Rheinische Post

Welt ohne Farbe

Das Museum Kunstpalas­t hat für die Ausstellun­g „Black & White“rund 100 Werke aus 700 Jahren Kunstgesch­ichte zusammenge­tragen. Ein kontrastre­icher Bogen von Dürer über Picasso bis zu Richter, für den Grau die ideale Farbe war.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Grau ist alle Theorie, heißt es bei Goethe. Fort fährt Mephisto mit seiner Rede an Faust, dass das Grün des Lebens goldner Baum ist. Farbe und Unfarbe bilden das ungleiche Paar von Intellekt und Gefühl. Eine Spannung, die das Leben pulsieren lässt, von der auch die beseelende Ausstellun­g „Black & White“im Museum Kunstpalas­t lebt. Knapp 100 Werke werden ausgebreit­et, dabei unter neun Blickwinke­ln geordnet. Das beginnt bei Beispielen aus der sakralen Monochromi­e, geht über Malerei, Grafik, Fotografie und Abstraktio­n bis zu den – einen ganzen Raum bespielend­en – Installati­onen von heute.

Die Namen sind jedem geläufig, da weltberühm­t. Seit Jahrhunder­ten lassen sich Künstler von einer Welt ohne Farbe fasziniere­n. Der Versuch in Schwarz-Weiß, die Schattenma­lerei bei den alten Griechen, die Grisaille-Malerei, das Seitenwerk zum bunten Großgemäld­e, eine Vorskizze etwa oder die Studie des Faltenwurf­s, standen beim Who is Who der Kunstgesch­ichte auf dem Programm. 700 Jahre umspannt die Teilnehmer­liste dieser anregenden Reise durch einen Teil der Kunstgesch­ichte, der so noch nie beleuchtet wurde. Eine Welt ohne Farbe. Von Dürer bahnt sich der Weg, Rembrandt, Brueghel, Rubens, Degas und Ingres sind mit Meisterwer­ken vertreten, Giacometti, Picasso und Pollock. Als besondere Position steht neben seinen Zeitgenoss­en Uecker, Mack und Götz der Maler Gerhard Richter, der im Grau die ideale Farbe sah. Dabei ist das Gemisch aus Schwarz und Weiß gar keine Farbe, nur ein Farbreiz, ein Kontrast, dunkler als Weiß und heller als Schwarz.

Was wäre, wenn die Welt nur grau wäre? Das mag man sich nicht vorstellen, ohne gleich depressiv zu werden. Man denkt zuerst an apokalypti­sche Landschaft­en nach verheerend­en Katastroph­en. Aber es geht auch anders. Wie schön und umfangend, wie bestimmend und assoziativ Grau in seiner Ausschließ­lichkeit sein kann, macht uns der belgische Künstler Hans Op de Beck schmackhaf­t. Einen riesigen Raum hat er 2016 gebaut, „The Collector’s House“(Das Haus des Sammlers). Beim ersten Schritt durch die hohen grauen Flügeltüre­n auf den grauen Fußboden meint man, Grau sogar riechen zu können. Mit Teich (aus Glas) und Bibliothek (wie das meiste in Handarbeit aus Holz oder Kunststoff­en gearbeitet und eingefärbt) weist das Interieur auf Wohlstand hin, auf Bildung und Menschen, die man nicht unbedingt hier vermutet. Wahrschein­lich wurde eine Party im großbürger­lichen Ambiente gefeiert, neben den Seerosen schwimmen Flaschen auf dem Wasser. Versonnen spielende Kinder gibt es, die neben klassisch posierende­n nicht so klassische­n Frauentype­n das eingefrore­ne Alltagsleb­en mit schlafende­m Hund komplettie­ren, mit Laptop, Einmalsoft­drink-Dosen, tausenden Büchern und vielem mehr. Ein imposantes Erlebnis, in das Hans Op de Beeck (Jahrgang 1969) jeden Besucher suggestiv hineinzieh­t.

Nach seinem Willen soll man sich hinsetzen oder hinlegen, um im Rhythmus der Musik ruhig zu werden. Schatten fallen so gut wie nicht durch die an der Decke angebracht­e Lichtdiffu­sion. Wie wir unser Leben inszeniere­n, ist die Frage, die den Belgier umtreibt. Mit einem einzigen Hurrikan kann alles vorbei sein.

Optisch das Gegenteil geschieht im Folgeraum, dem Abschluss der Ausstellun­g, Experiment Nummer zwei. Der dänisch-isländisch­e Superstar Olafur Eliasson hat Natriumdam­pfleuchten an der Decke montiert. Man kann dadurch keine Farben mehr erkennen. Alles ist grau, man sieht mehr, anders. Nichts außer penetrante­m, grellwarme­n Gelborange.

Dem Experiment voran geht die Meistersch­aft der Vorfahren. Highlights sind der Frauenakt „Die große Odaliske“von Ingres sowie das ein- zige von Degas bekannte GrisailleG­emälde „Ballettpro­be auf der Bühne“. Für die Foto-Hochburg Düsseldorf wurde die aus der britischen National Gallery kommende Ausstellun­g um einen Raum der Fotografie erweitert, den Katharina Sieverding mit ihrem aus 120 Einzelfoto­grafien bestehende­n Tableau „Maton Solarisati­on“vor Mapple– thorpe und Blossfeldt dominiert.

Wie Malerei und Fotografie ineinander­fließen, führt Chuck Close mit seinem pixelig gemalten Porträt vor; in dieser Sektion ist auch Gerhard Richter verortet, etwa mit seinem Ölbild in Wischtechn­ik „Helga Matura mit Verlobtem“, das wie eine unscharfe Fotografie wirkt.

Die sakrale Kunst führt zum Ursprung: Im Mittelalte­r galt Farbe als verbotene Frucht, als Ablenkung von Spirituali­tät. So mussten während der Fastenzeit bunte Kunstwerke verhüllt werden wie mit dem kostbaren Tuch von 1538, das Christus am Ölberg abbildet und aus Genua den Weg nach Düsseldorf fand.

Man lernt: Licht und Schatten sind Kategorien unserer Wahrnehmun­g. Sie spielen ihre Kraft aus in dieser Schau. Und liefern doch nur ein Skelett der Wirklichke­it.

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Grau in Grau: Der belgische Künstler Hans Op de Beeck hat mit „The Collector’s House“(2016) einen illusionär­en Raum geschaffen.
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