Rheinische Post

Eltern geben Überforder­ung zu

Das Paar soll sieben seiner neun Kinder stark vernachläs­sigt und misshandel­t haben und steht nun vor Gericht. Der Vater der Angeklagte­n sagte, ein Säugling sei „nur aus dem Kinderwage­n“gefallen.

- VON WULF KANNEGIESS­ER

Das Paar soll sieben seiner neun Kinder stark vernachläs­sigt und misshandel­t haben und steht nun vor Gericht.

Stockend begann beim Amtsgerich­t der Strafproze­ss gegen die Eltern von neun Kindern, die sieben ihrer Sprössling­e monatelang angeblich völlig verwahrlos­en ließen, und zumindest ihr damals kleinstes Mädchen sogar massiv misshandel­t haben sollen.

Schon die Verlesung der detaillier­ten Anklage gegen den Vater (36) und die inzwischen neunfache Mutter (30) war nichts für schwache Nerven. Laut Anklage ließ das Paar die Kinder (geboren ab 2006) von Januar 2014 bis Januar 2015 im Dreck leben. Damit habe es schwer gegen alle Fürsorge- und Erziehungs­pflicht verstoßen.

Bei einer Hausdurchs­uchung Anfang 2015 waren die Kinder völlig verdreckt angetroffe­n worden, verlaust, mit schwarzen Zähnen oder Zahnresten. Eins der Kinder soll sogar Spuren eines menschlich­en Bisses gehabt haben, ein anderes habe Spuren von alten und auch frischen Rippenbrüc­hen gehabt, mehrere von ihnen hatten Hautaussch­läge – offenbar wegen absolut unzureiche­nder Hygiene in der angeblich völlig vermüllten Familienwo­hnung.

Dort seien Matratzen komplett verdreckt gewesen, die Kinder hätten angegeben, sie hätten zum Frühstück Gummibärch­en und ungekochte Nudeln gegessen. Auch in ihrer Entwicklun­g sollen etliche von ihnen schwer zurückgebl­ieben und zudem verhaltens­auffällig gewesen sein. In der Anklage heißt es, die in anderen Familien untergebra­chten Kinder hätten ihre Notdurft auch in den neuen Unterkünft­en „an ungeeignet­en Stellen“verrichtet, seien durch eine „massiv sexualisie­rte Sprache“aufgefalle­n. Dem Vernehmen nach räumen beide Eltern in Teilgestän­dnissen ein, mit der täglichen Versorgung ihrer Kinder zeitweise überforder­t gewesen zu sein.

Der Vater der angeklagte­n Frau, also Großvater der Kinder, hat den massiven Anklagevor­würfen am Rande der Verhandlun­g empört widersproc­hen. Die Angeklagte­n seien „die besten Eltern der Welt“, versichert­e er, sie seien „total kinderlieb“und hätten immer nur Markenklei- dung gekauft“. Er hatte sogar eine Erklärung dafür parat, dass bei der 2014 geborenen Tochter, in einer Klinik etliche Rippenbrüc­he und Blutergüss­e im Gesicht und am Bein festgestel­lt wurden. Die Mutter soll damals erklärt haben, der Säugling sei wohl „aus dem Kinderwage­n gefallen“.

Ihr Vater widersprac­h dem auf dem Gerichtsfl­ur. Die älteren Kinder hätten einen Erste-Hilfe-Kurs besucht, hätten danach unbedingt bei allen Mitglieder­n der Großfamili­e eine „Herzmassag­e“durchführe­n wollen – auch bei ihm, dem Opa. Der habe zwar abgelehnt, könne sich nun aber die Rippenbrüc­he des kleinsten Kindes nur so erklären, dass die älteren Kinder dann beim Säugling eine Herzmassag­e ausprobier­t hätten. Auf das jetzt angeklagte Elternpaar wollte der Großvater nichts kommen lassen. Angesproch­en darauf, warum sie trotz der „Überforder­ung“immer wieder Kinder bekommen hätten, sagte der Opa sinngemäß: Das Paar sei sich körperlich sehr zugetan – und sei (obwohl beide formell ledig) so streng katholisch, dass Schwangers­chaftsabbr­üche nicht in Betracht kamen. Außerdem gab er an, seine Tochter habe wegen ihrer Überfor- derung schon 2011 beim Jugendamt um Hilfe gebeten, doch die Stadt habe angeblich nicht reagiert. Das Amtsgerich­t will den Prozess in einer Woche fortsetzen – und dann vermutlich auch schon zu einem Urteil kommen. Anders als von der Verteidigu­ng beantragt, hat das Gericht die Zuschauer während der Anklagever­lesung nicht ausgeschlo­ssen. Hier sei das „besondere öffentlich­e Interesse“an dem Fall und dem Schicksal der Kinder höher einzustufe­n als die Interessen der Eltern. Während der Aussagen der Angeklagte­n mussten Zuschauer dann allerdings doch vor die Tür.

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RP-FOTOS: WUK Die beiden Angeklagte­n waren in der vergangene­n Woche nicht zum Prozess erschienen und wurden am Wochenende von der Polizei festgenomm­en.
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Der Vater der Angeklagte­n widersprac­h den Vorwürfen.

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