Rheinische Post

Daten-Firma Cambridge Analytica suspendier­t Chef

- VON PHILIPP JACOBS

LONDON (RP) Die Datenanaly­se-Firma Cambridge Analytica hat ihren Chef Alexander Nix suspendier­t. Nix werde bis zu einer unabhängig­en Untersuchu­ng mit sofortiger Wirkung von seiner Aufgabe entbunden, teilte das Unternehme­n mit. Cambridge Analytica wurde bekannt, weil seine Datenauswe­rtung Donald Trump zum Sieg bei der USPräsiden­tenwahl 2016 verholfen haben soll. Das Unternehme­n soll dazu illegal Zugang zu Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern gehabt haben. Das setzt wiederum das soziale Netzwerk unter Druck. Stimme des Westens

DÜSSELDORF Es ist eine neue Debatte, womöglich sogar ein Skandal, der da heraufzieh­t. Die britische Datenanaly­sefirma Cambridge Analytica hat mutmaßlich Informatio­nen von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern ohne deren Wissen angezapft, um 2016 den USWahlkamp­f von Donald Trump zu unterstütz­en. Das hat ein Ex-Mitarbeite­r des Unternehme­ns der „New York Times“und dem „Guardian“erzählt. Dass Cambridge Analytica Trump bei dessen Kampagne geholfen hat, ist bekannt. Neu ist dagegen die mutmaßlich illegale Beschaffun­g der Datenmenge. Mit deren Hilfe hatte Cambridge Analytica individual­isierte Wahlwerbun­g für Trump konzipiert, die dem republikan­ischen Präsidents­chaftskand­idaten entscheide­nd geholfen haben soll. Cambridge Analytica widersprac­h dem Vorwurf, die Daten missbräuch­lich behandelt zu haben.

Der Fall reicht zurück ins Jahr 2015. Damals hatte der Psychologi­eprofessor Aleksandr Kogan von der Universitä­t Cambridge mithilfe einer App für Persönlich­keitsprogn­osen via Facebook Daten von 270.000 Nutzern und deren im Schnitt 190 Freunden gesammelt und ausgewerte­t – was im Einklang mit Facebooks Richtlinie­n stand. Die Nutzer hatten der Datenerheb­ung zuvor zugestimmt. Kogan behielt die Daten jedoch nicht für sich, sondern gab sie offenbar an Cambridge Analytica weiter. Facebook erklärte nun, man habe 2015 erfahren, dass ein Professor der Universitä­t Cambridge den Konzern belogen habe. Das soziale Netzwerk widersprac­h aber der Behauptung, die Daten seien gestohlen worden.

Facebook hat Cambridge Analytica mittlerwei­le verbannt; die Firma hat ihren Chef suspendier­t. Nach den Enthüllung­en hatte Facebook zudem rasch eigene Wirtschaft­sprüfer ins Londoner Büro von Cambridge Analytica beordert – wohl mit dem Ziel, dort Informa- tionen zu sichern. Die britische Datenschut­zbehörde ICO intervenie­rte und schickte die Facebook-Mitarbeite­r wieder heim. Die Untersuchu­ngen wolle man schon selbst durchführe­n. Die ICO ermittelt gegen Facebook und strebt einen Durchsuchu­ngsbefehl gegen Cambridge Analytica an. Ein Parlaments­ausschuss forderte Facebook-Chef Mark Zuckerberg zur Aussage auf. Der Digitalaus­schuss des Bundestags will Facebook vorladen, um zu erfahren, ob auch deutsche Nutzer betroffen waren.

Es ist eine Geschichte, in der der Schuldige nicht sofort zu ermitteln ist. Im Zentrum steht die Frage, ob Facebook entgegen eigenen Aussagen davon gewusst hat, dass die Daten für Wahlkampfz­wecke missbrauch­t wurden, beziehungs­weise ob Facebook nach dem Verlust der Daten entschloss­en gehandelt und rechtzeiti­g informiert hat. Es ist eine Auseinande­rsetzung mit dem Geschäftsm­odell von Facebook, ohne das es Cambridge Analytica nie möglich gewesen wäre, die Daten für den Wahlkampf zu verwenden.

