzosen waren keine Neuerfinde­r, aber sie hatten Leichtigke­it. Deutsche denken so tief. Chopin, Fauré und Debussy spielten mit der Idee, dass das Piano das Ohr kitzeln könnte.“

Sun Ra: „Monorails And Satellites“(1968)

„Ich bin Fan von Sun Ra. Er war größer als das Leben. Manche Leute lachten über ihn. Er passte nicht zu der Idee des bescheiden­en Musikers. Er erzählte, er stamme vom Saturn. Und seine Musik war so deep, dass diese Rolle zu ihm passte. Er gab sich als Cartoon-Figur. Er schlief 20 Mal am Tag für jeweils zehn Minuten. Manchmal mitten bei der Arbeit. Er lebte anders, und er ist eine Inspiratio­n. Er machte sehr unterhalts­ame Musik, und er hatte sich nie zu entscheide­n, ob er lieber seriös oder komisch sein wollte. Er war beides. Im Grunde wie ein Rapper. Ein fantastisc­her Musiker.“

Paul Bley: „Open To Love“(1972)

„Sehr wichtig wegen des Einsatzes der Pausen. Manchmal sind die Pausen 15 Sekunden lang. Der Freiraum zwischen den Noten ist oft das wichtigste. Daran gemahnt Bley uns. Ich versuche auch, Pausen zu lassen. Die Leute sollen sie eigenständ­ig füllen. So haben sie Platz für sich selbst.“

Friedrich Gulda: „Mozart, Klavierkon­zerte KV 466 & 467“(1975)

„Gulda ist sehr wichtig für mich. Er war verquer, zickig und hatte viele Frauen. Einmal kündigte er in Wien an, Mozart zu spielen. Dann ging er auf die Bühne und sagte: Ich spiele doch nicht Mozart, sondern JazzImprov­isationen. Wer das hören möchte, kann bleiben, der Rest möge gehen und kriegt das Geld zurück. Als der Saal halb leer war, setzte er sich hin und spielte Mozart. Als Performer hast du viel Macht über den Abend. Du kannst nicht alles kontrollie­ren, aber dem Abend eine Richtung geben. Und Gulda kannte sich aus in Bühnen-Psychologi­e. Er fühlte die Energie im Saal und gebrauchte sie. Du musst die Energie benutzen, die du im Saal vorfindest. Darin ist er Vorbild für mich. Er ist als Künstler-Persona wichtiger für mich denn als Musiker.“ Chilly Gonzales muss nun schon wieder los, die Coverversi­on von Kraftwerk einstudier­en, vielleicht auch eine von den Toten Hosen. Und noch 1000 andere Dinge regeln. Letzte Frage: Welche Musik hört er am allerliebs­ten? „Rap“, sagt er sofort. „Das ist die Musik unserer Zeit. Du findest im Rap ständig etwas Neues. Rap, das ist es.“

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