NRW auf Fahrverbote nicht vorbereitet
Weil die Landesregierung Diesel-Fahrverbote für ausgeschlossen hält, ergreift sie keine Maßnahmen für den Ernstfall. Experten halten das für fahrlässig und fordern einen Notfallplan.
Unabhängige Experten und die Opposition im Landtag fordern die Landesregierung auf, NRW auf Diesel-Fahrverbote vorzubereiten. „Das Land hat keinen Notfallplan“, kritisierte Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn. „Der öffentliche Nahverkehr würde kollabieren, wenn er alle betroffenen Diesel-Fahrer aufnehmen müsste.“
Das Bundesverwaltungsgericht hat Diesel-Fahrverbote zur Bekämpfung zu hoher Schadstoffwerte in der Luft kürzlich für zulässig erklärt. In NRW sind seither unter anderem Düsseldorf, Köln, Essen, Mönchengladbach und Neuss von Fahrverboten bedroht. Die Bezirksregierungen prüfen derzeit, ob Fahrverbote als Teil von Luftreinhalteplänen verhängt werden müssen.
Allerdings betonte das Bundesverwaltungsgericht auch, dass Fahrverbote verhältnismäßig sein müssen. Daraus leitet die Landesregierung ihre juristische Überzeugung ab, dass Fahrverbote so gut wie ausgeschlossen sind. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte: „Ange- sichts der Vielzahl von Maßnahmen zur Senkung der Stickoxidwerte, der seit Jahren sinkenden Belastung und der vielfältigen Gründe für Luftverschmutzung sind Fahrverbote im Sinne des Urteils unverhältnismäßig.“Nach dieser Logik muss das Land sich nicht auf Fahrverbote vorbereiten. Ähnlich äußerte sich Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU). Auf die Frage, wie sein „Plan B“für den Fall von Fahrverboten aussieht, sagte Wüst: „Die Panikmache ist nicht in Ordnung.“Konkrete Maßnahmen nannte er nicht. Ein Sprecher des Umweltministeriums erklärte: „Die Frage nach einem Plan B stellt sich nicht.“
André Stinka von der SPD-Fraktion im Landtag hält das Verhalten der Landesregierung für grob fahrlässig: „Herr Laschet weiß nicht, ob sich Fahrverbote abwenden lassen. Mit seiner Weigerung, das Land vorzubereiten, riskiert er Chaos.“Nach einer Schätzung der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf könnten von einem Fahrverbot in Düsseldorf rund 20 Prozent der 300.000 Berufspendler betroffen sein – also 60.000. Von den 119.816 in Düsseldorf zugelassenen Diesel-Fahrzeu- gen erfüllen nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes nur 38.259 die günstige Schadstoff-Norm Euro 6. Alle anderen wären möglicherweise von Fahrverboten betroffen. In Köln gibt es 91.000 Diesel, denen Fahrverbote drohen, in ganz NRW sind es rund zwei Millionen.
Stinka fordert, das Land müsse in Kommunen, denen Diesel-Fahrverbote drohen, schon jetzt Flächen für zusätzliche Park&Ride-Plätze aus- machen und sich den Zugriff auf schadstoffarme Shuttle-Busse reservieren. „Wie sollen die Pendler sonst zur Arbeit kommen?“, fragte Stinka. „Der Fraktionschef der Grünen im Landtag, Arndt Klocke, meinte: „Es ist fatal, dass Laschet die Möglichkeit von Fahrverboten ignoriert, weil er sie politisch ablehnt.“Niemand wünsche sich solche Verbote. Da sie aber nicht auszuschließen seien, müsse Laschet unverzüglich zu Gesprächen mit den potenziell betroffenen Städten einladen. Selbst in der Düsseldorfer Staatskanzlei wundert man sich über Laschets Diesel-Poker. „Er unterschätzt das Risiko“, so ein ranghoher Beamter.
Auch Juristen zweifeln: „Die Strategie der Landesregierung ist riskant“, meint der Düsseldorfer Anwalt Julius Reiter. Laschet hatte kürzlich zwar betont, gegenüber den Bezirksregierungen, die über Fahrverbote entscheiden, weisungsbefugt zu sein. Aber der Düsseldorfer Staatsrechtler Martin Morlok wendet ein: „Wenn die Grenzwerte nicht anders einzuhalten sind, wird auch ein Ministerpräsident Fahrverbote nicht verhindern können.“
Diesel-Fahrverbote wären ein beispielloser Offenbarungseid der Politik. Der Verbraucher müsste den Diesel-Betrug der Industrie ausbaden. Und die Untätigkeit der Politik, die den Betrug mit laschen Vorgaben und Kontrollen ermöglicht hat, gleich dazu. Deshalb kämpft NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zu Recht gegen Fahrverbote an. Indem er auf die rückläufigen Schadstoffwerte verweist. Und auf die vielen neuen Maßnahmen, mit denen Bund, Land und Kommunen für bessere Luft sorgen. Laschet glaubt, dass Fahrverbote so vermieden werden können. Wahrscheinlich wird das auch so sein.
Aber was, wenn er irrt? Sollten die Behörden und Gerichte zu der Überzeugung kommen, dass es trotz allem nicht ohne Fahrverbote geht, wird auch Laschet sie nicht verhindern können. Für dieses RestRisiko hat er keinen Plan B. Die Kommunen sind auf Fahrverbote genauso wenig vorbereitet wie die zwei Millionen Fahrer älterer Diesel in NRW, von denen viele das Auto für den Weg zur Arbeit brauchen.
Laschets Diesel-Poker ist riskant. Kommt es wider Erwarten doch zu Fahrverboten in größerem Umfang, wird die schlechte Vorbereitung des Landes darauf seine erste Regierungskrise auslösen. BERICHT