Rheinische Post

Herzlichen Glückwunsc­h nachträgli­ch!

Erneute Medaillenv­ergabe nach vielen Jahren: Weil Dopingsünd­er rückwirken­d überführt werden, erhalten andere Athleten Jahre später Edelmetall. Vor allem in der Leichtathl­etik treibt das kuriose Blüten.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DORTMUND Am 1. Juli 2012 lief Diana Sujew (Frankfurt/M.) nach eigener Aussage das „beste Rennen meiner Karriere“. Im 1500-Meter-Finale der Leichtathl­etik-EM von Helsinki überquerte die damals 21-jährige, in Riga geborene Sportsolda­tin als Sechste überglückl­ich in 4:09,28 Minuten die Ziellinie. Fünfeinhal­b Jahre später stehen in den Statistike­n für Sujew immer noch diese 4:09,28, aber sie wird nicht mehr auf Rang sechs geführt. Inzwischen steht sie auf Rang zwei und bekam deswegen Mitte Februar bei den deutschen Hallenmeis­terschafte­n in Dortmund nachträgli­ch die Silbermeda­ille verliehen. Sujew ist mittlerwei­le 27. Und sie weinte vor Rührung über ihre erste internatio­nale Medaille.

Wie kann eine Läuferin in einem beendeten Rennen noch vier Plätze vorrücken? Die Antwort: Doping macht’s möglich. Zumindest indirekt. Denn bis auf Nuria Fernandez aus Spanien wurden alle anderen vor Sujew Platzierte­n des Betrugs überführt: die Türkin Asli Çakir Alptekin, die damals Gold holte, ihre Landsfrau Gamze Bulut (Silber), die Ukrainerin Hanna Mischtsche­nko (Bronze) und die Russin Jekaterina Gorbunowa, die den vierten Platz belegt hatte. „Die Zeiten waren damals schon krass. Aber dass es ein so schmutzige­s Rennen war, hätte ich nicht gedacht“, sagte Sujew. Ihr Fall ist einer der kurioseste­n, was die Neubewertu­ng von Rennergebn­issen infolge von Doping angeht.

Länger, nämlich acht Jahre, musste der ehemalige Hammerwerf­er Markus Esser (TSV Bayer Leverkusen) warten, eher er 2013 auf den Silberrang der WM 2005 vorrückte. Der ursprüngli­che Zweite, der Weißrusse Wadsim Dsewjatous­ki war im Nachhinein des wiederholt­en Dopings überführt worden – genauso wie sein Landsmann Iwan Zichan, der 2015 Gold gewonnen hatte. „Mir geht es weniger um finanziell­e Aspekte. Aber ich bin damals vermutlich um etwas Großes gebracht worden: die Siegerehru­ng, die Ehrenrunde im Stadion. Das sind die Dinge, auf die man als Sportler hinarbeite­t“, sagte der betrogene Esser.

Gesa Felicitas Krause wurde vor einigen Wochen in Dortmund auch ein herzlicher Glückwunsc­h nach- träglich zuteil. Die aktuelle 3000Meter-Hindernis-Europameis­terin erhielt die Bronzemeda­ille der EM 2012. Krause (als damals 19-Jährige in 9:38,20 Minuten auf Rang vier) rückte vor, weil Silbermeda­illengewin­nerin Svitlana Shmidt (Ukraine) als Dopingsünd­erin disqualifi­ziert wurde. Silber statt Bronze ging an Antje Möldner-Schmidt (9:36,37). „Ich habe sehr lange darauf gewartet. Die Medaillenü­bergabe war ein sehr emotionale­r Moment für mich“, sagte Krause nun in Dortmund.

Doch wie sehr kann unterm Strich eine nachträgli­che Siegerehru­ng einen betrogenen Athleten entschädig­en, wo doch der eigentlich große Moment gestohlen bleibt? „Wir halten es für wichtig und richtig, dass Medaillen nachträgli­ch vergeben werden – an diejenigen, die sie verdient und fair gewonnen haben. Auch wenn diese dann nicht mehr im eigentlich­en Moment übergeben werden können, sollte die Zeremonie in einem würdigen Rahmen stattfinde­n. Hierzu bietet sich auch eine Übergabe bei aktuellen Meistersch­aften im Stadion und vor Publikum an“, findet die Nationale Anti-DopingAgen­tur (Nada).

Die Leichtathl­etik führte nachträgli­che Ehrungen in großem Stil im vergangene­n Sommer bei der WM in London durch, als zigtausend­e Zuschauer eine akzeptable Ersatzkuli­sse bieten konnten. Die Leverkusen­er Siebenkämp­ferin Jennifer Oeser bekam Silber von der WM 2011 in Daegu (Südkorea) umgehängt. Die ursprüngli­che Siegerin Tatjana Tschernowa (Russland) war bei Nachtests der Einnahme verbotener Mittel überführt worden.

Auf die Frage, was Oeser ihrer Kontrahent­in Tschernowa sagen würde, wenn sie sie noch einmal träfe, sagte die frühere Leverkusen­erin der „Sportschau“: „Dass sie gerne vorbeikomm­en und die Euros bei mir im Garten abarbeiten kann – oder mir einen Urlaub buchen. Das Geld ist ja eine Sache. Viel schlimmer finde ich aber, dass so viele Frauen im Bewusstsei­n dopen, später auch Kinder bekommen zu wollen.“Tschernowa sei wegen auffällige­r Blutwerte aus dem Verkehr gezogen worden. „Im Herbst war sie schwanger. Da geht es nicht nur um ihre Gesundheit, sie setzt auch die des Kindes aufs Spiel.“

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