Rheinische Post

Bei Trettmann geht die Sonne auf

- VON DIRK WEBER

Vor zwei Wochen war Trettmann in Jamaika, um das Video zu seiner neuen Single „Billie Holiday“aufzunehme­n. Zurück im eisigen Deutschlan­d lässt er im ausverkauf­ten Zakk die Sonne aufgehen. Die Arme stolz vor der Brust verschränk­t, starrt er auf die Leinwand, wo der Clip zu sehen ist. KaribikFee­ling in Schwarz-Weiß-Ästhetik. Eine Minute lang singen die Fans Karaoke, und der Künstler macht Pause. Kurz denkt man, dass ihm vielleicht die Puste ausgegange­n ist. „Ich will euch bouncen sehen“, grölt er schließlic­h in die Menge und beginnt den Song von vorn. Diesmal singt er live, und das Publikum tobt. Trettmann, eigentlich Stefan Richter, geboren in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, ist in „Fritz Heckert“, der zweitgrößt­en Neubausied­lung der DDR, aufgewachs­en. Er steht auf Breakdance, nennt sich Ronny Trettmann, abgeleitet von „Dreadman“. Er rappt auf Sächsisch. Einige finden das lustig. Die meisten jedoch halten ihn für eine Witzfigur. Bis er vor einem halben Jahr sein zweites Soloalbum veröffentl­icht. Seitdem feiern ihn alle für seinen düsteren Cloud-Rap.

Vor ihm hat sich ein Pogo-Kreis gebildet, wie beim Metal-Konzert. Schwerer Rauch hängt in der Luft. Tiefe Bässe rollen aus den Boxen. Trettmann singt über seine Jugend, über Seelenfäng­er, über grauen Be- ton. Es ist sein größter Hit. Autobiogra­fisch. Ein Seelenstri­ptease. Doch die Leute wollen feiern. Er versteckt sich hinter Codes: Sonnenbril­le, weißes Cappy, schwarzer Hoodie. Die Hits kommen stakkatomä­ßig: „Knöcheltie­f“, „Gottseidan­k“, „Adriano Celentano“. Er sagt: „Ich glaub’, wir müssen die Vibes mal kurz leveln.“Soll heißen: Feuerzeuge raus, es wird emotional.

Nach 70 Minuten der letzte Song: „Ich komm’ aus dem Club nicht raus, nicht in 120 Jahren.“Trettmann erhöht die BPM-Zahl. Joey Bargeld, der Einheizer, tanzt jetzt mit ihm über die Bühne. Die Bässe ballern. Techno-Party. Berliner Berghain morgens um vier. Trettmann sieht glücklich aus.

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