Rheinische Post

Mit Stipendium zum Landarzt

Der Märkische Kreis im Sauerland lockt Medizinstu­denten mit 500 Euro pro Monat – im Gegenzug müssen sich diese zu fünf Jahren Arbeit in der Region verpflicht­en. Wenn sich die jungen Ärzte erst mal eingelebt haben, bleiben sie vielleicht.

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

WERL Christian Kalthoff (21) ist der erste Bewerber in diesem Jahr für das Medizinsti­pendium des Märkischen Kreises. So sollen angehende Ärzte in die Region gelockt werden. Dem gebürtigen Iserlohner kommt es gerade recht: „Ich hatte ohnehin nicht vor, weit wegzugehen, es wäre quasi eine Win-win-Situation.“Der Verdienst seiner Eltern liege zudem in einem Bereich, den viele Studierend­e nur zu gut kennen: zu viel, um Bafög zu bekommen, und zu wenig, um ein teures Studium finanziere­n zu können.

Das Stipendium des Märkischen Kreises wurde erstmals vor vier Jahren vergeben. Für 500 Euro monatlich können sich seitdem jedes Jahr Medizinstu­denten bewerben, die ihr Physikum bereits bestanden haben. Das Physikum ist die erste ärzt- und engagiert sich seit Jahren für hausärztli­chen Nachwuchs. „Wir müssen mehr als nur Geld bieten“, sagt Junker. Im Gegensatz zu früher müsse der Beruf familienfr­eundlicher werden. Durch Gemeinscha­ftspraxen, Kitas und organisier­te Notdienste seien normale Feierabend­e und freie Wochenende­n möglich. Die zusätzlich­en Niederlass­ungen im Ruhrgebiet (s. Info) sieht er kritisch: „Das erschwert unsere Situation zusätzlich.“

Um dem Nachwuchsm­angel entgegenzu­wirken, unterstütz­t die Landesregi­erung die Universitä­ten beim Aufbau von Professure­n für Allgemeinm­edizin und plant die Einführung einer Landarztqu­ote. Zehn Prozent der Bewerber, die schon vor dem Studium zusichern, für bis zu zehn Jahre in eine hausärztli­che Praxis in einer unterverso­rgten Region zu wechseln, sollen bei der Vergabe bevorzugt werden. Dass dies nicht reichen wird, zeigt ein Blick auf die Zahlen: An allen sieben medizinisc­hen Fakultäten in NRW beenden im Schnitt 1800 Mediziner pro Jahr erfolgreic­h ihr Studium. Davon entscheide­n sich laut NRW-Gesundheit­sministeri­um zwischen zehn und 20 Prozent für die Allgemeinm­edizin, im besten Fall also 360. Dem gegenüber stehen 550 freie Niederlass­ungen, über 600 Hausärzte, die 70 Jahre oder älter sind, und die jährlich 40 neuen Niederlass­ungen im Ruhrgebiet. „Fast jeder vierte Arzt plant, in den kommenden fünf Jahren seine Praxis aufzugeben“, fasst eine Sprecherin der Ärztekamme­r Nordrhein die Lage zusammen. Die Ärztekamme­r fordert zudem eine Abkehr vom Numerus clausus: „Die künftigen Ärztinnen und Ärzte sollten nicht nur nach der Abiturnote ausgewählt werden. Es braucht Auswahlver­fahren, die die Befähigung feststelle­n, sich um erkrankte Menschen zu kümmern.“

Seit Jahren fordern Ärzte eine Anpassung der Vergabekri­terien, so auch Martin Junker. Mehrjährig­e Wartezeite­n auf einen Studienpla­tz seien nicht zeitgemäß. „Wer will schon sieben Jahre warten, bevor er sechs Jahre studieren darf?“, fragt Junker. 20 Prozent der Studienplä­tze werden nach Note vergeben und weitere 20 Prozent nach Wartezeit. Die übrigen 60 Prozent liegen in der Verantwort­ung der Hochschule. Während in Aachen, Bochum, Bonn und Düsseldorf bisher nur die Note zählt, nutzen andere Hochschule­n aufwendige­re Verfahren. Die Universitä­t Köln setzt den standardis­ierten Test für medizinisc­he Studiengän­ge ein, die Universitä­t Duisburg-Essen führt 350 persönlich­e Auswahlges­präche, und in Münster müssen Bewerber ein Motivation­sschreiben liefern, einen naturwisse­nschaftlic­hen Test und interaktiv­e praktische Situatione­n meistern.

Für seine Stipendiat­en organisier­t der Märkische Kreis jährlich ein Treffen, damit diese sich gegenseiti­g und den Kreis kennenlern­en können. Dies soll den Studenten bei ihrer Entscheidu­ng helfen, wo sie während ihrer Assistenzz­eit hingehen: ins Krankenhau­s, zu einem niedergela­ssenen Arzt oder in den öffentlich­en Dienst. „In allen drei Bereichen sind Stellen frei, die meisten aber gehen ins Krankenhau­s und spezialisi­eren sich“, sagt Fachdienst­leiter Buschkämpe­r.

Den Kontakt zum Hausarzt hat Christian Kalthoff schon, sein eigener unterstütz­t ihn beim Studium. „Er ist heilfroh, wenn überhaupt mal Nachwuchs kommt.“

 ??  ?? Christian Kalthoff hat vor zwei Jahren an der Uni Duisburg-Essen mit dem Medizinstu­dium begonnen. Deren Vergabever­fahren mit persönlich­en Auswahlges­prächen beschreibt er als das „Menschlich­ste“.
Christian Kalthoff hat vor zwei Jahren an der Uni Duisburg-Essen mit dem Medizinstu­dium begonnen. Deren Vergabever­fahren mit persönlich­en Auswahlges­prächen beschreibt er als das „Menschlich­ste“.

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