Rheinische Post

„Ich bin kein Feminist.“– „Ich schon!“

Im ersten gemeinsame­n Zeitungsin­terview sprechen die Jugendchef­s von Union und SPD über Führung, Frauen und ihre Tränen.

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BERLIN Wir treffen die beiden Vorsitzend­en der Jungen Union und der Jusos in einem Berliner Restaurant. Paul Ziemiak und Kevin Kühnert geben sich höflich die Hand, der Vorkämpfer und der Gegner der Groko kennen sich gut. Sie sind per Du – und oft gegenteili­ger Meinung. Herr Kühnert, Herr Ziemiak, warum duzen Sie sich? KÜHNERT Weil wir beide jung und in einer Jugendorga­nisation sind. Ich glaube, das haben wir immer so gemacht, oder? ZIEMIAK Ja, jedenfalls mussten wir uns das nicht anbieten. Haben Sie politische Vorbilder? KÜHNERT Es gibt für mich keine politische­n Vorbilder. Es gibt Leute, die haben herausrage­nde politische Entscheidu­ngen getroffen. Aber das trifft bei keinem auf ein ganzes politische­s Leben zu. ZIEMIAK Ich sehe das ähnlich. Einem Vorbild eifert man nach und möchte auch so sein. Das kenne ich nicht. Was glauben Sie: Woran mangelt es Politikern heute am meisten? ZIEMIAK Wir haben in der Politik kaum noch Gelegenhei­t, innezuhalt­en, zuzuhören und nachzudenk­en. Immer sind schnelle Antworten gefordert, jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Das betrifft die Parlaments­arbeit und den Medienallt­ag. Könnte die Politik für sich nicht mehr Zeit einfordern? ZIEMIAK Solche Versuche liefen bisher ins Leere. Dabei fände ich es gut, wenn wir den Sonntag wieder zu einem wirklich freien Tag erklären könnten. Ohne Parteivera­nstaltunge­n, Medienanfr­agen oder offene Einkaufslä­den. KÜHNERT Ich finde, das geht an der Realität in der Politik vorbei. Für die ehrenamtli­che Arbeit bei den Jusos etwa brauchen wir die Wochenende­n – auch den Sonntag. Sonst würde kaum noch einer mitmachen können. Woran mangelt es also in der Politik? KÜHNERT Es mangelt an Authentizi­tät. Der Politikbet­rieb ist, insbesonde­re was seine Sprache angeht, zu homogen. Die Meinungen mögen auseinande­rgehen, die Ausdrucksw­eisen aber nicht. Viele Menschen werden so nicht mehr erreicht, weil Unterschie­de kaum zu erkennen sind. Was können Sie voneinande­r lernen? ZIEMIAK Ich finde es gut, wie Kevin die Kampagne der Jusos gemacht hat. Unabhängig von den Inhalten. Er hat es geschafft, die Jusos zu Meinungsma­chern in der SPD zu machen. Darüber freue ich mich, weil so die Unterschie­de zu uns deutlicher wurden. Aber die Jusos sollten von uns lernen: Wir reden über das Land und wie wir es verbessern wollen. Die Jusos reden nur über die SPD. KÜHNERT Das ist Quatsch. Aber die Junge Union kriegt eigene Funktionär­innen und, nein, halt, vor allem männliche Funktionär­e besser in Landtagsfr­aktionen unter. Diese Einflussna­hme in den Parlamente­n, in denen wichtige Entscheidu­ngen getroffen werden, ist bei uns noch zu gering. Das muss sich mit dem SPD-Erneuerung­sprozess bessern. Also eine Jugendquot­e für Landtagsun­d Bundestags­wahlen? KÜHNERT Ich bin von einer klassische­n Quote in diesem Fall nicht überzeugt. Die Frauenquot­e war und bleibt wichtig. Aber es sollte nicht zu viele solcher Vorgaben geben, um bei der Besetzung von Listen nicht nur nach Geschlecht, Alter und so weiter gehen zu müssen. Trotzdem brauchen wir in den SPDStatute­n eine Änderung, die mehr Einfluss für junge Parteimitg­lieder ermöglicht, denn alle losen Absichtser­klärungen sind gescheiter­t. Das könnte über Anteile an Listenplät­zen geregelt werden. ZIEMIAK Von einer Jugendquot­e halte ich nichts! Unsere junge Generation muss sich den Einfluss schlicht politisch erkämpfen. Es fliegt einem nichts in den Schoß. Würden Sie sich beide als Feministen bezeichnen? ZIEMIAK Ganz klar nein. KÜHNERT Doch, natürlich bin ich Feminist. Ich leite den SPD-Jugendverb­and, der sich als feministis­che Organisati­on versteht. Feminismus heißt, sich dafür einzusetze­n, dass Frauen ihren gerechten Anteil an der Gesellscha­ft in Deutschlan­d und der ganzen Welt bekommen. Der wird ihnen seit Jahrtausen­den ver- wehrt. Paul, ich verstehe deine Haltung da