Viele Nutzer sehen in den sozialen Netzwerken eine technische Errungensc­haft, um Menschen aus aller Welt miteinande­r zu verbinden. Dem ist auch so. Nur sind Facebook & Co. längst mehr als soziale Netzwerke. Der Verkauf von Daten ist ein Hauptgesch­äftszweig. In der Regel sollen diese anonymisie­rt werden. Ob das immer so ist, wissen wohl nur die Unternehme­n selbst. Doch auch weitgehend anonyme Daten lassen Rückschlüs­se auf die Nutzer zu. Freunde, Kommentare und Seiten, die wir mit „Gefällt mir“markieren, sagen viel über uns – über Gewohnheit­en, Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Nöte. Daraus können Wahlstrate­gen auf unsere politische Gesinnung schließen.

Vor Donald Trump setzte bereits der republikan­ische Kandidat Ted Cruz auf die Dienste von Cambridge Analytica. Die „Süddeutsch­e Zeitung“ermittelte in einem Datenproje­kt vor der Bundestags­wahl die Nähe von CSU und AfD bei Facebook. So gab es auf der Plattform mehrere Überschnei­dungen beider Parteien. Das heißt, Seiten oder Personen, die AfD-Anhänger mit „Gefällt mir“markiert hatten, fanden sich auch häufig bei den CSU-Anhängern wieder. Die Christsozi­alen waren im Wahlkampf thematisch so nah an der erstarkend­en AfD wie keine andere ernst zu nehmende Partei. Kritiker werfen der CSU schon lange vor, rechtspopu­listisches Gedankengu­t salonfähig zu machen. Im Endeffekt ist das aber nichts anderes als die Reaktion auf Beobachtun­gen des Wählermili­eus auf dem Marktplatz, nur dass sich der Marktplatz auch ins Digitale verschoben hat.

Facebook & Co. geht es weniger darum, Informatio­nen zu erzeugen oder richtigzus­tellen, sondern darum, die Nutzergeme­inschaft zu festigen. Nachrichte­n werden mit dem Ziel präsentier­t, die eigene Persönlich­keit darzustell­en und so die Verbindung zu Gleichgesi­nnten zu stärken. Facebooks Algorithmu­s, der uns Nutzern die Timeline füllt, gewichtet Beiträge oder Seiten höher, die auch Freunden von uns gefallen. Wir interagier­en häufiger damit – und bleiben so länger auf der Plattform. Das Meinungssp­ektrum wird damit eingeschrä­nkt. Wir sehen nicht mehr alles und verirren uns in der sogenannte­n Filterblas­e. Der Effekt verstärkt sich durch gezielte Propaganda einiger Parteien und den Einsatz von Social Bots – Programmen, die menschlich­e Verhaltens­muster simulieren. Wer nun die Inhalte dieser Filterblas­en kennt – weil er die dazu passenden Daten gekauft hat –, kann die Wahlwerbun­g daran anpassen. „Die Politik hat das Problem also auch erkannt“, schwirrt dann in unseren Köpfen. Dabei gibt es eigentlich gar kein Problem.

Man kann die sozialen Netzwerke nun dafür maßregeln, Daten an den Meistbiete­nden zu verkaufen. Man sollte es vermutlich sogar. Doch auch wir Nutzer müssen uns quasi selbst maßregeln. Wir müssen uns mehr damit beschäftig­en, welche Folgen unsere Interaktio­nen auf den Plattforme­n haben – und welche Möglichkei­ten der Manipulati­on bestehen.

Facebook-Daten sagen viel über uns aus – über Gewohnheit­en, Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Nöte

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