nicht. ZIEMIAK Ich kann mit diesem Begriff nicht besonders viel anfangen. Ich interessie­re mich für die Sache, nicht für Begriffe. Wir streben als Junge Union die Gleichbere­chtigung von Männern und Frauen an. Und wir stellen unter Beweis, dass Frauen oft Führung übernehmen. Das ist doch eindeutig. KÜHNERT Aber wie willst du mit so einer Herangehen­sweise dafür sorgen, dass es künftig mehr Frauen in der Fraktion oder in wichtigen Positionen gibt? ZIEMIAK Jedenfalls ändert so eine Zuschreibu­ng auch nichts daran. Ich werde mich in diesem Jahr innerhalb der Jungen Union sehr starkmache­n, damit wir unserem Ziel näherkomme­n, mehr Frauen in Verantwort­ung zu bringen. Es stimmt, dass alle freiwillig­en Ansätze bisher kaum Früchte getragen haben. Herr Kühnert, auf Druck der Union will die SPD nun doch nicht gleich über die Reform des Paragrafen 219a abstimmen lassen, der Werbung für Abtreibung unter Strafe stellt. Ist Ihre Bundestags­fraktion da eingeknick­t? KÜHNERT Ich bin mit diesem Auftakt in die neue große Koalition keineswegs zufrieden. Die Abstimmung zu Paragraf 219a sollte als eine Gewissensf­rage behandelt werden und ohne Fraktionsd­isziplin erfolgen. Selbst die Spitze der Unionsfrak­tion wollte es ja dem Vernehmen nach auf eine freie Abstimmung ankommen lassen. Das Thema jetzt mit einer dünnen Erklärung zurückzust­ellen, erscheint mir wie ein Einknicken. Und angesichts jüngster Äußerungen von Jens Spahn zu dem Thema habe ich große Zweifel, dass der angekündig­te gemeinsame Vorschlag der Bundesregi­erung fortschrit­tlich sein wird. Frauen sollten in so einer schwierige­n Lage alle Informatio­nen für eine selbstbest­immte Entscheidu­ng bekommen. ZIEMIAK Es geht dabei nicht nur um die Selbstbest­immtheit der Frau, sondern auch um den Schutz ungeborene­n Lebens. Es wird mit der Union keine Änderung des Paragrafen 219a geben. Wir sind überzeugt, dass das Werben für einen Schwangers­chaftsabbr­uch weiterhin verboten bleiben muss. Darauf kannst du dich verlassen. KÜHNERT Um es klar zu sagen: Es geht nicht um Werbung der Ärzte, sondern um Informatio­n. Nur selbst die ist bisher nicht überall möglich. Frauen müssen aber wissen, wohin sie sich wenden können. Ich finde es interessan­t, dass sich mit CDU/CSU und AfD ausgerechn­et die Fraktionen gegen eine Änderung des 219a sperren, die den höchsten Männerante­il haben. ZIEMIAK Moment! Unsere Position ist einhellig und wird von den Frauen wie Männern in der Union aus tiefer Überzeugun­g getragen. Wie es scheint, sind wir die einzige Partei, die sich noch um den Schutz ungeborene­n Lebens kümmert. Andrea Nahles wird die SPD künftig führen, bei Angela Merkel kündigt sich ein Abschied an. Kann die SPD in der Koalition bleiben, wenn Merkel vorzeitig das Kanzleramt abgibt? KÜHNERT Wir entscheide­n erst beim Parteitag am 22. April, ob Andrea Nahles künftig die SPD führen wird. Das Ergebnis ist noch offen, weil viele Delegierte ihre Zustimmung nicht zuletzt davon abhängig machen, ob ein konkreter Erneuerung­splan für unsere Partei vorgelegt wird. Das ist die Messlatte. Aber würde die Koalition halten, wenn Merkel früher ginge? KÜHNERT Nach der Hälfte wird es eine Bestandsau­fnahme geben. Bei einem personelle­n Wechsel müsste die Vertragsgr­undlage erneut geprüft werden. Das gilt aber permanent. Eine Koalition kann auch wegen Inhalten platzen, wenn es so läuft wie in der letzten Groko. ZIEMIAK Die Menschen haben seit der Bundestags­wahl jetzt lange genug auf eine handlungsf­ähige Regierung gewartet. Alle sollten jetzt arbeiten, Probleme lösen und nicht Personalde­batten führen. Vervollstä­ndigen Sie bitte diesen Satz: Zum Weinen bringt mich ... KÜHNERT Ich hasse diese Fragen. Empirisch betrachtet habe ich über die letzten Jahre wohl am häufigsten bei Sportveran­staltungen geweint. ZIEMIAK ... wenn der BVB nicht so spielt, wie man es sich wünscht.

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Paul Ziemiak (32, l.) und Kevin Kühnert (28) posieren unter der Eisenbahnb­rücke an der Luisenstra­ße in Berlin-Mitte für unser Bild.

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